Название: Vom Stromkartell zur Energiewende
Автор: Peter Becker
Издательство: Bookwire
Серия: ZNER-Schriftenreihe
isbn: 9783800593729
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Jetzt kam das RWE ins Spiel: Flick bot RWE die RheinBraun-Aktien an und verpflichtete sich, ihm nach der Übernahme von RheinBraun die von Silverberg gehorteten Aktien der Harpener Bergbau zu geben. Allerdings fehlte noch ein Rhein-Braun-Paket, das der fanatische Nazi Fritz Thyssen geerbt hatte. Es galt eigentlich als unverkäuflich. Aber das RWE bekam es, weil Fritz Thyssen Silverberg schaden wollte: „Auch Silverberg selbst hat später angedeutet, dass der Intervention Thyssens gegen die Rheinische Braunkohle primär politische Motive zugrunde gelegen haben.“ Thyssen finanzierte nämlich die Nazis zusammen mit dem Kohlensyndikat-Gründer Emil Kirdorf schon seit 1923. So kam es zur RheinBraun-Mehrheit in den Händen des RWE. Dann händigte RWE Flick das Aktienpaket an der Harpener Bergbau aus. Bei der Abwicklung gab es allerdings Schwierigkeiten, in denen auch Konrad Adenauer, Kölner Oberbürgermeister, eine Rolle spielte. Silverberg konnte nämlich in der Aufsichtsratssitzung vom 14.1.1933 einen Vertrag präsentieren, in dem Flick sich verpflichtet hatte, nur einvernehmlich mit der RheinBraun-Leitung (also Silverberg) zu handeln. Dabei wurde er von Adenauer unterstützt, der Führer der kommunalen Minderheits-Aktionäre des RWE war. Nach der Machtübernahme wurde von dem Kölner Bankier Kurt von Schröder „der Pöbel“ gegen Silverberg mobilisiert. Am 13. März wurde Konrad Adenauer aus dem Amt gejagt. Damit brach der Widerstand der Aktionäre gegen die Übernahme ihres Unternehmens zusammen. Silverberg trat als Aufsichtsratsvorsitzender von RheinBraun, als Präsident der Industrie- und Handelskammer und als stellvertretender Vorsitzender des Reichsverbands der Deutschen Industrie zurück.
Kirdorf gingen erst jetzt die Augen auf. Für ihn, den unangefochtenen Sprecher der Kohlenbarone, war dies der Augenblick der Wahrheit. Das sagte er nicht nur, sondern schrieb daraufhin einen offenen Brief an die Rhein-Westfälische Zeitung in Essen, wo es u.a. hieß: „Als ein Verbrechen erachte ich das unmenschliche Ausmaß der fortgesetzten antisemitischen Hetze ... Der Dolchstoß, den man diesem wertvollen Menschen versetzt, hat auch mich getroffen.“
Die Transaktion wurde dann abgewickelt wie vereinbart: „Nachdem die RWE-Verwaltung, dank der Majorität, zu der ihr Flick verholfen hatte, über RheinBraun verfügen konnte, löste sie das Wort ein, das sie Flick gegeben hatte: Sie übereignete ihm – nachträglich, nota bene – das Harpener-Paket der RheinBraun. Ein gutes Geschäft für die beiden Partner, deren einer mit geliehenem Geld und deren anderer ohne überhaupt Geld einzusetzen zu einem überaus wertvollen Besitz gekommen war. Im Ergebnis führte dieses Geschäft dazu, dass das RWE bis heute den billigsten deutschen Strom erzeugen kann.
10. Kapitel
Die NSDAP übernimmt die Macht – aber die Energiekonzerne haben das Sagen
Das vom Weimarer Parlament beschlossene „Gesetz betreffend die Sozialisierung der Elektrizitätswirtschaft“ vom 31.12.1919 war nicht umgesetzt worden. Daher war die Versorgung Dritter mit Elektrizität weiterhin dem uneingeschränkten Wettbewerb überlassen. Es kam zu heftigen und nicht immer fair geführten Ausdehnungskämpfen.7 Diese riefen das Reichswirtschaftsministerium (RWM) auf den Plan. Es beauftragte den Ingenieur Oskar von Miller mit der Erstellung eines Gutachtens über die Situation der Elektrizitätswirtschaft. Von Miller arbeitete von 1926 bis 1930 an dem Gutachten und befürwortete die künftige Koordinierung der Errichtung von Neuanlagen und der Erweiterung vorhandener Bauten nach einem einheitlichen Generalplan. Das Reich sollte in 13 Versorgungsbezirke aufgeteilt werden. Die Frage der Umsetzung stellte das Gutachten zur Diskussion der beteiligten Kreise.
Die Konzerne bauten vor. 1928 schlossen sich acht große Versorgungsunternehmen zu einer Interessenvertretung, der „Aktiengesellschaft zur Förderung der deutschen Elektrizitätswirtschaft“, unter besonderer Betonung der Förderung der Verbundwirtschaft, zusammen. Die Botschaft war klar: Die Energiewirtschaft sei durchaus in der Lage, sich selbst und ohne gesetzlichen Eingriff seitens des Reiches zu organisieren. Tatsächlich erklärte das Preußische Handelsministerium anlässlich der Jahresversammlung des Verbandes deutscher Elektrotechniker im Juli 1929 den alten Plan zur Schaffung eines Reichselektrogesetzes für erledigt.
Unter dem Einfluss der Wirtschaftskrise ging der absolute Strom- und Gasverbrauch drastisch zurück. Der Leistungsüberhang in der Stromwirtschaft betrug 69 %. Das Reich mischte sich immer mehr in die Unternehmenspolitik ein: Verordnet wurden Zinssenkungen, Devisenkontrolle, die Überwachung der Energiepreise und der ihnen zugrunde liegenden Kosten sowie die schematische Absenkung der Tarifpreise.8 Eine stärkere staatliche Regulierung stand vor der Tür.
Sie kam mit der Machtergreifung Hitlers am 30.1.1933. Im „neuen Deutschland“ sollte „wieder der Mensch und sein Wohlergehen das Endziel allen Schaffens (werden), dem sich alle Wirtschaftsfaktoren unterzuordnen haben“. Tatsächlich waren schon kurz nach der Machtübernahme Indiskretionen aus dem Braunen Haus, der Parteizentrale der NSDAP, in die Industriekanäle gesickert, die das Schlimmste befürchten ließen: Man sprach von Plänen für eine zentralistische Neuorganisation aller EVU, von einem Baustopp für Fernleitungen und von staatlich festgelegten Mini-Dividenden bei radikaler Senkung der Stromtarife. Im Herbst erstattete die „Abteilung Elektrizität der Unterkommission III b der politischen Zentralkommission der NSDAP“ ihren mit größter Nervosität erwarteten „Bericht über Aufgaben in der Elektrowirtschaft“ – für die Konzerne ein wahrer Schock. An oberster Stelle des Maßnahmenkataloges stand die Arbeitsbeschaffung. Trotz der Überkapazität von 69 % sollte die Stilllegung von Kraftwerken in den nächsten vier Jahren verboten und mit dem Bau von arbeitsplatzintensiven Wasserkraftwerken begonnen werden. Für Investitionen auf dem Arbeitsmarkt sei eine Zwangsabgabe von mindestens 16 % der Bruttoeinnahmen auf ein staatlich überwachtes Sonderkonto zu zahlen.
Das RWM beauftragte die AG zur Förderung der deutschen Elektrizitätswirtschaft mit der Erstellung eines Gutachtens zu den Möglichkeiten und notwendigen Maßnahmen zur Verbesserung der Elektrizitätswirtschaft. Da sich die Konzerne als Federführer sahen, begannen sie auf eine gesetzliche Regelung der Markt- und Strukturprobleme hinzuarbeiten, die ihre Interessen zur Genüge berücksichtigen würde.9 Die AG legte ihr „Gutachten über die in der deutschen Elektrizitätswirtschaft zur Förderung des Gemeinnutzes notwendigen Maßnahmen“ am 1.10.1933 vor. Vorgesehen war – neben der Aufteilung der Energieversorgung in vier Provinzen unter der Herrschaft der größten EVU zur Zentralisierung der Versorgung – bereits die Überwachung der Stromwirtschaft durch die Aufsicht des Reichswirtschaftsministers. Grundziele der Energieversorgung sollten die Billigkeit und Sicherheit der Versorgung sein. Zur Steuerung des Leistungsüberhangs sollte der Reichswirtschaftsminister ermächtigt werden, den Bau von unnötigen und unwirtschaftlichen Neuanlagen zu untersagen. Gleichzeitig empfahl sich die AG dem RWM als beratende sachverständige Reichsstelle. Im Ergebnis sollten Staatskompetenzen zunehmend mit einer Dispositionsfunktion der großen Versorgungsunternehmen verbunden werden.
Hjalmar Schacht, seit 1934 Reichswirtschaftsminister, vorher Präsident der Reichsbank, ein Freund der Elektrizitätswirtschaft, erbat und bekam auch einen Kommentar der NSDAP zum Gutachten der AG. Tenor: „Nach dem Gutachten ist ungefähr alles gut und richtig, was die Großkonzerne getan haben und weiter anstreben, und alles, was ihnen nicht in den Kram passt, ist falsch und verkehrt.“ Außer diesem Kommentar der Partei gegen die Konzerne traf beim Reichswirtschaftsminister auch noch eine Denkschrift des Deutschen Gemeindetages gegen Partei und Konzerne ein. Die Gemeinden verlangten in ihren „Vorschlägen für die Neugestaltung der deutschen Elektrizitätswirtschaft“, dass ihre Kraftwerke neben den Großkraftwerken der Konzerne nicht nur weiterbestehen, sondern dass sie sogar vor einer direkten Konkurrenz durch die Großkraftwerke geschützt werden sollten. Indiskutabel sei weiterhin die Streichung der Konzessions- und Wegenutzungsabgaben. Die Rolle eines starken Verbündeten gegen die Konzerne sollte eine Reichsaufsichtsbehörde für die Elektrizitätswirtschaft übernehmen.
Angesichts СКАЧАТЬ