Название: Vom Stromkartell zur Energiewende
Автор: Peter Becker
Издательство: Bookwire
Серия: ZNER-Schriftenreihe
isbn: 9783800593729
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Im Ergebnis wurden die Verbote der §§ 1 und 15 GWB sowie die Missbrauchsaufsicht nach § 18 GWB durch die Spezialregelungen der §§ 103 und 104 GWB verdrängt. § 103 garantierte ein System geschlossener Versorgungsgebiete, die sogenannten Demarkationen oder Gebietsmonopole. Kommunen hatten das Recht als Wegeeigentümer, in ihrem Gebiet nur einem einzigen Versorger ein ausschließliches Recht zur Benutzung der Wege für die Verlegung und den Betrieb von Leitungen zu verleihen. Dieses Recht war zunächst unbefristet. Das waren die sogenannten horizontalen Demarkationen. Nicht im Gesetz vorgesehen, aber von der Versorgungswirtschaft reklamiert wurden – durchaus konsequent – die sogenannten vertikalen Demarkationen: Danach durfte in ein bestimmtes Gebiet auch nur ein einziger Vorlieferant Strom oder Gas hineinleiten – mit dem Ergebnis, dass langfristige Lieferverträge – i.d.R. 20 Jahren mit einer sogenannten Gesamtbedarfsdeckungsverpflichtung galten.
Mit diesen Ordnungsprinzipien schrieb der Gesetzgeber des GWB im Grunde das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) von 1935 fort. Danach war eine billige und sichere Energieversorgung nur gewährleistet, wenn die Versorgungsunternehmen sich auf feste Versorgungsgebiete mit langfristig gesichertem Absatz einstellen könnten. Und: „Dafür war Wettbewerb schädlich“, so die Präambel zum EnWG.
Auch in der Rechtsordnung der Bundesrepublik hatte sich also das Denken durchgesetzt, mit dem – insbesondere – die Stromwirtschaft von vornherein angetreten war: Wettbewerb ist von Übel, das Kartell ist das Eigengesetz der Versorgungswirtschaft: Ein Paradies! Freilich hatte der Gesetzgeber des GWB mit dem § 104 eine spezielle Missbrauchsaufsicht eingeführt. Diese sollte sich allerdings im Wesentlichen auf eine Preiskontrolle beschränken. Geprüft wurde, ob die freigestellten Verträge zu einer Verbilligung oder entgegen dem Zweck der Freistellung zu einer Verteuerung der Versorgung führten. Als Maßstab kamen aber immer nur die Preise anderer Versorgungsunternehmen in Betracht – und damit Monopolpreise. Denn Wettbewerb gab es ja nicht. Daher verständigten sich die Kartellreferenten in den Jahren 1965 und 1967 auf zwei Entschließungen, die sog. Vertikal- und die sog. Horizontalentschließung. Danach war ein Missbrauch der Freistellung vor allem anzunehmen, wenn ein Nachbar- oder Lieferunternehmen ohne Gebietsschutzverträge ohne weiteres in der Lage gewesen wäre, zu seinen günstigeren Preisen das Gebiet des betroffenen Unternehmens zu versorgen, und hieran nur durch die freigestellten Verträge gehindert wurde.33 In der Praxis führte das allerdings nur zu einer Angleichung der Preise auf dem Höchstniveau, auch wenn die Kartellbehörden bis 1974 über 400 Verfahren gegen Versorgungsunternehmen wegen des Verdachts missbräuchlich überhöhter Preise durchführten. Diese Preiskontrolle kam aber plötzlich zum Erliegen – und das ausgerechnet durch eine Gerichtsentscheidung: Den bekannten Stromtarifbeschluss des BGH von 1972, in dem das Gericht verlangte, dass die Kartellbehörde bei ihrem Preisvergleich zugunsten des betroffenen Versorgungsunternehmens nicht die unternehmensindividuellen Kosten berücksichtigen durfte, sondern nur die sogenannten strukturbedingten – also beispielsweise überhöhte Kosten infolge schwieriger Bodenverhältnisse (Fels o.Ä.).34 Das zwang die Kartellbehörden, Kriterien für einen exakten Strukturvergleich zu entwickeln, auch wenn die Beweislast eigentlich beim Unternehmen lag (§ 103 Abs. 1 Nr. 2 GWB). Aber diese Aufgabe stellte sie vor unlösbare Aufgaben. Strukturvergleiche erfordern einen hohen Datenaufwand, zu dessen Erhebung die Kartellbehörden – ohnehin unzureichend ausgestattet – nicht in der Lage waren. Ergebnis: Die Missbrauchsaufsicht fand nur noch in besonders schwerwiegenden Ausnahmefällen statt.35
Diese Zustände riefen die Monopolkommission auf den Plan. Die Monopolkommission ist ein Beratungsorgan der Bundesregierung, vorgesehen im GWB. Sie wartete auf mit einem Paukenschlag: Die bisherige Fach- und Preisaufsicht sei wirkungslos.36 Aber: Die Empfehlung, die Freistellung der Gebietsschutzverträge durch § 103 GWB aufzuheben, unterblieb. Denn „es sei außerordentlich schwierig, die Wirkung einer Aufhebung der Freistellung, der Einführung eines Widerspruchsrechts der Kartellbehörden oder der Verschärfung der Missbrauchsaufsicht auf die Energieversorgung und auf die Marktstrukturen auch nur annähernd vorausschauend zu beurteilen“ ... (Immerhin) die üblichen Einwände gegen die Anordnung von Durchleitungsrechten seien nicht zwingend, weil schon jetzt vertragliche Durchleitungen sowohl zwischen Verbundunternehmen als auch zwischen EVU und den Betreibern industrieller Eigenanlagen vielfach praktiziert würden (Tz. 767). Die vertraglichen Wettbewerbsbeschränkungen auf dem Elektrizitätsmarkt könnten daher der wirtschaftlichen Nutzung aller Energiequellen entgegenstehen; Durchleitungsrechte könnten zur wirtschaftlich verbesserten Nutzung elektrischer Energie beitragen. Doch handele es sich bei alledem nur um Instrumente, die der Aufsichtsbehörde im Einzelfall zur Verfügung stehen sollten (Tz. 768).“ Vorgeschlagen wurden letztlich nur Maßnahmen zur Verbesserung der Fach- und Preisaufsicht. Radikalere Vorschläge unterblieben.
Und dennoch: Die Vorschläge der Monopolkommission stießen auf breite Ablehnung. Vor allem die Bundesregierung sprach sich mit Nachdruck gegen die Vorschläge aus.37 Ihr gefiel schon nicht die Kritik der Monopolkommission an der geltenden Fach-, Preis- und Missbrauchsaufsicht (die ja in staatlicher Hand lag!). Vor allem wandte sie sich gegen die Konzentration der Aufsicht bei einer zentralen Bundesbehörde mit weitgehenden Befugnissen zur Kontrolle der Unternehmen. Warum, wird man später sehen.
Ebenso negativ war natürlich die Stellungnahme der Elektrizitätswirtschaft, also ihrer Verbände Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke (VDEW), Arbeitsgemeinschaft der Regionalen Energieversorger (ARE), Deutsche Verbundgesellschaft (DVG) und Verband Kommunaler Unternehmen (VKU).38 Vor allem wandten sie sich gegen die Anordnung allgemeiner Durchleitungsrechte. Zwar wurden die Interessenkonflikte klar gesehen. Aber diese müssten im Sinne der Versorgungsunternehmen gelöst werden, die ja im öffentlichen Interesse handelten.39 Auf jeden Fall sei eine solche umfassende staatliche Lenkung der unternehmerischen Entscheidungen verfassungswidrig.
Ganz anders äußerte sich dagegen die Vereinigung Industrielle Kraftwirtschaft (VIK), das Sprachrohr der Industrie, die über Eigenerzeugung verfügte. Sie stimmte der Analyse der Monopolkommission zu, zog daraus aber andere Folgerungen. Der VIK forderte vielmehr, die Freistellung der Demarkationsverträge einzuschränken, die Ausschließlichkeitsbindung in den Konzessionsverträgen und in den Verbundverträgen zu beseitigen, das Vorsehen von Durchleitungsrechten (in § 103 Abs. 1 Nr. 4 GWB fand sich nur ein zaghafter Einstieg), den Abbau der Behinderung der Kraft-Wärme-Kopplung und die Verbesserung der Bedingungen für die Einspeisung von Überschussstrom. Ähnliche Überlegungen finden sich auch in weiten Teilen des Schrifttums.40 Dagegen schrieben wiederum die Autoren an, die bekanntermaßen der Energiewirtschaft nahestanden.41
5. Woran sind die Reformpläne gescheitert?
Die Antwort ist einfach: Am Staat in seiner Eigenschaft als Stromversorger. Etwa 50 % des gesamten Stromabsatzes stellen die Kommunen sicher, und zwar damals vor allem in der Rechtsform des Eigenbetriebs, in dem die Energie- und Wasserversorgung rechtlich in der Hand der Gemeinde liegen und lediglich wirtschaftlich wie ein Unternehmen geführt wird. Bis heute gibt es noch zahlreiche Eigenbetriebe insbesondere in Bayern und Baden-Württemberg. Die Münchener Stadtwerke, der größte kommunale Energieversorger überhaupt (wenn man einmal von den Hamburger Elektrizitätswerken und der Berliner BEWAG absieht, die sich gerne zu den acht Verbundunternehmen zählten), waren bis 1998 noch Eigenbetrieb. Gegen die Städte und Gemeinden und ihre mächtigen Verbände, den Deutschen Städtetag und die Städte- und Gemeindebünde, lief in der Gesetzgebung nichts. Und die Mehrzahl der Verbundunternehmen gehörte ebenfalls der öffentlichen Hand: Die Macht beim RWE lag selbst dann, als in steigendem Umfang der Aktienbesitz privatisiert wurde, in der Hand der Kommunen mit ihren Mehrfachstimmrechten, die PreussenElektra gehörte über die VEBA dem Bund, das Bayernwerk dem Bund und dem Freistaat Bayern, die Energieversorgung Schwaben (EVS) und das Badenwerk mehrheitlich dem Land Baden-Württemberg bzw. Kommunen und Kreisen, die Hamburger Elektrizitätswerke und die BEWAG der Freien und Hansestadt Hamburg und dem Land Berlin usw. Darauf СКАЧАТЬ