Название: Kapitalmarkt Compliance
Автор: Karl Richter
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: C.F. Müller Wirtschaftsrecht
isbn: 9783811447035
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3. Keine Irreführung der Öffentlichkeit
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Als weitere Voraussetzung des Selbstbefreiungstatbestands darf durch die Selbstbefreiung keine Irreführung der Öffentlichkeit zu befürchten sein.[105]
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Gem. ESMA liegt eine Irreführung der Öffentlichkeit mindestens in folgenden Fällen vor:[106]
– | Die Insiderinformationen, deren Offenlegung der Emittent aufzuschieben beabsichtigt, unterscheiden sich wesentlich von der früheren öffentlichen Ankündigung des Emittenten hinsichtlich des Gegenstands, auf den sich die Insiderinformationen beziehen, oder |
– | die Insiderinformationen, deren Offenlegung der Emittent aufzuschieben beabsichtigt, betreffen die Tatsache, dass die finanziellen Ziele des Emittenten aller Wahrscheinlichkeit nach nicht erreicht werden, wobei diese Ziele zuvor öffentlich bekanntgegeben worden waren, oder |
– | die Insiderinformationen, deren Offenlegung der Emittent aufzuschieben beabsichtigt, stehen im Gegensatz zu den Markterwartungen, wobei diese Erwartungen auf Signalen beruhen, die der Emittent zuvor an den Markt gesendet hatte, zum Beispiel durch Interviews, Roadshows oder jede andere Art der vom Emittenten organisierten oder genehmigten Kommunikation. |
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Die Beispiele der ESMA beziehen sich auf Äußerungen, die der Emittent vor dem Aufschub der Insiderinformation getätigt hat, d.h. ein Aufschub ist nicht möglich, wenn zuvor die Öffentlichkeit anderweitig informiert wurde.[107] In diesem Fall habe der Emittent eine Erwartungshaltung erzeugt und diese anschließend nach neuen Erkenntnissen nicht unverzüglich angepasst.[108]
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Der Emittent darf allerdings, wie bereits nach bisherigem Recht, bei etwaig während des Befreiungszeitraums aufkommenden Gerüchten aktiv keine Signale setzen, die zu der noch nicht veröffentlichten Insiderinformation im Widerspruch stehen.[109]
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Die Verwaltungspraxis der BaFin, wonach dieses Informationsungleichgewicht hingenommen wird, so lange nicht aktiv Signale gesetzt werden, die zur veröffentlichten Insiderinformation in Widerspruch stehen, dürfte auch weiterhin Anwendung finden (no comment policy).[110] Der Emittent hat damit zwar ein Recht zu schweigen, jedoch kein Recht zu lügen.[111] Sind die Gerüchte allerdings hinreichend präzise, kann eine no comment policy nicht mehr greifen, da dann bei Aufrechterhaltung des Schweigens eine Irreführung der Öffentlichkeit droht.
4. Gewährleistung der Vertraulichkeit
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Die Selbstbefreiungsvoraussetzungen sind nur solange gegeben, wie der Emittent die Vertraulichkeit der Insiderinformation gewährleisten kann.[112]
Die Gewährleistung der Vertraulichkeit ist weder in der MAR noch in den ESMA Leitlinien konkretisiert, lässt sich jedoch aus den Dokumentationspflichten gem. Art. 4 Abs. 1 lit. c Durchführungsverordnung (EU) 2016/1055, die der Emittent während der Befreiungszeit zu erfüllen hat, herleiten.[113] Diese entsprechen dem bisherigen § 7 WpAIV. Der Emittent hat zur Gewährleistung der Vertraulichkeit während der Selbstbefreiung Vorkehrungen zum Schutz der Insiderinformation vor unbefugtem Zugang sowie zur unverzüglichen Bekanntgabe der Information für den Fall, dass die Vertraulichkeit nicht mehr gewährleistet ist, zu treffen.[114]
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Bereits unter § 15b Abs. 1 S. 3 WpHG a.F. war die an den Emittenten adressierte Verpflichtung, jede Person mit Zugang zu der Insiderinformation über die sich hieraus ergebenden insiderrechtlichen Pflichten und Sanktionen bei Pflichtverstößen aufzuklären, ebenfalls eine echte Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Selbstbefreiungsmöglichkeit. Dies wurde mit einer richtlinienkonformen Auslegung des § 15 Abs. 3 a.F. WpHG begründet. Der Verordnungsgeber habe bei der Umsetzung der einschlägigen Durchführungsrichtlinie 2003/124/EG in § 7 WpAIV die Übernahme dieser Voraussetzung aus der Richtlinie für überflüssig gehalten, weil § 15b Abs. 1 S. 3 WpHG a.F. in Umsetzung von Art. 5 Abs. 5 der Durchführungsrichtlinie 2004/72/EG eine entsprechende Anordnung enthalte, deren Erfüllung dann auch dem Zwecke des § 15 Abs. 3 WpHG a.F. genüge.[115] Danach bestand selbst dann die vorgenannte Hinweispflicht, wenn der Adressat einer spezialgesetzlichen Vertraulichkeitsregelung unterliegt, wie z.B. Aufsichtsratsmitglieder[116] der strafbewehrten aktienrechtlichen Verpflichtung zur Wahrung der Vertraulichkeit[117] mandatsbedingt erlangter Informationen.[118]
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Auch wenn weiterhin die Anforderung, alle Personen, die Zugang zur Insiderinformation haben, anerkennen zu lassen, welche Pflichten sich aus dem Zugang von Insiderinformationen ergeben und mit welchen Sanktionen zu rechnen ist (Art. 18 Abs. 2 MAR) nicht explizit im Zusammenhang mit der Selbstbefreiung geregelt ist, so folgt diese Regelung doch der allgemeinen Belehrungspflicht und ist damit Teil der Sicherstellung der Vertraulichkeit der Insiderinformation.[119]
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Vor dem Hintergrund der skizzierten Auffassung empfiehlt sich für Emittenten in der Praxis potenzielle Insider generell, z.B. durch arbeitsvertragliche Regelung, separate Anweisung und/oder einzelfallbezogen durch eine Vertraulichkeitserklärung, zur Verschwiegenheit zu verpflichten und über die sich aus der Kenntnis einer Insiderinformation ergebenden insiderrechtlichen Pflichten und Sanktionen bei Pflichtverstößen aufzuklären.
II. Umgang mit Gerüchten
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Insbesondere bei Sachverhalten, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken und an denen, wie z.B. bei der Durchführung des EBA Stresstests, eine Vielzahl auch externer Personen beteiligt ist, besteht die Gefahr, dass zwischenzeitlich Gerüchte zu der Insiderinformation, die Gegenstand der Selbstbefreiung ist, aufkommen. Dies kann dazu führen, dass die Selbstbefreiungsvoraussetzung „Wahrung der Vertraulichkeit“ entfällt.
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Werden während des Befreiungszeitraums Teile oder Details der Insiderinformation als Gerüchte öffentlich bekannt, so galt früher die Sphärentheorie der BaFin. Demnach war die Vertraulichkeit nur dann nicht mehr gewahrt, wenn das Gerücht aus der Sphäre des Emittenten stammte.[120] Nach Art. 17 Abs. 7 Unterabs. 2 MAR ist nun eine Offenlegung der Insiderinformation notwendig, wenn ein hinreichend präzises Gerücht besteht. Dies gilt unabhängig davon in welcher Sphäre die Vertrauenslücke entstanden ist, da es nach Ansicht der ESMA zu zeitintensiv sei die Quelle des Informationslecks herauszufinden.[121] Hinreichend präzise ist ein Gerücht gem. BaFin, wenn die daraus abzuleitende Information darauf schließen lässt, dass ein Informationsleck entstanden ist, unabhängig von dessen Herkunft, so dass die Vertraulichkeit nicht länger gewahrt werden kann.[122] Willkürliche, diffuse Informationen, die einem Verbreiten von falschen oder irreführenden Informationen gleichkommen, in der Absicht den Emittenten richtigstellende Informationen zu entlocken, sind jedoch laut BaFin nicht als präzise anzusehen.[123]
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Während der Selbstbefreiungsphase hat der Emittent die Presseberichterstattung sowie den Börsenpreis СКАЧАТЬ