Название: Kapitalmarkt Compliance
Автор: Karl Richter
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: C.F. Müller Wirtschaftsrecht
isbn: 9783811447035
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1. Erfordernis einer Selbstbefreiungsentscheidung
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In Rechtsprechung und Literatur war bislang umstritten, ob es zu einer wirksamen Selbstbefreiung einer bewussten Entscheidung des Emittenten bedarf und wenn ja, welche Anforderungen an diese zu stellen sind.
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Diese höchst umstrittene Frage hat sich durch die mit der MAR geschaffenen Voraussetzungen erübrigt. Für den besonderen Befreiungsgrund des Art. 17 Abs. 5 MAR folgt dies schon daraus, dass das Kredit- bzw. Finanzinstitut die zuständige Behörde über die Absicht, diesen Selbstbefreiungsgrund zu nutzen informieren und deren Entscheidung abwarten muss.[125]
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Auch für den allgemeinen Aufschubgrund gibt es keinen anderen Interpretationsspielraum. Art. 17 Abs. 4 S. 1 MAR erlaubt – in Übereinstimmung mit Art. 6 Abs. 2 MAD a.F. – den Aufschub „auf eigene Verantwortung“ des Emittenten. Diese Formulierung ist nicht als ein rein deklaratorischer Hinweis auf die Unabhängigkeit der Befreiung von der Zustimmung der Aufsichtsbehörde zu verstehen, wie teilweise für eine Befreiung kraft Gesetzes gem. § 15 Abs. 3 WpHG a.F. auf Grundlage von Art. 6 Abs. 2 MAD a.F. argumentiert wurde, da auch Art. 17 Abs. 5 MAR, der eine Zustimmung der Aufsichtsbehörde verlangt, diese Formulierung verwendet.[126]Weiterhin spricht auch die Formulierung des Art. 4 Abs. 1 Durchführungsverordnung 2016/1055 („Datum und Uhrzeit der der Entscheidung über den Aufschub der Offenlegung von Insiderinformationen“) für das Erfordernis einer Entscheidung, da Datum und Uhrzeit über den Aufschub nur vorhanden sein können, wenn hierüber auch eine aktive Entscheidung des Emittenten getroffen wurde.[127] Dafür spricht zudem der Final Report der ESMA, der einen Prozess verlangt, um u.a. eine Selbstbefreiungsentscheidung herbeizuführen.[128] Da auch die BaFin in der Vergangenheit, wie auch die überwiegende Meinung, eine bewusste Entscheidung forderte, wird es hier in der Praxis zu keiner Änderung kommen und eine Selbstbefreiungsentscheidung muss aktiv von dem Emittenten herbeigeführt werden.
2. Formale Anforderungen an die Selbstbefreiungsentscheidung
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Der Selbstbefreiungstatbestand selbst enthält keine formalen Anforderungen zur Art und Weise der Selbstbefreiung. Der ESMA Final Report verlangt allerdings, dass ein Prozess eingerichtet wird, um die Information hinsichtlich der Insiderrelevanz zu untersuchen und auch die Notwendigkeit eines Aufschubs zu eruieren.[129] Die Selbstbefreiungsentscheidung selbst, so die ESMA, sollte von einer eindeutig zu identifizierbaren Person beim Emittenten mit entsprechender Entscheidungsgewalt getroffen werden, als Beispiel wird ein Mitglied des Vorstands genannt.[130] Die BaFin geht davon aus, dass die ESMA in ihrem Final Report von einem „one-tier-system“ ausgegangen ist und deshalb in Deutschland die Verwaltungspraxis der BaFin bestehen bleibt,[131] wonach die Entscheidung des Emittenten über die Selbstbefreiung durch einen Beschluss des Vorstands herbeizuführen ist.[132] Obwohl ein Vorstandsbeschluss ein Handeln des Vorstands als Kollegialorgan voraussetzt und somit die Mitwirkung nur eines Vorstandsmitglieds hierzu nicht ausreichen würde, lässt es die BaFin genügen, wenn nur ein ordentliches Vorstandsmitglied an der Entscheidung mitwirkt.[133] Die Auffassung der BaFin dürfte dahingehend zu verstehen sein, dass auch andere Gremien als das geschäftsführende Organ den Befreiungsbeschluss fassen können, sofern mindestens ein ordentliches Vorstandsmitglied an der Entscheidung beteiligt ist.[134] Zwingend ist auch das nicht. Das WpHG enthält, anders als etwa das HGB bzw. Aktiengesetz, z.B. für die Aufstellung und Unterzeichnung des Jahresabschlusses und Lageberichts[135] oder für die Einberufung und Durchführung der Hauptversammlung,[136]keine Regelung, die die Wahrnehmung kapitalmarktrechtlicher Pflichten durch den Vorstand selbst zwingend vorsieht. Hieraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass der Vorstand nicht gehindert ist, die Erfüllung der Ad-hoc-Publizitätspflicht im Ganzen oder in Teilen, wie die Entscheidung über eine Selbstbefreiung, auf Mitarbeiter des Unternehmens zu delegieren.[137] Noch nicht einmal die von der BaFin geforderte Mitwirkung eines Vorstandsmitglieds ist danach erforderlich.[138] Lediglich die Letztverantwortlichkeit für die gesetzeskonforme Erfüllung der delegierten Aufgaben und eine diesbezügliche Kontrollpflicht verbleibt bei dem Vorstand als Organ des Emittenten.[139] Dennoch sollten Emittenten der Auffassung der BaFin Rechnung tragen und die Beschlussfassung über eine Selbstbefreiung entweder durch den Vorstand vornehmen lassen oder, z.B. in eilbedürftigen Fällen, durch ein Gremium unter Mitwirkung eines Vorstandsmitglieds. Im Interesse einer praxisgerechten Handhabung der Selbstbefreiung sollte es in Übereinstimmung mit der hier vertretenen Ansicht ausreichen, wenn eine Abstimmung z.B. im Umlaufverfahren, telefonisch oder auch nachträglich als Bestätigung einer zuvor von einem Ad-hoc-Gremium beschlossenen Selbstbefreiung durch den Gesamtvorstand erfolgt.[140]
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In vereinzelten Fällen kann auch der Aufsichtsrat kraft Annexkompetenz zur Selbstbefreiungsentscheidung berufen sein. Insbesondere, wenn die relevante Insiderinformation nicht in den Wissensbereich des Vorstands gelangt, sondern im Zuständigkeitsbereich des Aufsichtsrats entsteht (z.B. Personalmaßnahmen, die den Vorstand betreffen).[141] Die Zuständigkeit zur Veröffentlichung der Insiderinformation hingegen verbleibt beim Vorstand, sodass der Aufsichtsrat den Vorstand zum Zeitpunkt des Wegfalls der Voraussetzungen der Selbstbefreiung unverzüglich über die aufgeschobene Insiderinformation unterrichten muss, damit der Vorstand die Veröffentlichung vornehmen kann.[142]
3. Zeitpunkt der Selbstbefreiungsentscheidung
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Des Weiteren stellt sich die Frage, wann erforderlichenfalls die Entscheidung über eine Selbstbefreiung zu erfolgen hat. Bereits nach § 15 Abs. 1 WpHG a.F. war eine Insiderinformation unverzüglich zu veröffentlichen und damit die Folgerung konsequent, dass der Emittent auch über die Selbstbefreiung unverzüglich zu entscheiden hat, weil andernfalls mangels einer vorliegenden Selbstbefreiung die Information veröffentlicht werden muss.[143] Da die Formulierung der unverzüglichen Veröffentlichung von Insiderinformationen durch die MAR beibehalten wurde, gilt diese Auslegung auch weiterhin, sodass die Entscheidung der Selbstbefreiung unverzüglich zu erfolgen hat.[144]
4. Dokumentation der Selbstbefreiungsentscheidung
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Der Emittent muss eine Vielzahl von Informationen der Selbstbefreiung dokumentieren. Dies ergibt sich zum einen aus den Mitteilungspflichten an die zuständige Behörde gem. Art. 17 Abs. 4 Unterabs. 3 i.V.m Art. 4 Abs. 1 Durchführungsverordnung 2016/1055. Zum anderen liegt eine sorgfältige Dokumentation vor dem Hintergrund der zivilrechtlichen Grundsätze im Interesse des Emittenten. Ein Emittent, der sich zur Abwehr zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche wegen verspäteter Ad-hoc-Mitteilung auf eine Selbstbefreiung berufen will, muss diese für ihn günstige Tatsache darlegen und beweisen.[145]
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Dokumentiert und der zuständigen Behörde mittgeteilt werden müssen gem. Art. 4 Abs. 1 Durchführungsverordnung 2016/1055 neben dem Vorliegen der Aufschubvoraussetzungen auch interne Vorgängen, СКАЧАТЬ