Название: Vom Stromkartell zur Energiewende
Автор: Peter Becker
Издательство: Bookwire
Серия: ZNER-Schriftenreihe
isbn: 9783800593729
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Der Regierungsentwurf zum GWB vom 13.7.195224 enthielt zwar in § 1 das Kartellverbot. Auch waren die Durchbrechungen des Kartellverbots in den §§ 2ff. zunächst recht begrenzt, von Anfang an war eine präventive Zusammenschlusskontrolle vorgesehen. Aber eine Entflechtungsregelung enthielt das Gesetz im Gegensatz zu den oben genannten Vorentwürfen nicht mehr – und blieb damit auch weit hinter den Vorstellungen der Alliierten zurück. Aber auch das Kartellverbot wurde vom BDI massiv bekämpft und sollte durch ein bloßes Missbrauchsprinzip ersetzt werden. Unbeirrte Unterstützung fand das Gesetz nur beim damaligen Bundeswirtschaftsminister und dem mit ihm verbundenen ordoliberalen Kreis. Am Schluss blieb ein Gesetz übrig, das Wiethölter25 als „Papiertiger“ bezeichnete.
3. Das Bundeskartellamt
Entsprechend halbherzig erfolgten auch Konstruktion und Ausstattung des Bundeskartellamtes. Dazu gibt es das ausgezeichnete Buch von Ortwein26, dessen Vorteil es ist, dass es ein Politologe geschrieben hat. Die Auseinandersetzungen um die Gründung des Kartellamtes und das Für und Wider um seine Tätigkeit sind also um die politische Dimension erweitert.
Eine für die Konstruktion des Amtes ganz entscheidende Frage war das Verhältnis zum Bundeswirtschaftsminister. Sein Ministerium soll eigentlich die Wirtschaftstätigkeit unterstützen und sie nicht durch Verbote und Missbrauchsaufsicht gängeln. Eine starke Stellung des Bundeskartellamts hätte daher nur erreicht werden können, wenn das Amt eine wirklich unabhängige Stellung wie etwa die Deutsche Bundesbank bekommen hätte, was allerdings eine Änderung des Grundgesetzes vorausgesetzt hätte. Stattdessen wurde es zwar als „selbständige Bundesoberbehörde“ (jetzt § 51 Abs. 1 GWB) etabliert, aber dem Geschäftsbereich des Bundeswirtschaftsministers zugeordnet. Es hat auch keinen eigenen Haushalt, vielmehr wird im Etat des Bundeswirtschaftsministeriums ein besonderes Kapitel für den Haushalt des Amtes geführt. Ob aus seiner Stellung ein Weisungsrecht des Bundeswirtschaftsministers oder eine Weisungsunabhängigkeit abzuleiten ist, ist strittig. So sollen Einzelweisungen gegenüber dem Amt, z.B. zur Einleitung eines bestimmten einzelnen Verfahrens, zulässig sein, der Bundeswirtschaftsminister dürfe aber nicht in „schwebende Verfahren“ eingreifen, da das Amt seine Entscheidungen „kollegial“ durch seine Beschlussabteilungen in einem „justizähnlichen Verfahren“ trifft.27 Ortwein meint: „Das Problem der Weisungsgebundenheit ist weitgehend theoretischer Natur, viel wichtiger sind die informellen Einwirkungsmöglichkeiten des Bundeswirtschaftsministers bzw. des Ministeriums auf das BKartA.“28 Die starke Stellung, die sich das Amt relativ schnell erkämpfte, war der starken Persönlichkeit ihres ersten Präsidenten Eberhard Günther zu verdanken, den Adenauer aufgrund der Vorbehalte seiner Freunde vom BDI gar nicht mochte, der aber die Gunst von Bundeswirtschaftsminister Erhard genoss. Adenauer soll bei der in sehr schlichtem Rahmen stattgefundenen Aushändigung der Ernennungsurkunde Günther gegenüber gesagt haben: „Mein Freund Berg [Präsident des BDI] sagte mir, Sie seien eine ganz böse Jong, aber na ja.“29 Günther war der Begründer desjenigen Nimbus des Amtes, dem Ortwein30 „noch eine gute Portion Berliner Zivilcourage“ attestiert. Aber mit Günther wurde auch eine Tradition begründet, die die Zweifel an der Selbständigkeit des Amtes nährt. Denn auch die Nachfolger von Günther, Wolfgang Kartte, Dieter Wolf, Ulf Böge, Werner Heitzer, Andreas Mundt, kamen aus dem Wirtschaftsministerium; wenn auch nach vorher unterschiedlich langen Kartellamtstätigkeiten. Sie hatten damit über Jahre hinweg die Luft der Industriefreundlichkeit inhaliert und mussten jetzt Kartelle verbieten, Missbrauchsverfügungen verhängen und Bußgelder erlassen: Das genaue Gegenteil der vorherigen Praxis. Allein dieses Verhältnis ist wie Feuer und Wasser.
Weiteres Merkmal einer im Staatsgefüge wenig geschätzten Einrichtung wurde die mangelhafte Anfangsausstattung. Statt der vorgesehenen vier Beschlussabteilungen wurde nur eine gebildet, es wurden nur 49 anstelle von 170 Beamten Anfang 1958 eingestellt, ein „Kartellamtsstart mit Schwierigkeiten“.31 Im Jahr 1958 folgten zunächst drei Beschlussabteilungen und eine Einspruchsabteilung, in den Jahren 1959 und 1960 eine vierte und fünfte Beschlussabteilung. Bis zum Jahr 1980 kam es zur Einrichtung von insgesamt neun Beschlussabteilungen, ferner der Referate Harmonisierung der Kartellrechtspraxis, Allgemeine Fragen/Öffentlichkeitsarbeit, Europäisches Kartellrecht, Deutsche und Europäische Fusionskontrolle, Internationale Wettbewerbsfragen, Kartelle, Marktbeherrschung, Europäisches und Internationales Kartellrecht/Grundsatzfragen sowie eine Abteilung für Prozessführung und Allgemeine Rechtsangelegenheiten. Bemerkenswert: Die Mitarbeiter der Abteilung „Prozessführung und Allgemeine Rechtsangelegenheiten“ dürfen zwar vor den Gerichten bis zum BGH selbständig auftreten. Für eine Vertretung durch Rechtsanwälte fehlt aber das Geld. Die Bundesnetzagentur kann sich hingegen durch Rechtsanwälte vertreten lassen. Die Personalausstattung des Amtes blieb aber insgesamt unzureichend. Im Jahr 1998 gab es 252 Beschäftigte. Ortwein kommt zu folgendem Ergebnis: „Für die Verwaltungspraxis hat die geringe Personalausstattung aber einen nicht zu unterschätzenden negativen Effekt.“32
Für die Energiewirtschaft war bis zum Jahre 2008 nur die 8. Beschlussabteilung mit fünf bis sechs Bediensteten zuständig. Bei ihr lagen die Fusionskontrolle und die Missbrauchsaufsicht. Im Jahre 2008 wurde eine 10. Beschlussabteilung für die Missbrauchsaufsicht eingerichtet; angesichts der durch die Liberalisierung eingetretenen Vervielfachung der Aufgaben viel zu spät. Insgesamt sind damit für die Aufsicht über vier marktbeherrschende Konzerne, die großen Stadtwerke und eine Vielzahl von Handelsunternehmen nur ca. zehn Kartellamtsbedienstete zuständig. Diesen steht eine Phalanx von mindestens 300 im Energierecht tätigen Rechtsanwälten und Mitarbeitern von Rechtsabteilungen der Konzerne und Stadtwerke gegenüber. Dazu kommen zahlreiche Volks- und Betriebswirte in den Konzernen, deren Aufgabe es ist, Unternehmensakquisitionen strategisch zu planen und sie umzusetzen. Sie verfügen zudem über das Geld, wissenschaftlichen Sachverstand einzukaufen, sei es für Gutachten, sei es für die Ausrichtung von Konferenzen u.Ä. Das Missverhältnis ist erschreckend. Waffengleichheit existiert nicht. Die Instrumente des Gesetzes und die Ausstattung der Behörden sind geradezu lächerlich im Verhältnis zu den Truppen auf der anderen Seite. Die Kartellaufsicht ist in diesem Zuschnitt „weiße Salbe“.
4. Der „Ausnahmebereich“ Versorgungswirtschaft
Die Energiewirtschaft ging in den Kampf um das Kartellgesetz von vornherein mit einem sehr radikalen Ansatz: Während sich Deutschland – auch unter dem Druck der Alliierten – für eine Marktwirtschaft entschieden hatte, konkret gesprochen also dafür, alle Märkte über den Wettbewerb zu steuern und nicht durch staatliche oder private Interventionen, sollte in der Energiewirtschaft alles anders sein: Vorherrschendes Prinzip waren Wettbewerbsbeschränkungen aller Art. Die Argumente der Versorger, allen voran der Stromwirtschaft, gingen dahin, dass eine Wettbewerbsordnung von vornherein ausgeschlossen sei. Die Märkte für Strom und – wenn auch in geringerem Maß – für Gas wiesen bestimmte Besonderheiten auf. Diese schlössen es von vornherein aus, dass sich Wettbewerbsprozesse entfalten könnten. Denn die Versorgungswirtschaft sei leitungsgebunden. Strom und Wasser könnten nur über feste СКАЧАТЬ