Название: Vom Stromkartell zur Energiewende
Автор: Peter Becker
Издательство: Bookwire
Серия: ZNER-Schriftenreihe
isbn: 9783800593729
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All diese Regelungen hat der Gesetzgeber getroffen, obwohl klar war, dass die betroffenen ehemals volkseigenen Kombinate und Betriebe durch das Treuhandgesetz in Kapitalgesellschaften umgewandelt worden waren. Sollten sie nicht ins Leere gehen, musste die Entflechtung und teilweise Vermögensübertragung trotz der Umwandlung in Kapitalgesellschaften möglich sein und bleiben. Auch dafür hatte der Gesetzgeber eine Regelung vorgesehen. Aber er hat sie, den § 4 Abs. 2 des Kommunalvermögensgesetzes, missverständlich formuliert. Die Vorschrift lautet: „Sofern Betriebe und Einrichtungen, die nach den Grundsätzen dieses Gesetzes in kommunales Eigentum überführt werden müssen, bereits in Kapitalgesellschaften umgewandelt worden sind, gehen die entsprechenden ehemals volkseigenen Anteile in das Eigentum der Gemeinden und Städte über.“
Dem Verständnis dieses Begriffs „ehemals volkseigene Anteile“ muss man näher nachgehen, weil er später, nämlich im Einigungsvertrag, einen folgenschweren Bedeutungswandel durchgemacht hat. Das Kommunalvermögensgesetz geht auf zwei Fraktionsentwürfe zurück.48 Beide Entwürfe enthalten bereits Regelungen, die im Wesentlichen dem späteren § 4 Abs. 2 KVG entsprechen.49 Danach gehen, sofern zu kommunalisierende Unternehmen, Anlagen und Einrichtungen bereits in Kapitalgesellschaften umgewandelt worden sind, „deren Anteile nach Maßgabe der Vorschriften des § 3 in das Eigentum der Städte und Gemeinden über“. Die wesentlichen Maßgaben des § 3 lauten wie folgt (Drs. 106): „1. Die Städte und Gemeinden haben in Abstimmung mit den in § 1 Abs. 2 zuständigen Institutionen Verzeichnisse über die Unternehmen, Einrichtungen und Anlagen gem. § 1 (2), die in ihr Eigentum übergehen sollen, anzulegen. Diese haben sie innerhalb eines Monats nach Inkrafttreten dieses Gesetzes aufzustellen und der Treuhandanstalt vorzulegen. Diese Verzeichnisse sind von der Treuhandanstalt zu prüfen und zu genehmigen. 2. Sofern zwei oder mehrere Städte und Gemeinden dieselben Unternehmen, Einrichtungen und Anlagen in ihre Verzeichnisse aufgenommen haben, entscheidet die Treuhandanstalt nach Anhörung der beteiligten Städte und Gemeinden über die anteilige Eigentumsverteilung.“
Diese Fraktionsvorlagen wurden am 29.6.1990 in erster Lesung in der Volkskammer behandelt. Am Tag vorher waren die „Stromverträge“ bekannt geworden. Die entstandene Situation kommentierte der Abgeordnete Nooke für die Fraktion Bündnis 90/Grüne wie folgt: „Gerade in der Energiewirtschaft müssen neue kommunale und dezentrale Konzepte durchsetzbar werden, was kommunales Eigentum an Leitungsnetzen und Erzeugungsanlagen nötig macht. Mit dem gestern vorgesehenen Verkauf der Elektroenergiewirtschaft nach dem hier vorgelegten Vertrag und den damit zu vermutenden Monopolstellungen, wie das gestern deutlich wurde, wird kommunale Eigenständigkeit verhindert. Die Kommunalisierung ist auch ein Gebot der Demokratie. Städte und Gemeinden sind der tragende Teil der demokratischen und föderalistischen Strukturen, die wir schaffen wollen. Damit muss ihnen auch die entsprechende Verantwortung übertragen werden, Selbstverantwortung für die Betreuung und die Versorgung der Bürger wahrzunehmen. Deshalb müssen Kommunen entsprechende Einrichtungen, Anlagen und Unternehmen in Besitz nehmen. Das bedarf, wie eingangs gesagt, schnellstens des dafür nötigen Rechtsaktes. Wir haben eben immer noch nicht die nötigen klaren Regelungen, wer Eigentümer wovon ist.“50 Die Beschlussvorlage für die zweite Lesung stammte aus dem Ministerium für kommunale und regionale Angelegenheiten, das die Fraktionsentwürfe erarbeitet hatte. Die systematische Unsicherheit im Umgang mit dem späteren § 4 Abs. 2 hat aber nichts daran geändert, dass der Gesetzgeber die Kommunen nicht auf Kapitalbeteiligungen an den Regionalversorgungsunternehmen reduzieren wollte. Im Gegenteil kann man den Wortmeldungen in der Volkskammer entnehmen, dass die Abgeordneten davon ausgingen, dass die betreffenden Vermögensübergänge mit dem Inkrafttreten des Gesetzes stattzufinden hätten, auch wenn der Wortlaut des Gesetzes (vgl. insbesondere § 7 Abs. 1) auch eine andere Deutung zulässt.
Der Berichterstatter Dr. Ullmann führte Folgendes aus: „§ 1 ist eine Definition des kommunalen Vermögens, und daran schließt sich in den §§ 2–6 eine Umfangsbestimmung dessen an, was diesen gesetzlichen Verfahren unterworfen wird oder unterworfen werden kann. § 7 halte ich für eine ganz besonders wichtige Bestimmung, weil hier das Verfahren festgelegt ist. Dieses Verfahren, meine Damen und Herren, legt uns auch Eile nahe.“51 Und an anderer Stelle führte er aus: „Der Sinn dieses Gesetzes ist ja, dass zunächst einmal die Gemeinden in den Besitz des Grund und Bodens gelangen sollen. Das ist dann die Rechtsgrundlage – deswegen auch das Eilbedürfnis bei diesem Gesetzesvorhaben –, auf der dann solche Fragen geregelt werden können.“
Die Volkskammer beschloss das Kommunalvermögensgesetz sodann bei einer Gegenstimme und einer Enthaltung. Die Abgeordneten wussten, wie der Ablauf zeigt, genau, was ihre eigene Regierung vorhatte – und was sie nicht wollten: den Komplettverkauf des Energieversorgungsvermögens an die Westkonzerne.
Dieser Widerstand zeigte sich auch in der weiteren gesetzgeberischen Arbeit der Volkskammer. Es wurde unter dem 25.7.1990 eine erste Durchführungsverordnung zum Kommunalvermögensgesetz beschlossen, die Eigentumsüberführungsverfahrensordnung. Dazu erließen der Wirtschaftsminister und der Minister für regional und kommunale Angelegenheiten Empfehlungen zu den Anträgen zur Überführung volkseigenen Vermögens in das Eigentum der Gemeinden, Städte und Landkreise, wo auf § 4 Abs. 2 des Kommunalvermögensgesetzes Bezug genommen wurde, wo die „ehemals volkseigenen Anteile“ erwähnt sind. Zur Erläuterung hieß es jetzt: „In diesen Fällen können die Gemeinden, Städte und Landkreise entscheiden, ob sie die ehemals volkseigenen Anteile körperlich, z.B. zur Gründung von Eigenbetrieben oder Eigengesellschaften, oder in Form von Kapitalanteilen übernehmen wollen. Die Art und Weise der Übernahme ist in den Anträgen zur Übertragung des Vermögens auszuweisen.“ Damit war eigentlich alles Wichtige geregelt.
4. Die Gegenbewegung: Stromkonzerne und Bundesregierung Hand in Hand
Die Gegenbewegung ging vom Westen aus. Die Wirtschafts- und Währungsunion hatte nämlich Konsequenzen auch für die Energieversorgung. Die beiden Stromkonzerne PreussenElektra und Bayernwerk, die mit ihren Gebietsmonopolen an DDR-Gebiete angrenzten, nutzten ihre Chancen. Sie gründeten ein Gemeinschaftsunternehmen mit den DDR-Kombinaten für Kernenergie, Braunkohle und das Stromnetz. Die deutsch-deutsche „Kraftwerksnetzgesellschaft“, plante und baute vier Hochspannungsverbindungen zwischen West und Ost, und zwar vom Kernkraftwerk Krümmel über Lübeck und Güstrow nach Rostock, von Helmstedt über Wolmirstedt nach Berlin, über Mecklar bei Bad Hersfeld nach Vieselbach bei Erfurt und von Rettwitz in der Oberpfalz nach Remptendorf. Außerdem wurden je ein 5-Megawatt-Kohlekraftwerk in Lübeck und Rostock zur Stromversorgung der DDR geplant: Ausdruck des Misstrauens gegenüber der Leistungskraft der veralteten Braunkohlekraftwerke und gar der ostdeutschen Atomreaktoren. Die 380-kV-Hochspannungsleitung von dem HASTRA-Standort Helmstedt – die HASTRA war eine Tochter der PreussenElektra – war im Juni bis Wollmirstedt bereits fertig und darüber hinaus im Bau.
Das RWE, das mit seinem Versorgungsgebiet nicht direkt an die DDR angrenzte, suchte erst noch nach Zugriffsmöglichkeiten. Nahe lag die Beteiligung an Braunkohlekraftwerken; erstellt wurde eine Machbarkeitsstudie gemeinsam mit dem DDR-Braunkohlekombinat, in welchen Kraftwerken sich die Nachrüstung noch lohne.
Es lag nahe, wenn der SPIEGEL52 den VEBA-Manager Piltz, Herrscher auch über die Tochter PreussenElektra, fragte, ob die westdeutschen Stromkonzerne die DDR bereits unter sich aufgeteilt hätten. Piltz antwortete: „Keineswegs. Die westdeutschen Stromunternehmen СКАЧАТЬ