Название: Kapitalmarkt Compliance
Автор: Karl Richter
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: C.F. Müller Wirtschaftsrecht
isbn: 9783811447035
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IV. Erhebliche Kursrelevanz von Zwischenschritten
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Offen ließ der EuGH jedoch, nach welchen Kriterien die Bestimmung der Kurserheblichkeit eines bestehenden bzw. künftigen Zwischenschritts zu erfolgen hat. Auch die MAR gibt hierauf keine Antwort, weshalb der Streitstand weiterhin aktuell ist. Entsprechend uneinheitlich war und ist die Interpretation der EuGH-Entscheidung in der Literatur. Sind Zwischenschritte potenziell insiderrelevant, liegt es nahe, die Beurteilung des Kursbeeinflussungspotenzials eng mit der Eintrittswahrscheinlichkeit des Endergebnisses zu verknüpfen.[78]
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Das OLG Stuttgart hatte unter Berufung auf den Maßstab des verständigen Anlegers, auf den gem. der gesetzlichen Definition des § 13 Abs. 1 S. 2 WpHG a.F. abzustellen war, Zwischenschritten generell eine erhebliche Kursrelevanz abgesprochen, sofern nicht zugleich der Eintritt des angestrebten Endzieles hinreichend wahrscheinlich ist. Das Gericht charakterisierte den verständigen Anleger als einen Investor, der seine Entscheidungen auf angemessener, also verlässlicher tatsächlicher Informationsgrundlage, aufmerksam und kritisch trifft. Rational handle der verständige Anleger auf dieser Grundlage, wenn er, im Unterschied zu einem spekulativen Anleger, seine Anlageentscheidung an der künftigen Ertragskraft des Emittenten auf der Basis verlässlicher Informationen orientiere. Da der verständige Anleger seine Anlageentscheidung lediglich auf verlässlichen Informationen gründet, berücksichtigt er nach der vorgenannten Auffassung keine Zwischenschritte eines Ereignisses, dessen Eintritt nicht bereits hinreichend wahrscheinlich ist.[79]
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Nach dem Schlussantrag des Generalanwalts Mengozzi vor dem EuGH im Fall Daimler/Geltl beurteilt ein verständiger Anleger Ereignisse demgegenüber nach dem objektiven Kriterium der Vernünftigkeit, nicht in Verfolgung rein spekulativer Zwecke.[80] Die Verfolgung auch spekulativer Zwecke ist danach also nicht ausgeschlossen. Dies gilt auch für die Auffassung der BaFin. Danach berücksichtigt ein verständiger Anleger eine Information bei seiner Anlageentscheidung, wenn ein Kauf- oder Verkaufsanreiz gegeben ist und das Geschäft dem verständigen Anleger lohnend erscheint. Zu berücksichtigen ist dabei neben dem Zustand und der Entwicklung des Gesamtmarktes die Marktenge und Volatilität des Papiers sowie allgemeine und branchenspezifische Kurstrends.[81]
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Auch die Literatur erteilte der engen Auffassung des OLG Stuttgart überwiegend eine Absage.[82] Vor dem Hintergrund der EuGH-Rechtsprechung wird zum Teil vorgeschlagen, den von dem EuGH für die Bestimmung der hinreichenden Eintrittswahrscheinlichkeit abgelehnten Probability Magnitude Test jedenfalls für die Prüfung der Kurserheblichkeit heranzuziehen.[83] Danach würde ein verständiger Anleger auch Zwischenschritte bzw. bereits hinreichend wahrscheinliche Zwischenschritte bei entsprechend gravierender Bedeutung des noch unsicheren Endergebnisses bei seiner Anlageentscheidung berücksichtigen.[84] Auch die MAR lehnt zwar den Probability Magnitude Test zur Bestimmung darüber, ob ein Ereignis vernünftiger Weise erwartet werden kann, ab, bezieht dies jedoch nicht ausdrücklich auch auf das Merkmal der Kurserheblichkeit, so dass die Regelungen der MAR nicht gegen diese Auffassung sprechen.
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Gegen diese Auffassungen wird jedoch zu Recht eingewendet, dass sie im Ergebnis das Tatbestandsmerkmal der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit[85] bzw. nunmehr das Merkmal der „vernünftigerweisen Eintrittswahrscheinlichkeit“ i.S.v. Art. 7 Abs. 2, S. 1 MAR quasi abschaffen. Nahezu jeder Sachverhalt lässt sich in seiner Genese in beliebig viele Zwischenschritte zerlegen, von denen „[. . .] irgendeiner immer schon eingetreten sein wird [. . .]“[86] oder dessen Eintreten zumindest hinreichend wahrscheinlich sein wird. Kocher/Widder messen einem Zwischenschritt daher nur dann die Qualität einer Insiderinformation bei, wenn er schon aus sich selbst heraus und ohne Rücksicht auf ein nachfolgendes weiteres Ereignis kurserheblich ist.[87] Immer dann wenn die Kurserheblichkeit des Zwischenschritts entfallen würde, wenn die Marktteilnehmer ex ante wüssten, dass das angestrebte Endergebnis nicht eintritt, ist eine erhebliche Kursrelevanz des Zwischenschritts nur dann anzunehmen, wenn der Eintritt des Endergebnisses überwiegend wahrscheinlich ist.[88]
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Für die Auffassung von Kocher/Widder spricht folgende Überlegung: Unterstellt ein Endergebnis wäre noch nicht hinreichend wahrscheinlich bzw. nunmehr der Eintritt nicht vernünftigerweise wahrscheinlich, jedoch im Falle seines Eintretens erheblich kursrelevant, dann würde das angestrebte Endergebnis gem. der Entscheidung des EuGH, da es an einer präzisen bzw. konkreten Information mangelt, nicht als Insiderinformation zu qualifizieren sein. Wenn aber schon das angestrebte Endergebnis zum Zeitpunkt des Zwischenschritts noch nicht als Insiderinformation zu qualifizieren ist, muss dies erst recht für ein Zwischenergebnis zur Verwirklichung des angestrebten Endergebnisses gelten, sofern sich seine Kurserheblichkeit allein aus dem Endergebnis ableitet. Dies gilt für bereits existente Zwischenschritte und erst recht für nur hinreichend wahrscheinlich eintretende zukünftige Zwischenschritte.
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Der BGH vertritt in seinem Beschluss vom 23.4.2013 die Auffassung, dass bei der Beurteilung der Kursrelevanz nicht allein darauf abzustellen sei, wie wahrscheinlich der Eintritt des künftigen Ereignisses sei, auf das der zu beurteilende Zwischenschritt hinweise. Ein Zwischenschritt werde unter Umständen auch aus anderen Gründen von einem Anleger als Teil der Grundlage seiner Anlageentscheidung benutzt. So könne im Fall Schrempp bereits die Absicht des Emittenten, die personelle Veränderung in der Leitung umzusetzen, bedeuten, dass er die von Schrempp verfolgte Geschäftspolitik nicht oder nicht mit Nachdruck weiterverfolge.[89]
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Nach Auffassung der BaFin ist im Hinblick auf die Bewertung von Zwischenschritten davon auszugehen, dass ein Kursbeeinflussungspotenzial umso eher anzunehmen ist, je gewichtiger und wahrscheinlicher das Endergebnis ist. Auf eine Mindesteintrittswahrscheinlichkeit kommt es aber nicht an, jedoch darf der Eintritt des Endereignisses nicht völlig ausgeschlossen sein.[90] Bei der Beurteilung von Zwischenschritten auf ihre Kursrelevanz sollte der Emittent demnach sorgfältig prüfen, ob spezifisch in dem jeweiligen Zwischenschritt liegende Aspekte für dessen Kurserheblichkeit sprechen. Die Eintrittswahrscheinlichkeit des Endergebnisses kann hierbei nach Meinung der BaFin ein Indikator sein.
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Bei zeitlich gestreckten Vorgängen ist damit auf jeder einzelnen Zwischenstufe zu prüfen, ob eine Insiderinformation vorliegt. Ob es dann zum entsprechenden Endergebnis, also z.B. einer Übernahme oder dem Ausscheiden eines Vorstandsmitglieds kommt, ist nicht von Bedeutung[91]. Unter Berücksichtigung der Auffassung der BaFin darf der Eintritt des Endereignisses nur nicht gänzlich ausgeschlossen sein. Im Falle einer Medikamentenentwicklung können so z.B. nicht nur die finale Zulassung, sondern auch vorgelagerte Geschehnisse, wie die Entdeckung des Wirkstoffs oder erfolgreiche Tests als Insiderinformation in Frage kommen.[92]
2. Teil Emittenten-Compliance › 3. Kapitel Ad-hoc-Publizität in Unternehmen › D. Selbstbefreiung
1. Überblick
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