Название: Kapitalmarkt Compliance
Автор: Karl Richter
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: C.F. Müller Wirtschaftsrecht
isbn: 9783811447035
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Die BaFin legt bislang ihre Verwaltungspraxis eine zweistufige Prüfung der Kurserheblichkeit zugrunde.[34] Zunächst ist auf Stufe 1 zu ermitteln, ob der Umstand für sich allein betrachtet (ex-ante) nach allgemeiner Erfahrung ein erhebliches Preisbeeinflussungspotenzial haben kann. Beispielhaft werden im Emittentenleitfaden folgende Sachverhalte aufgeführt:[35]
– | Veräußerung von Kerngeschäftsfeldern, Rückzug aus oder Aufnahme von neuen Kerngeschäftsfeldern, |
– | Verschmelzungsverträge, Eingliederungen, Ausgliederungen, Umwandlungen, Spaltungen sowie andere wesentliche Strukturmaßnahmen, |
– | Beherrschungs- und/oder Gewinnabführungsverträge, |
– | Erwerb oder Veräußerung von wesentlichen Beteiligungen, |
– | Übernahme- und Abfindungs-/Kaufangebote, |
– | Kapitalmaßnahmen (inkl. Kapitalberichtigung), |
– | wesentliche Änderung der Ergebnisse der Jahresabschlüsse oder Zwischenberichte gegenüber früheren Ergebnissen oder Marktprognosen, |
– | wesentliche Änderung des Dividendensatzes, |
– | bevorstehende Zahlungseinstellung/Überschuldung, Verlust nach § 92 AktG kurzfristige Kündigung wesentlicher Kreditlinien, |
– | Verdacht auf Bilanzmanipulation, Ankündigung der Verweigerung des Jahresabschlusstestats durch den Wirtschaftsprüfer, |
– | erhebliche außerordentliche Aufwendungen (z.B. nach Großschäden oder Aufdeckung krimineller Machenschaften) oder erhebliche außerordentliche Erträge, |
– | Ausfall wesentlicher Schuldner, |
– | Abschluss, Änderung oder Kündigung besonders bedeutender Vertragsverhältnisse (einschließlich Kooperationsabkommen), |
– | Restrukturierungsmaßnahmen mit erheblichen Auswirkungen auf die künftige Geschäftstätigkeit, |
– | bedeutende Erfindungen, Erteilung bedeutender Patente und Gewährung wichtiger (aktiver/passiver) Lizenzen, |
– | maßgebliche Produkthaftungs- oder Umweltschadensfälle, |
– | Rechtstreitigkeiten von besonderer Bedeutung, |
– | überraschende Veränderungen in Schlüsselpositionen des Unternehmens (z.B. Vorstandsvorsitzender, Aufsichtsratsvorsitzender, überraschender Ausstieg des Unternehmensgründers), |
– | überraschender Wechsel des Wirtschaftsprüfers, |
– | Antrag des Emittenten auf Widerruf der Zulassung zum organisierten Markt, wenn nicht noch an einem anderen inländischen organisierten Markt eine Zulassung aufrechterhalten wird, |
– | Lohnsenkungen oder Lohnerhöhungen, die nur den Emittenten betreffen, |
– | Beschlussfassung des Vorstandes, von der Ermächtigung der Hauptversammlung zur Durchführung eines Rückkaufprogramms Gebrauch zu machen. |
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In den vorstehenden Fällen war bereits in der Vergangenheit nach Auffassung der BaFin in der Regel eine erhebliche Kursrelevanz indiziert.
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Auf Stufe 2 sind zur Beurteilung der Ad-hoc-Publizitätspflicht dann, ggf. als Korrektiv, die konkreten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, die das Preisbeeinflussungspotenzial vermindern können. Eine erhebliche Kursbeeinflussung scheidet beispielsweise bei einer Unternehmensübernahme für die Aktie des Erwerbers aus, wenn die Übernahme lediglich die marginale Erweiterung eines bereits bestehenden Geschäftsfeldes darstellt und damit für ihn nicht bedeutend ist. Als weiteres Beispiel kann eine signifikante Abweichung bei der Aufstellung des Jahresabschlusses, z.B. 50 % gegenüber dem Vorjahr, genannt werden, wenn sich diese Abweichung im Rahmen der bereits öffentlich verfügbaren Informationen und Prognosen bewegt.[36]
IV. Unmittelbare Betroffenheit des Emittenten
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Eine Ad-hoc-Publizitätspflicht löst nur eine solche präzise (Insider-)Information aus, die den Emittenten unmittelbar betrifft (Art. 17 Abs. 1 MAR). Das ist insbesondere der Fall, wenn sich die Information auf Umstände bezieht, die im Tätigkeitsbereich des Emittenten eingetreten sind. Nach dem Wortlaut von Art. 17 MAR kommt es nicht darauf an, dass der Emittent die Informationen kennt. Eine Ad-hoc-Publizitätspflicht besteht auch für solche Informationen von denen der Emittent keine Kenntnis hat.[37] Daher ergibt sich aus Art. 17 MAR nicht nur eine Veröffentlichungspflicht, sondern auch eine (Informations-)Organisationspflicht.[38] Sinn und Zweck der unmittelbaren Betroffenheit ist, aus dem Kreis der Insiderinformationen nach Art. 7 MAR solche herauszufiltern, zu deren Erkennung, Analyse und Veröffentlichung der Emittent wirksame Vorkehrungen treffen muss.[39]
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Auch von außen kommende Sachverhalte, die nicht in der Sphäre des Emittenten ihren Ursprung haben, können ihn unmittelbar betreffen, wie z.B. die Information über ein bevorstehendes auf ihn bezogenes Übernahmeangebot oder die Mitteilung eines Großaktionärs über die Durchführung eines Squeeze-out-Verfahrens.[40]
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Bei von außen kommenden Ereignissen, die unter Mitwirkung des betroffenen Emittenten entstehen, kann sich zudem die Frage stellen, ob als Anknüpfungspunkt für das Vorliegen einer Insiderinformation allein auf das exogene Ereignis abzustellen ist, oder ob auch bereits vorbereitende interne Maßnahmen bei dem Emittenten Anknüpfungspunkt für das Entstehen sein können. Diese Frage stellt sich beispielsweise, wenn Bankaufsichtsbehörden sog. Stresstests unter Mitwirkung der von ihnen beaufsichtigen Institute durchführen. So hat die Europäische Bankenaufsichtsbehörde, European Banking Authority (EBA), Ende 2011 die Auswirkungen der Staatsschuldenkrise auf die Eigenkapitalausstattung sowie die langfristigen Finanzierungsnotwendigkeiten der siebzig größten grenzüberschreitenden Banken im Europäischen Wirtschaftsraum erhoben. Die Ergebnisse betrafen die Emittenten unmittelbar und waren potenzielle Insiderinformationen, da sie, je nach ermittelter Kapitallücke, für die Aktien der betroffenen Banken erhebliche Kursrelevanz hatten. Diese Information hat ihren Ursprung außerhalb des Tätigkeitsbereichs des Emittenten in der Sphäre der EBA. Daher entsteht die Ad-hoc-Publizitätspflicht grundsätzlich auch erst dann, wenn die EBA dem Emittenten das Stresstestergebnis mitteilt.[41]
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Wenn sich im Vorfeld der von der EBA angekündigten Veröffentlichung des endgültigen Ergebnisses des Stresstests jedoch aufgrund hausinterner Modellrechnungen einer Bank die Auffassung СКАЧАТЬ