Stanislaw Przybyszewski: Romane, Erzählungen & Essays. Stanislaw Przybyszewski
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Stanislaw Przybyszewski: Romane, Erzählungen & Essays - Stanislaw Przybyszewski страница 49

Название: Stanislaw Przybyszewski: Romane, Erzählungen & Essays

Автор: Stanislaw Przybyszewski

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027205639

isbn:

СКАЧАТЬ wieder sah Marit ein Mal über das andre zu ihm auf, aber er schien es durchaus nicht sehen zu wollen.

      – Ist es wirklich wahr, daß Sie fahren wollen?

      – Falk sah sie an, als hätte er sie nicht verstanden, mit kaltem, müdem Blick.

      – Ach so! Fahren? Freilich, ja, ganz gewiß. Was soll ich denn hier machen? Sie dürfen nicht glauben, daß es ein Vergnügen sei, sich in Ihrer Nähe zu quälen; davon hab ich jetzt genug. Ja, ich will fahren; vielleicht heute schon. Übrigens ist nur alles egal; und wahrscheinlich werde ich tun, was mir grade einfallen wird.

      Über Marits Wangen liefen zwei große Tränen.

      – Das dürfe er nicht tun. Alles sei Lüge, was er ihr von Liebe spreche. Das könne ein Mensch, der liebt, nicht tun.

      – Aber um Himmelswillen, sagen Sie mir, was Sie von mir wollen? Ja sagen Sie nur: Sie wissen doch sehr gut, daß Sie mir das größte Glück geben könnten, wenn ich Sie nur küssen dürfte; das erlauben Sie nicht. Ich will mit Ihnen von etwas sprechen, das in mir wühlt; das darf ich auch nicht. Also was – was?

      Marit weinte.

      – Sie haben ja gesagt, daß ich Sie nicht lieben darf, daß Sie mir nichts geben können! Sagten Sie nicht, daß Sie unmöglich von mir Liebe nehmen könnten?

      – Gott, ich habe Ihnen ja erklärt, warum ich das sagte. Übrigens, wenn auch Hindernisse vorhanden wären, verstehen Sie nicht das unendliche Glück des Augenblickes?

      Marit sah ihn erstaunt an.

      – Was wollen Sie – was wollen Sie von mir? Sprechen Sie ganz offen.

      – Was ich will? Was ich will? Tja! Weiß ich?

      – Ja, Sie wollen mich verderben! Sie wollen mich ins Unglück stürzen, um dann wegzufahren – nicht wahr?

      – Verderben? – Unglück? – Engländer wollen das Glück ... Lächerlich, ekelhaft, dieses satte Glück von Müller und Schulze! Können Sie nicht begreifen, daß das höchste Glück in einer Sekunde liegt? daß es ekelhaft ist, in ewigem Glück herumzuplantschen? – Was ich von Ihnen will? Zwei, drei Stunden Glück, und dann weg, weit weg! Das Glück ist schamhaft; man entehrt es, macht es unanständig, wenn man es lange genießt.

      – Gott, quälen Sie mich nicht so furchtbar. Ich kann es nicht aushalten. Wollen Sie denn, daß ich zu Grunde gehe!

      – Nein, das will ich nicht. Sprechen wir nicht mehr davon. Es ist ja Wahnsinn, daß ich immer um den einen Gedanken herumgehen muß; das will ich nicht mehr. Ich will nichts mehr sagen. Ich will gut zu Ihnen sein, ganz gut. Sie müssen nur nicht weinen. Nein, das dürfen Sie nicht.

      Falk war ganz verzweifelt; ein tiefes Mitleid würgte ihn.

      – Ja, ja, weinen Sie nicht; ich werde gut sein und vernünftig und sehr lustig. Soll ich Ihnen etwas sehr schönes erzählen?

      – Ja, das solle er; sie höre ihn so gerne.

      Eine Weile verging.

      – Nun; ich hatte heute einen merkwürdigen Traum. Wissen Sie, als mein Papa noch lebte, hatten wir ein kleines Gut, dicht an der russischen Grenze; gleich hinter unsrer Scheune stand der russische Grenzbeamte. So geschah es, daß ein Knecht Getreide gestohlen hatte. Mein Vater war ein wilder, strenger Mann. Er hat mich maßlos geprügelt. Besser wurde ich wahrhaftig nicht davon; im Gegenteil, ich haßte ihn so redlich, wie nur eine Kinderseele hassen kann.

      Nun hatte aber mein Vater den Diebstahl und den Dieb entdeckt. Alle Knechte wurden aus dem Dorfe zusammengerufen und der Schuldige vor den Vater gestellt.

      – Hast du gestohlen?

      – Ja, antwortete trotzig der Knecht.

      – Willst du ins Gefängnis kommen, oder dreißig Peitschenhiebe empfangen?

      Ohne einen Laut legte sich der Knecht auf die Erde und die Exekution begann.

      – Schlag gut zu, sonst wirst du selbst geprügelt, schrie mein Vater dem Kutscher zu.

      Und der Kutscher schlug mit der starken, ochsenledernen Peitsche, so viel er Kraft hatte.

      – Nun schlag du! rief er einem idiotischen Viehknecht zu, dessen breites Gesicht sich zu einem behaglichen Grinsen verzerrte.

      Ein Hieb so wuchtig, so furchtbar wuchtig ... aber mein Gott, seien Sie doch nicht so furchtbar empört, mein Fräulein; bis jetzt ist alles in Ordnung ...

      Also ein furchtbarer Hieb sauste auf den Körper des Unglücklichen. Er sprang auf, fletschte mit den Zähnen und legte sich wieder.

      Die umstehenden Knechte lachten laut auf, in heller Freude: Das hat der Viehknecht gut gemacht! Ja, er hat Kräfte wie ein Goliath!

      Noch ein Hieb, noch zwei, drei, vier, fünf ...

      Ich schrie, ich raste in meinem Versteck. Ich kratzte den Boden mit den Fingern. Ich stopfte mir die Ohren mit Erde voll, um nichts zu hören. Ja, ja, als Kind ist man so blödsinnig mitleidig.

      Die Exekution war zu Ende. Der Knecht erhob sich und fiel wieder um; er konnte nicht gehen. Um ihn herum brach das Menschenvieh in helles Gelächter aus.

      Aber der Knecht hatte unerhörte Willenskraft; er erhob sich doch und schleppte sich zum Hofe hinaus.

      Mein Vater war zufrieden und setzte sich zum Frühstück. Ich erinnere mich, er aß viel und gut. Ich hätte wie eine Wildkatze auf ihn springen, ihn zerreißen mögen. Aber begreiflicherweise ließ ich das.

      In der Nacht brannte unser Hof an allen vier Ecken. Ich sprang aus dem Bett und freute mich darüber, wie ich mich in meinem Leben nicht gefreut habe. Nun war mein Vater bestraft!

      Die Türen der Ställe wurden aufgerissen, das Vieh wurde herausgebracht ...

      In diesem Augenblicke trat meine Mutter ins Zimmer und der Traum war zu Ende.

      Marit war ganz erschüttert.

      – Hat sich denn das in Wirklichkeit so zugetragen, oder war alles nur Traum?

      – Nun, das ist ja gleichgültig. Das Interessante ist nur die Arbeit des schlafenden Individualbewußtseins. In dem Augenblick, als die Mutter die Tür aufmachte, hat das nicht schlafende Bewußtsein die ganze Erinnerung mit einer unerhörten Schnelligkeit abgewickelt. Daran ist übrigens nichts merkwürdiges. Hippolit Taine erzählt von einem Manne, der während einer Ohnmacht, die nur zwei Sekunden dauerte, ein Leben von fünfzig Jahren durchlebte.

      Das konnte Marit nicht verstehen.

      – Das ist auch gar nicht nötig, daß Sie es verstehen. Rassurez-vous: ich verstehe es auch nicht ... Nun traten zu der ursprünglichen Erinnerung andere Eindrücke, und das alles hat sich so mit einander zu einem Traum verflochten.

      Marit gab sich nicht zufrieden; Falk solle ihr das näher erklären.

      – Nein, Fräulein Marit, Sie werden nicht klüger dadurch. Sie müssen nur zugeben, daß die Seele ein anderes Ding ist, ganz anders, als sie sich in den rohen ungebildeten Gehirnen der Kirchenväter widerspiegelte. СКАЧАТЬ