Stanislaw Przybyszewski: Romane, Erzählungen & Essays. Stanislaw Przybyszewski
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Название: Stanislaw Przybyszewski: Romane, Erzählungen & Essays

Автор: Stanislaw Przybyszewski

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027205639

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СКАЧАТЬ style="font-size:15px;">      Falk lächelte, war aber gleich wieder ernst.

      Er liebte sie. Sie hatte die große Mannesintelligenz, die alles verstand, die sogar ihn verstanden hatte. Sie hatte die große, feine Schönheit, nach der er so lange, so lange gesucht.

      So stand sie. Falk vergegenwärtigte sich ihre Bewegung: damals, das erste Mal: das Zimmer im mattroten Halbdunkel – Gott, wie schön sie war! Er hatte damals gleich verstanden, daß er sie lieben mußte, und er liebte sie.

      Ja, ganz gewiß. Jetzt sehnte er sich nach ihr. Jetzt möchte er in dem großen Lehnstuhl an seinem Schreibtisch sitzen und sie auf seinen Knien halten und ihre Arme seinen Hals umschlingen fühlen.

      Wie kam es nur, daß er Marit niemals vergessen konnte?

      In dem tollsten Liebesglück sah er plötzlich das Gesicht seiner Frau in ein fremdes übergehen, in ein kleines, schmales Kindergesicht; er sah es sich allmählich verwandeln, bis er es plötzlich erkannte. Das war Marit.

      Und dann konnte er unaufhörlich dies Gesichtchen anstarren, und fühlte, wie seine Hände schlaff wurden, wie seine Gedanken sich in die Vergangenheit zurückfanden, in die Zeit, die er mit Marit verbracht, als er grade jetzt vor einem Jahr in die Heimat gekommen war und sie dort zum ersten Male getroffen hatte.

      Und wieder fühlte er deutlich die Erschlaffung in seinen Gliedern, und wieder fühlte er die seltsame Sehnsucht nach dieser Liebe, die doch nur Schmerzen geben konnte, diese unerhörte Qual, ein Weib zu begehren und es nicht besitzen zu können.

      Wie glücklich war er mit seiner Frau, bevor er Marit gesehen hatte. Und nun stand sie zwischen ihnen und machte ihn traurig und wütend, weil er sie immer überwinden mußte, immer von neuem in sich töten, wollte er zu seiner Frau gelangen.

      Warum war er nur wieder hergekommen?

      Was wollte er von Marit? Warum belog er sie, warum quälte er sie, wozu spielte er die ganze Komödie?

      Ja, wenn er das begreifen könnte!

      Er wollte doch etwas. Er mußte doch einen Zweck haben. Irgendwo hinter allem Bewußtsein, hinter aller Logik mußte der verborgene Zweck doch liegen, der für seinen Willen im Unbewußten ausgesteckt war.

      War es das Geschlecht, das im Verborgenen auf ein neues Opfer lauerte?

      Nein, das war unmöglich. Nein! es wäre eine unerhörte Schurkerei, ein Kind zu zerstören, diese reine Taubenseele zu beschmutzen. Nein, das würde er niemals.

      Ja: doppelt, tausendfach unmöglich. In zwei Wochen kehrte er ja zu seiner Frau zurück; er würde sonst ja in die scheußlichsten Konflikte mit seinem Gewissen kommen.

      Ja, das ekelhafte Gewissen. Da drüben in Paris zu sitzen und fortwährend zu denken: jetzt liegt sie ausgestreckt am Boden und windet sich und fleht Gott um Gnade an. Nein, nicht eine Minute würde er Ruhe haben. Nein, das wäre zu schrecklich: das ganze Leben mit diesem einen Bilde, mit diesem einen Gedanken, mit dieser ewigen Unruhe des quälenden Gewissens.

      Er stand auf und ging langsam weiter.

      Es war inzwischen dunkel geworden und über den Wiesen stiegen leuchtende Nebel, wie mächtige Rauchwolken, dampfend und wogend empor.

      Falk blieb stehen, sah in dieses Meer, das alles überflutete, und sann nach über etwas, worauf er sich nicht besinnen konnte; er fühlte sich in seinem Kopfe wie gelähmt.

      Über die eine Frage, was er denn eigentlich wolle, konnte er gar nicht hinüberkommen.

      Marit sah er plötzlich vor sich. Ja, sie sah herrlich aus, wie sie da auf dem Steine saß mit dem wunderbaren roten Widerschein von der Krempe ihres großen Sommerhutes. So schlank, so fein ...

      In seiner Seele begann ein heißes Beben: er hörte das leise Stammeln des Geschlechtes.

      Nein: das Gewissen! mein Gott – Falk mußte lächeln: Der große Übermensch, der starke, mächtige, ohne Gewissen! Nein, der Herr Professor hatte die Kultur vergessen, die tausend Jahrhunderte, die sich abgemüht es zu erzeugen. Mit dem Verstande freilich ließ sich alles wegbeweisen; mit dem Verstande sollte man ja auch, logisch genommen, alles überwinden können, selbst ein Gewissen. Aber man konnte es dennoch nicht.

      Was nützte ihm all sein Verstand; hinter jeder Logik lauerte doch immer wieder das furchtbar Unlogische, das doch endlich siegte.

      Und wieder dachte Falk an Marit und seine Liebe zu ihr. Ja, ihn interessierte das am Ende nur: dieser sein Fall. Dieser Fall von Doppelliebe war wirklich äußerst interessant.

      Das war ihm klar: er liebte beide. Ja, ganz zweifellos. Er schrieb doch die wütendsten Liebesbriefe an seine Frau und belog sie nicht, und zwei Stunden später sagte er Marit, daß er sie liebe, und belog, weiß Gott, auch sie nicht.

      Jetzt fing Falk zu lachen an.

      Aber hinter dem Lachen fühlte er einen beißenden Schmerz, eine merkwürdig giftige Wut.

      Freilich hatte er das Recht, Marit zu lieben; warum nicht, wer hatte es ihm verboten? Wer hatte ihm, ihm etwas zu verbieten? Sollten Moralgesetze, die von rohen Menschen, von dummen, unpsychologischen Gesichtspunkten aus gemacht waren, bindender sein als die Macht seines Empfindens?

      Warum sollte er sie nicht verführen, wenn er sie begehrte? Warum sollte er sie nicht besitzen, wenn er sie liebte und sie ihn?

      Ja, sie liebte ihn doch. Was also verbot ihm seinen Willen? Moral? Heiliger Himmel, was ist Moral?

      Er kannte keine Moral, außer der seines Empfindens; und in diesem seinem Empfinden war kein einziges Gesetz enthalten, das den Willen anderer Menschen hätte bestimmen wollen.

      Er fuhr auf. Von einem nahen Hofe her bellte ein Hund, und bellte immer lauter, immer heftiger.

      Dumme idiotische Bestie!

      Falk bog in einen Wiesenpfad, der an dem Kirchhof vorüberführte.

      Auf dem Kirchhof rauschten die Blätter der Silberpappeln mit ihrem unheimlichen Ernste. Aus dem Dunkel hoben sich die weißen marmornen Grabplatten wie Gespenster ab. Es war so furchtbar ernst, dies unheimliche Rascheln der Bäume. Es war da ein Ton, der ihn an das Klappern von Totengerippen erinnerte. Ihm wurde sehr unangenehm zu Mute.

      Lächerlich, daß diese idiotischen Fabeln, die das Volk um das Leben der Toten spinnt, auf sein Gehirn noch wirken konnten. Ja – nun, er war so nervös.

      Seine Gedanken verwirrten sich immer mehr. Nein, er war zu müde. Er konnte keinen einzigen Gedanken logisch zu Ende führen; wozu auch?

      Ja, wozu denn diese blödsinnige Logik? Das, was in seiner Seele tätig war, das hinter allem Bewußtsein lag und das er nicht kannte, das hatte ja doch eine eigene Logik, die so grundverschieden war von dieser dummen Bewußtseinslogik und sie über den Haufen warf.

      Vor ihm tauchten jetzt die weißen Mauern des Klosters auf; er blieb stehen und starrte sie an. Es war da drin doch eine sonderbare Poesie; er dachte an die grausigen Geschichten, die man ihm als Kind über die Zisterzienser, denen das Kloster vor Zeiten gehörte, so oft erzählt hatte.

      Ja, vorm Jahr kam sie auch aus einem Kloster; da war sie erzogen worden. Erzogen! Ha, ha, ha ...

      Falk СКАЧАТЬ