Название: Der Aktionskreis Halle
Автор: Sebastian Holzbrecher
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Erfurter Theologische Studien
isbn: 9783429061265
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Dass es Schwierigkeiten im Kommissariat gegeben hatte, die mit dem Weihbischof in direkter Verbindung standen, war trotz der staatlich gewirkten Isolation in Paderborn nicht verborgen geblieben. Jedoch ergibt sich aus den Quellen ein ambivalentes Bild, wie Lorenz Kardinal Jaeger mit diesen Problemanzeigen umging und sie bewertete. Quellenkritisch eher skeptisch zu beurteilen sind Notizen von Adolf Brockhoff, anlässlich eines der seltenen Gespräche zwischen dem Kardinal und Teilen seines Magdeburger Klerus in Ost-Berlin 1965. Weihbischof Rintelen sei demnach in Kardinal Jaegers Auffassung: „Kein Gesprächspartner. Er entzieht sich. Er bagatellisiert. Er verharmlost. Sie sind zu stark und zu selbstbewusst für ihn!“231 Pfarrer Brockhoff hielt in einem offiziellen Brief an den Paderborner Kardinal 1970 nochmals fest: „Schon lange ist das Kommissariat ohne eine echte Führung. Das wissen Sie so gut wie ich. In dem Gespräch, das Sie mir im Januar 1966 gewährten und das Sie spätestens (‚in welcher Form auch immer!‘) im Mai desselben Jahres fortsetzen wollten, haben Sie das bestätigt, was viele wussten und was der Berliner Bischof z.B. - gar nicht zimperlich - laut aussprach.“232
Der Berliner Erzbischof Alfred Bengsch scheint für die Nachfolgeregelung in Magdeburg eine als ambivalent zu charakterisierende Schlüsselrolle eingenommen zu haben. Er selbst hatte in einem vertraulichen Brief an den Paderborner Erzbischof und Kardinal seine Rolle eher passiv dargestellt und die Initiative allein bei Lorenz Jaeger gesehen.233 Erzbischof Jaeger war über die Darstellung in diesem Brief in höchstem Maß empört. Er verfasste daraufhinquer über den Brief des Berliner Kardinals - handschriftlich seine Wahrnehmung der Entwicklungen: „Die Vorgeschichte die schon in der 3. Konzilsperiode anfing, als der H.H. Apost. Nuntius mir mündlich interessierte, dass für Exz. Rintelen, der der Aufgabe nicht mehr gewachsen sei, ein Nachfolger oder ein Koadjutor bestellt werden müsste. Ich habe widersprochen, weil das Urteil darüber mir und nicht Erzb. Bengsch zustehe. Nachfolgende Aussprache in Rom + erneut später in Ostberlin hat Erzb. Bengsch versprochen, ein loyales Verhalten gegenüber WB Rintelen + dem Erzb. Kommissariat Magdeburg. De facto hat Erzb. Bengsch in Bad Godesberg weiter gegen Rintelen gearbeitet, wie gelegentliche Äußerungen des Herrn Nuntius mir gegenüber gezeigt haben.“234 Offensichtlich war Kardinal Jaeger weder während des Konzils in Rom noch zu einem späteren Zeitpunkt bereit, sein bischöfliches Alter Ego in Magdeburg abzusetzen. Stattdessen informierte er seinen Weihbischof über die Berliner Pläne235 und versicherte ihn seiner Loyalität.236
Flankiert wird der Befund aus kirchlichen Quellen durch Akten des Ministeriums für Staatssicherheit. Prälat Otto Groß237, einer der engsten Mitarbeiter von Kardinal Bengsch im Ost-Berliner Ordinariat und zugleich der bischöflich beauftragte Verhandlungspartner mit dem MfS in der DDR, entfaltete in einem Gespräch 1968 verschiedene Gedanken und Einschätzungen des Berliner Erzbischofs zur Lage im Kommissariat Magdeburg, die der Führungsoffizier festhielt.238 Kardinal Bengsch sei demnach der Meinung gewesen, dass das Kommissariat in einer „gefährdeten Lage“239 sei, weil hier „einflussreiche Gruppen katholischer Geistlicher und Laien vorhanden [sind S.H.], die in Opposition zur Leitung der katholischen Kirche in der DDR stehen.“240 Bengsch habe wenig Zutrauen in die Fähigkeiten der dortigen kirchlichen Verantwortlichen, denn er befürchte, dass „Weihbischof Rintelen/ Magdeburg und Weihbischof Schräder/ Schwerin ihren Aufgaben nicht mehr gewachsen sind.“241 Für den Berliner Kardinal „stehe ernsthaft die Frage, Bischof Rintelen in den Ruhestand zu schicken.“242 Die Abberufung sei nur deshalb noch nicht erfolgt, weil es nach Ansicht von Bengsch keinen Nachfolger im Kommissariat Magdeburg gäbe, der „wirksame Maßnahmen gegen die in Aufruhr geratenen Geistlichen und Laien einzuleiten und Ruhe und Ordnung im Bereich des Kommissariates wieder herzustellen“243 vermag.
Ob neben der Kritik an Rintelens mangelndem Durchsetzungsvermögen bei Disziplinarangelegenheiten244 auch eine vom MfS wahrgenommene Düpierung des Berliner Kardinals anlässlich der 1000-Jahr-Feier des Bistums Magdeburg 1968 eine Rolle gespielt haben könnte, bleibt offen.245 Wahrscheinlicher dürfte es hingegen sein, dass Bengsch in Rintelen einen Unsicherheitsfaktor für die kirchenpolitische Phalanx der Berliner Ordinarienkonferenz gegenüber dem SED-Staat erblickte. Weihbischof Rintelen hatte 1969 zusammen mit Staatssekretär Seigewasser ein gemeinsames Kommunique veröffentlicht246 und damit die Geschlossenheit der Ordinarienkonferenz, die sich ein einheitliches und abgestimmtes Vorgehen gegenüber staatlichen Stellen zur Maxime gemacht hatte, massiv unterlaufen.247 Dies drängte Prälat Groß in einem anderen Zusammenhang zu der Feststellung: „Dieses Kommunique übertrifft alle unsere Befürchtungen und ist ein Beweis dafür, wie notwendig der Wechsel in Magdeburg ist...Praktisch ist hiermit die Einheit der Bischöfe in politischen Dingen gebrochen und durch das Verhalten von Weihbischof Rintelen hat der Staat sein Ziel erreicht.“248 Die Einheit im Klerus und die Geschlossenheit der Ordinarienkonferenz gegenüber dem Staat aber waren die zentralen Grundsätze des Berliner Erzbischofs und Vorsitzenden der Berliner Ordinarienkonferenz.249
Die Notwendigkeit im Jahr 1969 einen Nachfolgekandidaten für den amtierenden Weihbischof Friedrich Maria Rintelen zu finden, ergab sich demnach aufgrund dreier Umstände: die kirchenpolitisch brisante Situation im geteilten Deutschland machte eine zufriedenstellende Stabilisierung des Amtes in Magdeburg durch eine praktikable Nachfolgeregelung zwingend erforderlich. Die kirchenrechtliche Vorschrift zur Emeritierung von Auxiliarbischöfen drängte spätestens 1969 zu einer effektiven Lösung. Hinzu kam die Kritik am Führungsstil des Kommissars und der daraus resultierende, bereits länger gehegte Wunsch verschiedener kirchlicher Ebenen, einen Nachfolger zu bestellen. In diesem Geflecht unterschiedlicher Motive dürften letztlich die kirchenpolitischen Erwägungen dominiert haben.250 Andernfalls hätte man schon eher reagieren können. Es gilt zu beachten, dass in Magdeburg - und das unterschied die Situation ganz wesentlich von der in Köln, New York oder Paris -, zu den konziliar motivierten Beteiligungserwartungen der Priester und Laien eine kirchenpolitisch höchst angespannte Situation hinzutrat. Die konziliar geprägten Hoffnungen auf ein Mitspracherecht der Ortskirche bei der Nominierung eines Bischofs trafen in der DDR auf die kirchenpolitischen Planspiele bischöflicher Hinterzimmer und stellten daher einen nicht zu unterschätzenden Unsicherheitsfaktor für geheime Absprachen dar.
2.2Gescheiterte Lösungsversuche
Der Paderborner Erzbischof Lorenz Kardinal Jaeger war lange Zeit weder an einer Statusänderung des Magdeburger Kommissariates hin zu einer Apostolischen Administratur noch an einer personellen Veränderung an der Spitze des Kommissariates interessiert.251 Erst im Jahr 1969 änderte er aufgrund verschiedener Umstände seine Einstellung. Ausschlaggebend dürfte eine Mitteilung des Apostolischen Nuntius Erzbischof Konrad Bafile252 im Mai bzw. Juni 1969 gewesen sein, wonach Papst Paul VI. zur Klärung des seit zwei Jahren schwebenden Fragenkomplexes nunmehr gewillt sei, für den Bereich der DDR Koadjutoren mit dem Recht der Nachfolge zu ernennen.253 Als Koadjutor wird im Kirchenrecht ursprünglich derjenige bezeichnet, der dem Diözesanbischof mit dem Recht der Nachfolge zur Seite gestellt wird.254 Diese Regelung des Hl. Stuhls für die DDR stellte einen Koadjutor nun einem Auxiliarbischof, der als Kommissar tätig war, bei und beschrieb СКАЧАТЬ