Stanislaw Przybyszewski: Romane, Erzählungen & Essays. Stanislaw Przybyszewski
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Название: Stanislaw Przybyszewski: Romane, Erzählungen & Essays

Автор: Stanislaw Przybyszewski

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027205639

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СКАЧАТЬ sah er, wie sich ein Totenzug nach der Kirche bewegte, an einem schönen Sommer-Abend. Alle Leute trugen Kerzen, die unruhig hin und herflackerten ... Ja, das sah er: die Kerze seines Nachbarn wurde vom Winde ausgelöscht. Nun wurde der Sarg auf einem großen, schwarzen Katafalke aufgebahrt, acht Priester in weißen Gewändern, schwarzen Ornaten und schwarzen Dalmatiken standen herum, und überall hin verfolgte ihn der starke, mystische Rosenduft.

      Er hörte damals Marit sprechen, sie ging und kam, aber die Halluzination wurde er nicht los.

      Schließlich entdeckte er es: Weiße Rosen hatte Marit in ihrem Haar.

      Falk grübelte nach. Seine Gedanken kreisten um dieses eine Erlebnis herum.

      Waren es die weißen Rosen? War es die Erinnerung, die durch die Rosen hervorgerufen wurde? Weshalb hatte Marit gleich von Anfang an diesen starken Eindruck auf ihn gemacht?

      Wie war das geschlechtliche Empfinden mit dieser Erinnerung verflochten?

      Was hatte eins mit dem andern zu tun?

      Das Zweite begriff er schon viel besser. Da war von Anfang an ein geschlechtlicher Eindruck vorhanden, irgendwo in der Tiefe des schlummernden Unterbewußtseins, und wurde nun durch Marits Erscheinung aufgerüttelt.

      Ja, ja, ganz zufällig; oder auch nicht ...

      Nicht zufällig?

      Also waren zwischen dem ersten bewußten Eindruck und dem zweiten schon tausend verbindende Zwischeneindrücke, die ihm nicht bewußt geworden?

      Hm, hm; Aber das ist ja gleichgültig, es handelt sich doch nur um Bewußtes.

      Ihre Hände waren sich begegnet: er hatte den Eindruck von etwas Nacktem, das Gefühl eines ganz nackten Mädchenkörpers, der sich an seine Brust anpreßte: ein Gefühl, das über seinen ganzen Körper mit leisem, prickelndem Behagen strömte.

      Er konnte ganz genau konstatieren, woher es kam: Er war kaum zwölf Jahre alt und badete mit einem Mädchen zusammen.

      Das taten nämlich alle Kinder hier in seiner Heimat.

      Das verehrte Publikum, dem er das vielleicht einmal erzählen sollte, durfte durchaus nicht glauben, daß darin was unanständiges läge.

      Nein, durchaus nicht; man braucht doch nicht gleich immer überall Unanständigkeiten wittern.

      Falk wurde ganz wütend.

      Wie sagt doch Hamlet? Den Aussätzigen juckt es ... Wer ist nun der Aussätzige? Ich oder das Publikum? Selbstverständlich ihr – quos ego:

      Nun lachte er herzlich: Warum war er eigentlich so wütend geworden?

      Na ja ... Das Mädchen fiel also in das Loch.

      Unwillkürlich dachte er an die vielen Löcher und Wirbel in dem heimatlichen See.

      Seine Gedanken wurden immer flattriger. Er merkte es plötzlich und bemühte sich, sie auf einen Punkt zu sammeln.

      Er griff nach dem Mädchen und trug es eng angepreßt aus dem Wasser heraus.

      Wieder fühlte er das heiße Beben in sich: damals war sein Geschlecht geboren.

      Falk dachte mit seltsamer Zärtlichkeit an das Mädchen, das in ihm den Mann gezeugt hatte.

      Merkwürdig! Ja, ja. Aber wie kam es nur, daß er bei Marit –ja, wirklich, bei Marit – zum ersten Mal nach vielen, vielen Jahren diese Empfindung bekam? Warum nicht bei anderen Frauen? Warum nicht bei seiner eigenen?

      Das begriff er nicht; da war wohl auch nichts zu begreifen.

      Ja, richtig, das war sehr interessant: Sie sprachen viel mit einander, sie kam grade aus dem Kloster und sprach viel über Religion und Askese. Ja, von Askese und von den Instrumenten zum flagellieren, die auf dem Markt gekauft werden können.

      Mit welcher Andacht hatte er auf ihre Stimme gehorcht und mußte dabei immerfort an einen wunderbar weichen, unerklärlichen Orgelton in der heimatlichen Kirche denken. Der Ton wurde erzeugt, wenn der Organist zwei Register zog; er hatte sie oft gezogen, er liebte sie. Wie hießen sie doch nur?

      Falk konnte sich nicht besinnen, so viel er auch nachdachte.

      Es wurde ihm sehr weich ums Herz. Er hörte deutlich diesen einen kombinierten Ton, der ihm schließlich ganz zu etwas Fließendem wurde. Ja: zu einer seidig fließenden Masse.

      Er hatte deutlich die Empfindung von seidenweichen Haaren, in denen er mit beiden Händen wühlte. Er sah Marit vor sich.

      Nein, nein! Er mußte zu Ende denken. Das war der Fall, der wichtige interessante Fall.

      Also aus drei dummen Eindrücken, die er auch von tausend anderen Weibern hätte empfangen können, war seine Liebe geboren?!

      Das konnte er nicht verstehen. Unmöglich. Der Grund mußte doch wohl tiefer liegen.

      Marit mußte doch etwas an sich haben, das in das Innerste in ihm gegriffen hatte, in ein Etwas, worin das ganze Rätsel und Geheimnis seiner Natur lag.

      Plötzlich wußte er es. Ganz gewiß. Das war seine Heimat ...

      Ja ganz sicher.

      Marit hatte etwas von seiner Heimat; etwas Weites in der Stirnform. Ja, es war in diesen Formen etwas von dem herben Flachland, das er so unendlich liebte.

      Diese lächerliche Heimat, die ein Idiot mit ein paar Strichen zeichnen könnte!

      Warum goß sich grade in diese Formen sein feinstes, reinstes Empfinden? Warum liebte er sie so, diese Stirne mit den blonden, reichen Haaren, die so einfach, so uneuropäisch einfach gescheitelt lagen?

      Was ging in ihm vor?

      Wars denn wirklich Liebe?

      Nein, Unsinn! Er liebte nur eine Frau: seine Frau, sein herrliches, sein wunderbares Weib, das ein Stück von ihm geworden: Seele von seiner Seele, Geist von seinem Geist.

      War es also nur das Geschlecht?

      Ja, mein Gott, dann hätte das idiotische Geschlecht sich doch auf tausend andre Weiber richten können; es gab von dieser Ware ja hunderttausendfach allein in Paris.

      Hm ...

      Aber er war ein differenzierter Mensch. Er war die feinste Crême der europäischen Gesellschaft. Ja, er, Herr Erik Falk, die blonde Bestie. Sein Geschlecht war zart und spröde; er war zu sehr mit seinem Gehirn verwachsen, es brauchte Seele, und aus der Seele mußte es geboren werden.

      Ja, und?

      Ja, das heißt, daß ich Marit begehre, daß ich sie haben will, daß ich sie haben muß: denn so ist Mein Wille.

      Falk fieberte; er fühlte eine wahnsinnige Sehnsucht nach Marit.

      Jetzt lag sie da in ihrem Bette: Die Hände über der Decke keusch gefaltet, vielleicht das Messingkreuz, das er so oft bei ihr gesehen hatte, in den Händen.

      Eine СКАЧАТЬ