Название: Vom Stromkartell zur Energiewende
Автор: Peter Becker
Издательство: Bookwire
Серия: ZNER-Schriftenreihe
isbn: 9783800593729
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Emmerichs Gutachten, ein spannendes Plädoyer für die Liberalisierung der Energiemärkte, rational kaum zu widerlegen, blieb ergebnislos. Der Grund liegt auf der Hand: Die Liberalisierung, insbesondere deren Folge, dass sich Energiepreise im Wettbewerb bilden müssten und nicht von Monopolisten gesetzt würden, die sich immer darin einig waren, weit über den Produktionskosten liegende Preise zu nehmen, die Unwirksamkeit der Preisaufsicht, das Ausbleiben wirksamer Fusionskontroll- oder gar Entflechtungsmaßnahmen, all das ist darauf zurückzuführen, dass die Maßregeln sich gegen den Staat selbst gerichtet hätten. Warum sollte er ein über hundert Jahre altes System von Monopolen, die ja immerhin die Energieversorgung sichergestellt hatten, aufgeben und sich selbst Zwänge auferlegen?
Diese Form insbesondere der Stromversorgung in der Hand faktisch eines gigantischen staatlichen Monopols hatte noch ein weiteres Gutes. Die Aufsichtsbehörden von Bund und Ländern, seien es die Kartellbehörden oder die eigentlichen Energieaufsichten, kamen mit einem Minimum an Personal aus. Selbst beim Bundeskartellamt gab es, wie erwähnt, bis vor wenigen Jahren nur eine einzige Beschlussabteilung mit fünf bis sechs Beamten, die die gesamte Energiewirtschaft mit einem Umsatz von – geschätzt – der Hälfte des Bundeshaushalts zu überwachen hatten. Und die Preisaufsichtsbehörden der Länder, die pro Land – auf dem Papier – die Strompreise von teilweise über hundert regionalen und kommunalen Stromversorgern zu genehmigen hatten, kamen mit ein bis zwei Beamten aus. Man ging so vor, dass die Preise eines einzigen Unternehmens, beispielsweise in Nordrhein-Westfalen des RWE oder in Hessen der Energie-Aktiengesellschaft Mitteldeutschland (EAM), die zu 54 % Landkreisen gehörte, geprüft wurden. Alle anderen Unternehmen erhielten sogenannte „Erstreckungsgenehmigungen“. Damit wurde unterstellt, dass die Kostensituation bei dem einzigen geprüften Unternehmen in etwa auch bei den anderen Unternehmen vorlag – was klar gesetzeswidrig war. Aber dass Verbraucher gegen ein solches System geklagt hätten, ist nicht bekannt geworden. Die Rechtsprechung half ihnen jedenfalls nicht. Nach einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts43 können Verbraucher die Preisgenehmigung der Aufsichtsbehörde nicht vor den Verwaltungsgerichten anfechten. Dem Verbraucher bleibe ja noch der Zivilprozess gegen den Strompreis. Ein solcher Prozess hätte freilich große Probleme verursacht, hätte doch der Verbraucher die Kosten- und Gewinnsituation des versorgenden Monopolisten darlegen müssen, um die Gerichte zu einer Monopolpreiskontrolle zu bewegen. Das scheiterte schon an den Beweisproblemen.
Es gibt nur einen einzigen Prozess, in dem die Stromkonzerne kräftig Federn lassen mussten. Das war der Stromstreit vor dem Bundesverfassungsgericht (s. dazu das nächste Kapitel), in dem ostdeutsche Städte und Gemeinden sich die Stellung erstritten, die sie noch in der Nazi-Zeit hatten, die aber von der DDR beseitigt worden war: die kommunale Strom- und (in der Folge des Stromstreits vor dem Bundesverfassungsgericht) Gasversorgung. Die westdeutschen Stromkonzerne hatten sich anlässlich der Deutschen Einigung die gesamte Stromversorgung in den Neuen Ländern einverleiben wollen. Aber sie erlitten eine Niederlage. Denn sie hatten nicht damit gerechnet, dass der Rechtsstaat, den sie eigentlich von Anbeginn in der Hand hatten, plötzlich gegen sie eingesetzt werden sollte.
6. Nötige Änderungen
Wenn der Staat eine wirksame Kartellaufsicht will, müssen die Kartellbehörden von Bund und Ländern anders aufgestellt und es muss auch für eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen der Kommission und dem jeweiligen Mitgliedstaat gesorgt werden. Die Forderungen zur Veränderung liegen auf der Hand:
– Ausgliederung des Bundeskartellamts aus dem Geschäftsbereich des Bundeswirtschaftsministeriums,
– Aufgabe der Praxis, Präsidenten grundsätzlich aus den Bediensteten des Wirtschaftsministeriums zu stellen,
– massive Aufstockung der personellen Ausstattung des Amtes, insbesondere auch für die Energiewirtschaft,
– bessere Ausstattung der Prozessabteilung,
– Verbesserung der Besoldung: Der Präsident wird nach der Besoldungsstufe B8 bezahlt und ist damit – etwa – dem Präsidenten des Statistischen Bundesamtes, aber auch dem Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz gleichgestellt. Aber er ist damit eine Besoldungsgruppe schlechter eingeordnet als etwa ein Botschafter oder ein Ministerialdirektor. Die Vorsitzenden der Beschlussabteilung erhalten B3 und liegen damit weit unter den Bundesrichtern, die – auf der Basis einer eigenen Besoldung – etwa B6 verdienen. Diese Besoldung ist angesichts der geforderten Qualifikation, zu der auch eine durch Qualifikation erworbene Unabhängigkeit gehört, und vor allem angesichts der sehr weitreichenden Konsequenzen kartellbehördlicher Entscheidungen, nicht angemessen. Wer sich eine Kartellamtspraxis wünscht, die den gesetzlichen Aufgaben gerecht wird, muss auch für ein angemessenes Besoldungsgefüge sorgen.
In der Frage des Amtsstatus könnte sich bald Bewegung ergeben. Nach dem dritten Richtlinienpaket der EU müssen Regulierungsbehörden völlig unabhängig werden. Damit verträgt sich die Einordnung in den Geschäftsbereich eines Ministeriums nicht. Wenn aber die Bundesnetzagentur (und die Landesregulierungsbehörden?) aus dem Geschäftsbereich des Bundeswirtschaftsministeriums ausgegliedert werden, was ist dann mit dem Bundeskartellamt? Der Aufgabenbereich verlangt Gleichstellung.
Eine weitere Möglichkeit, die Strukturen der marktbeherrschenden Unternehmen in der Energiewirtschaft zu verändern, liegt in der Einführung einer Entflechtungsbefugnis des Bundeskartellamts, die mit der 8. GWB-Novelle vom 5.6.2013 gekommen ist. Eine solche Entflechtungsbefugnis ist notwendig, weil Amt und Monopolkommission darüber einig sind, dass strukturellen Eingriffen der Vorrang gegenüber Maßnahmen etwa der kartellrechtlichen Preishöhenkontrolle gebührt. Aber auch hier ist die Einführung des Instrumentes durch den Gesetzgeber das eine, dessen Anwendung durch das Bundeskartellamt das andere, zumal der Bundeswirtschaftsminister diesen Fällen immer höchste Aufmerksamkeit widmen wird. Offen blieb, ob einer verbreiteten Kritik an der Ministererlaubnis folgend,44 die Ministererlaubnis für Fusionen abgeschafft wird.
12 Ziff. 12 Abschnitt III b. 13 Dazu Wernhard Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, 1983, 22. 14 Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, 1983, hier: 32ff. 15 Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, 1983, 18. 16 Ausschuss zur Untersuchung der Erzeugungs- und Absatzbedingungen der deutschen Wirtschaft, Kartellpolitik, 1930, Teil I, Generalbericht. 17 RGBl. I, 488. 18 Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, 1983, 20. 19 US-MRG Nr. 17 v. 18.1.1947, im Wortlaut fast übereinstimmend Brit.MR-VO Nr. 78 v. 12.2.1947; sehr viel allgemeiner dagegen die französische MR-VO Nr. 96 v. 9.6.1947. 20 BGBl. II, 1954, 157. 21 BGBl. I, 1081. 22 СКАЧАТЬ