Das Abenteuer meiner Jugend. Gerhart Hauptmann
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Название: Das Abenteuer meiner Jugend

Автор: Gerhart Hauptmann

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Klassiker bei Null Papier

isbn: 9783962818746

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СКАЧАТЬ un­ver­ständ­li­che Mas­se, die lang­sam durch einen Fuß, durch eine gel­be runz­li­ge Hand, durch et­was Haupt­haar und Ohr als mensch­li­che Form zu er­ken­nen war. Es wa­ren die ir­di­schen Res­te mei­nes Groß­va­ters.

      Man hat­te den To­ten mit großen Blö­cken Ei­ses um­legt. Ich war nicht ge­rührt. Hät­te mei­ne Emp­fin­dung Aus­druck ge­fun­den, viel­leicht wür­de es durch ein be­frem­de­tes Kopf­schüt­teln ge­sche­hen sein. Ich war wirk­lich ganz ein be­frem­de­tes Kopf­schüt­teln.

      Die tote Mas­se, die da lag, zwi­schen Eis­stücken – konn­te sie mein Groß­va­ter sein und ge­we­sen sein? Das war er ge­we­sen, er, des­sen stol­ze Gleich­gül­tig­keit mich ver­letzt, des­sen gan­ze Er­schei­nung mir aber doch Ehr­furcht er­weckt hat­te? Also das war un­ser al­ler Los! Man hat­te wohl Grund, sich das ge­gen­wär­tig zu hal­ten.

      *

      Die Stun­den dar­auf ver­ei­nig­ten äu­ßers­te Ak­ti­vi­tät im Spiel und ver­schwie­ge­ne Me­di­ta­tio­nen, wie denn viel­leicht über­haupt Träu­me­rei und Ak­ti­vi­tät viel­fach ver­bun­den sind.

      Es gab einen röt­lich ge­stri­che­nen ho­hen Kar­ren mit zwei Rä­dern in un­serm Hof. Ich be­spann­te ihn mit etwa acht Jun­gens zu vier und vier und stand, eine Peit­sche schwin­gend, dar­auf. Ein Wirr­sal von Zucker­schnü­ren er­setz­te die Zü­gel. So ras­ten wir pol­ternd über die Dorf­stra­ße, ras­ten in den Post­hof hin­ein, wo die Ross­kas­ta­ni­en mit dem Gold ih­rer Blät­ter den Bo­den ver­deckt hat­ten und brau­ne Früch­te in Men­ge her­um­la­gen. Dort be­lu­den wir, von Son­nen­schein und Herbst­fri­sche be­lebt, un­sern Kar­ren mit Laub, um ich weiß nicht was da­mit aus­zu­rich­ten. Und nun ras­ten wir wie­der dort­hin, wo wir her­ka­men. Äu­ßer­lich war es für mich ein herr­li­cher Rausch. Im In­nern je­doch hat­te sich eine un­ge­such­te Er­kennt­nis wie ein Pfeil ein­ge­bohrt, ein Zu­stand, der sich nicht än­dern konn­te. Den Pfeil zu ent­fer­nen, die Wun­de zu hei­len, gab es kei­ne Mög­lich­keit.

      Ei­gent­lich zum ers­ten Mal hat­te ich den Ge­dan­ken des un­ab­wend­ba­ren To­des mit mir selbst in Ver­bin­dung ge­bracht. Du ent­rinnst, stel­le dich, wie du willst, so sprach eine Stim­me in mir, dem Ende dei­nes hoch­mö­gen­den Groß­va­ters nicht: er reich­te ei­ner Za­rin den Mund­be­cher, aber das ret­te­te ihn kei­nes­wegs vor dem Schick­sal, das eben das all­ge­mei­ne ist. Schie­be es noch so lan­ge hin­aus, su­che es noch so sehr zu ver­ges­sen, len­ke dich tau­send­fäl­tig in die Fül­le und den Reich­tum des Le­bens ab: ei­nes Ta­ges wird es auch dir un­ab­wend­ba­re Ge­gen­wart. Du kannst es kei­nem an­de­ren zu­schie­ben, du musst da­bei­sein, du ganz per­sön­lich. Und wenn du auch hun­dert Jah­re alt wür­dest, geht es am Ende nicht ohne dich. Du wirst at­men, le­ben und le­ben wol­len wie jetzt, dann wird es hei­ßen: leg weg, was du in Hän­den hast, ein Stück Brot, eine Hand­voll Zucker­schnü­re, oder was es auch im­mer sei, es ist aus, du musst fort – musst ster­ben. Und das Ster­ben wie das Le­ben wirst du hin­neh­men müs­sen als Ge­gen­wart.

      An mei­nem letz­ten Ge­burts­tag, den ich vor we­ni­gen Ta­gen ge­fei­ert hat­te, stan­den acht bren­nen­de Jah­res­lich­ter um den ob­li­ga­ten Streu­sel­ku­chen her­um. Al­les in die­sen Blät­tern Er­zähl­te lag hin­ter mir, ja un­end­lich viel mehr, was ei­ni­ger­ma­ßen er­schöp­fend mit­zu­tei­len Men­schen­kraft über­stei­gen wür­de. Durch fünf von die­sen acht Jah­ren war ich gleich­sam mit flie­gen­dem Haar hin­durch­ge­stürmt, hat­te ge­lacht, ge­weint, ge­rast, ge­lit­ten, ge­kämpft, und was noch sonst. Aber über al­les sieg­te der in­ne­re, flie­ßen­de Strom von Le­bens­lust. Un­be­que­mes und Un­an­ge­neh­mes wur­de mit ei­ner Be­we­gung ähn­lich der ei­nes Foh­lens, wenn es, die Mäh­ne um sich wer­fend, ei­gen­sin­nig da­von­ga­lop­piert, ab­ge­schüt­telt.

      Nun aber, seit Groß­va­ters Tode, ge­lang dies mit­un­ter so ganz nicht mehr.

      *

      Wenn sich mei­ne Mut­ter im Som­mer nach den Stra­pa­zen in der glü­hen­den und lär­men­den Ho­tel­kü­che, nach­dem ei­ni­ge hun­dert Men­schen ab­ge­füt­tert wa­ren, tod­mü­de in ihr Schlaf­zim­mer ge­flüch­tet hat­te und, schwer auf­seuf­zend und halb­laut ge­gen al­les und al­les pro­tes­tie­rend, auf dem Bett lag, ließ ich mir von ihr ängst­lich be­stä­ti­gen, dass sie doch nicht etwa ster­ben wer­de. Eine sol­che Be­fürch­tung lag gar nicht so fern. »Ger­hart, ich bin so le­bens­mü­de!« war ja im­mer wie­der ihr Stoß­seuf­zer. Al­ler­lei, wie ich fühl­te, nag­te an ihr. Es ent­deck­te sich nicht nur in den man­cher­lei Kla­gen, be­son­ders im Som­mer über Hit­ze, Ar­beits­über­häu­fung, Kü­chenär­ger, Ho­tel­be­trieb.

      In Wahr­heit stand eine un­sicht­ba­re Mau­er zwi­schen dem Gast­hof zur Preu­ßi­schen Kro­ne und dem be­nach­bar­ten Dachrö­dens­hof, ih­rem El­tern­haus. Die Hei­rat mit mei­nem Va­ter war dort schließ­lich ver­zie­hen, aber nie­mals ge­bil­ligt wor­den. Da mei­ne Mut­ter nun kei­nes­wegs in dem er­war­te­ten Sin­ne glück­lich ge­wor­den war, ging ein Zwie­spalt durch ihre See­le.

      Ich ahn­te das al­les in man­chem drücken­den Au­gen­blick, wenn ich in Mut­ters Nähe weil­te, aber dann tat ich eben wie­der dem Foh­len gleich und ga­lop­pier­te da­von, ins Freie.

      Die wirt­schaft­lichs­te un­ter den Töch­tern des Brun­nen­in­spek­tors war mei­ne Mut­ter. Heut weiß ich, dass sie auch die klügs­te ge­we­sen ist. Rein äu­ßer­lich wäre viel­leicht eine grö­ße­re Har­mo­nie er­zielt wor­den, wenn die ge­nia­le und seh­ni­ge Tan­te Ju­lie mit ih­ren ge­sell­schaft­li­chen Ta­len­ten in den Gast­hof, mei­ne Mut­ter in das Do­mi­ni­um Lohnig ein­ge­hei­ra­tet hät­te. Auf ei­nem Guts­hof, sag­te sie im­mer, sei ihr wah­res Wir­kungs­feld. Auch ist es ein Guts­be­sit­zer in Quols­dorf ge­we­sen, dem sie um mei­nes Va­ters wil­len einen Korb ge­ge­ben hat.

      Nicht beim Tode des Brun­nen­in­spek­tors, aber bei Ver­tei­lung der Erb­mas­se bra­chen alle ver­harsch­ten Wun­den in den See­len mei­ner El­tern wie­der­um auf.

      *

      Mich mit den An­ge­le­gen­hei­ten der Er­wach­se­nen ernst­lich zu be­schäf­ti­gen, be­stand bis­her kei­ne Not­wen­dig­keit. Es war selbst­ver­ständ­lich, dass mei­ne El­tern, mensch­li­che Göt­ter, in je­der Be­zie­hung für mich sorg­ten. Zwei­fel an der ge­si­cher­ten Macht und Kraft, aus der sie es ta­ten und tun muss­ten, be­stan­den nicht. Auf dem Wege von Lohnig nach Strie­gau, in der Land­kut­sche, ging mir zum ers­ten Mal mei­ne Ver­bun­den­heit mit ei­ner großen Volks­ge­mein­schaft auf, von de­ren Wohl und Wehe mein ei­ge­nes nicht zu tren­nen war. Und mehr als das: näm­lich so weit ver­brei­tet, so zahl­reich, so stark und wehr­haft die­se Volks­ge­mein­schaft war, sie war ver­letz­lich, sie konn­te in Fra­ge ge­stellt, ja zer­stört wer­den.

      Die ge­wohn­heits­mä­ßi­gen, fort­lau­fen­den Kna­ben­sor­gen stör­ten mich nicht, sie ge­hör­ten zu mei­ner Per­sön­lich­keit. Nun aber wur­de ich in die all­ge­mei­ne Sor­ge um Volk und Va­ter­land hin­ein­ge­zo­gen, und et­was mir bis­her ganz Fer­nes und Frem­des be­las­te­te mich.

      Die­se be­fremd­li­chen СКАЧАТЬ