Название: Stanislaw Przybyszewski: Romane, Erzählungen & Essays
Автор: Stanislaw Przybyszewski
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027205639
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Hier gibt es Gesetze und Schranken und Polizeimaßregeln; die Menschen sind so eingezwängt – in tausend idiotische: das darfst du und das darfst du nicht!
Falk dachte nach.
Warum haben Sie sich denn gestern so heftig losgerissen? Darf man eine Schwester oder eine Freundin nicht küssen, was ist denn dabei?
– Nein, das könne sie nicht. Sie würde sich selbst verachten müssen. Sie würde ihm nicht mehr frei ins Gesicht sehen können. Und würde er auch nur eine Spur von Achtung vor ihr haben?
Falk lachte ganz laut mit offenem Hohn.
– Achtung? Achtung?! Nein, wo habe er nur das Wort verloren, was sei das eigentlich? Nein, er kenne überhaupt nicht das Wort noch einen solchen Begriff. Er kenne nur freie Weiber, die sich selbst Gesetz sind, und dann kenne er Weiber, die Sklavinnen sind und ihre Instinkte in idiotische Formeln pressen. Und unter diesen Sklavinnen unterscheide er Weiber mit starken Instinkten, die Macht und Schönheit und Herrlichkeit genug haben, um mit stolzer sieghafter Majestät die blödsinnigen Stricke zu zerreißen, und wiederum Weiber mit schwachen Instinkten – mit einem Worte: das Nutzvieh, das verkauft werden könne wie jede andere Ware, das gehorsam sei wie jedes andere Hausvieh.
– Also müsse er das Weib, das ihm ein Kind geboren und nachher zu einem Andern gelaufen sei, sehr hochschätzen?
– Das nicht, denn er kenne keine Wertschätzung. Sie sei nur dahin gegangen, wohin sie ihre Instinkte zogen, und das sei gewiß sehr schön.
– Nein, das ist häßlich, abscheulich!
– Hm, wie Sie wollen.
Marit wurde sehr gereizt.
– Und das Fräulein – wie heißt sie doch?
– Perier.
– Ja, dann müßte er doch Fräulein Perier als das höchste Ideal betrachten; warum liebe er sie dann nicht?
– Freilich, in der Tat sei Fräulein Perier das intelligenteste Weib, das er getroffen –
Marit zuckte auf.
– Daß er sie nicht liebe, komme nur daher, weil das Geschlecht, mit dem man nämlich liebe, völlig unabhängig vom Gehirne sei. Bei der Liebe pflege das Gehirn nicht um Rat befragt zu werden.
– Das sind also die Weiber, die Ihnen gefallen!
Marit weinte fast. Dies Fräulein Perier sei eine schlechte Person! Ja, das wisse sie ganz genau.
– Ja, ja, ja; so urteilt man vom Standpunkt der Formel und des Katholizismus.
Beide schwiegen. Falk war steif und trocken und gab deutlich zu verstehen, daß jedes Reden umsonst sei.
Marit litt. Sie fühlte nur die eine Frage: warum er ihr denn gestern alle diese Geschichten erzählt habe, von dem Weibe, das an ihm wie eine Klette hänge.
– Die Mutter ist also von dem Kinde weggelaufen? Falk, seien Sie offen! Ich habe mich die ganze Nacht damit gequält; ich bitte Sie sehr darum.
– Warum müsse sie denn das durchaus wissen?
– Ja, ich muß, ich muß.
Falk sah erstaunt zu ihr auf.
– Ja, ich habe Ihnen doch gesagt. Übrigens, wie könnte mich ein anderes Weib pflegen, wenn sie bei mir wäre.
Marit beruhigte sich. Er hatte also kein Weib um sich. Sie war ihm fast dankbar. Von Zeit zu Zeit sah sie ihn an; sie hatte etwas in ihrem Blick, etwas von einem Kinde, das abbitten möchte, aber zu stolz dazu ist.
Falk sah hartnäckig zu Boden.
So kamen sie an die Gartentür.
– Ob er nicht zum Abendessen bleiben wollte? Papa werde sich sehr freuen. Papa habe sie gebeten, ihn zurückzuhalten. Er habe so vieles mit ihm zu besprechen.
Aber Falk konnte unmöglich bleiben; er war sehr höflich, aber eisig kalt.
Dann ging er, nachdem er sich sehr korrekt verbeugt hatte.
Marit sah ihm lange nach: Jetzt müsse er sich doch nach ihr umdrehen.
Falk ging und sah sich nicht um.
Mein Gott, mein Gott, seufzte Marit qualvoll auf; was habe ich ihm denn eigentlich getan?
Sie ging in ihr Zimmer hinauf und zündete das Öllämpchen vor dem Bilde Marias an; dann kniete sie nieder und warf sich auf den Boden vor dem mildlächelnden Antlitz der wundertätigen Jungfrau.
III.
Erik Falk ging nicht in die Stadt.
Er bog von der Landstraße ab und ging an dem See entlang. Drüben dämmerte der Wald in ein tiefes Dunkel hinein, und der See lag so klar und weich, ganz erfüllt von den ruhigen Reflexen der Abendröte.
Falk blieb stehen.
Wie konnte er nur so schnell vergessen, was er gestern gesprochen; die ganze Geschichte wurde nun zu einer lächerlichen Komödie; ja, zu einer dummen, knabenhaften, ungeschickten Komödie.
Aber Marit, hm, vertraute ihm ja blind; nein, sie hatte nichts gemerkt, sie glaubte an alles, was er sagte: Nein, sie würde selbstverständlich eine willkürliche Absicht nicht im geringsten vermuten.
Falk beruhigte sich wieder. Er legte sich am Ufer hin und schaute gedankenlos auf den See.
In seinem Gehirn gärte eine dunkle Masse von Gedanken; nur hin und wieder zuckten einzelne Assoziationen, Bilder, abgerissene Schlagworte in ihm auf.
Und wieder fing er an zu gehen, langsam, angestrengt; er wollte sich auf etwas besinnen, er mußte sich aufraffen, an etwas zu denken, ja, sich etwas ganz klar zu machen.
Es dunkelte. Von den benachbarten Dörfern schimmerten schon winzige Lichterchen herüber. Ab und zu hörte er ein Wagengeklapper auf der Landstraße, dann horchte er auf das Gezirpe der Heupferdchen und auf das Gequak der Frösche in den Teichen.
Ja, was wollte er denn eigentlich?
Er war doch kein gewerbsmäßiger Verführer. Er hatte niemals nach dem lächerlichen Ruhm getrachtet, ein Weib zu verführen, nur um sie zu besitzen. Nein, das war es nicht.
Seine Gedanken wollten sich nicht weiter bewegen; er setzte sich hin auf den Rasen und schaute hinüber nach dem schwarzen Waldsaum.
Etwas dämmerte in seiner Seele, und allmählich stieg ein Bild in ihm auf, das Bild einer Frau, mit ihrer Grazie, dieser verfeinerten Grazie aussterbender Adelsgeschlechter; ihm war, als strecke sie ihm ihre schmale, lange Hand entgegen und sehe ihn so lieb, so gut mit ihren Augen an.
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