Das Abenteuer meiner Jugend. Gerhart Hauptmann
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Читать онлайн книгу Das Abenteuer meiner Jugend - Gerhart Hauptmann страница 35

Название: Das Abenteuer meiner Jugend

Автор: Gerhart Hauptmann

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Klassiker bei Null Papier

isbn: 9783962818746

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СКАЧАТЬ stär­ker er­füllt als wir.

      Mei­ne Mut­ter war und blieb Dachrö­dens­hof. Nicht, dass sie ir­gend­wie mei­nen oder ir­gend­ei­nen En­thu­si­as­mus ge­stört hät­te, sie sah und hör­te nur lä­chelnd zu. Sie stand noch im­mer, we­nig be­rührt, in der al­ten Zeit und sah in der neu­en et­was, das einen ge­si­cher­ten, stil­len Ver­lauf des Le­bens durch einen dra­ma­ti­schen er­setz­te, des­sen Ende nicht ab­zu­se­hen war.

      Die Vor­gän­ge um die Te­sta­ments­er­öff­nung hat­ten mich un­ter an­de­rem ge­lehrt, wie wich­tig es war, dass der Gast­hof gut be­sucht wur­de. Selt­sam und nicht ganz men­schen­wür­dig er­schi­en es mir schon als Kind, wenn über­all vor den Spei­se­häu­sern mit lau­tem Glo­cken­ge­schell so­zu­sa­gen zur Füt­te­rung ge­ru­fen wur­de. Eine sol­che Glo­cke führ­te die Kro­ne nicht. Die Sor­ge aber, die ich jetzt für den Be­stand der ge­lieb­ten Kro­ne hat­te, be­wog mich, auf der Lau­er, die Gäs­te zu zäh­len, die trotz des feh­len­den Ru­fes ein­tra­ten.

      Es schie­nen mir im­mer zu we­nig zu sein: klei­ne Grup­pen und Grüpp­chen, die vom Kro­nen­berg über die Freitrep­pe der Ter­ras­se an den Ar­ran­ge­ments süd­li­cher Pflan­zen vor­über in den Gro­ßen und Klei­nen Saal ein­bo­gen. Wehe, wer hier vor­über­ging und den Berg wei­ter­stieg, um im Eli­sen­hof ein­zu­keh­ren!

      Mei­ne Mut­ter konn­te nicht um Geld bit­ten, was über­haupt im­mer eine pein­li­che Sa­che ist. Sie er­zog sich lie­ber zu ei­ner fast sträf­li­chen An­spruchs­lo­sig­keit. Nach der Erb­schaft je­doch wur­de ihr von mei­nem Va­ter der Er­lös aus dem Ver­kauf des aus­ge­koch­ten Sup­pen­fleisches zu­ge­bil­ligt. In Wür­fel ge­schnit­ten, wur­de es von mei­ner Mut­ter an arme Leu­te für ein Ge­rin­ges weg­ge­ge­ben.

      Das sol­cher­ma­ßen ver­dien­te Ta­schen­geld mei­ner Mut­ter er­öff­ne­te ihr und mir wie­der und wie­der das Kur­thea­ter. Ob sie im To­des­jahr ih­res Va­ters hin­ein­ge­gan­gen ist, weiß ich nicht, ich möch­te es aber für mög­lich hal­ten, da sie Äu­ßer­lich­kei­ten, also zur Schau ge­tra­ge­ner Trau­er, ab­hold war, und au­ßer­dem trieb sie, wenn sie ins Thea­ter ging, einen ih­rer Mut­ter gel­ten­den Erin­ne­rungs­kult: sie war eine ge­bo­re­ne St­ent­zel, die­se Mut­ter, in Bres­lau ge­bür­tig und von Kind an auf­er­zo­gen im Hau­se ei­nes Fräu­leins von Stut­ter­heim. Vie­les wur­de von ihr er­zählt und ih­rer Thea­ter­lei­den­schaft, be­son­ders in ei­ner Zeit, wo das Thea­ter in Bres­lau flo­rier­te und alle Welt aus der Pro­vinz ta­ge­lan­ge Wa­gen­fahr­ten nicht scheu­te, um ei­ner Vor­stel­lung bei­zu­woh­nen.

      Mei­ne Groß­mut­ter Straeh­ler muss eine freie, le­bens­lus­ti­ge und kei­nes­wegs fröm­meln­de Per­sön­lich­keit ge­we­sen sein. Ein klu­ger, welt­li­cher, re­ger Geist mag bei ihr über­wo­gen ha­ben.

      »Die schö­ne Gala­thea«, im Sperr­sitz ne­ben mei­ner Mut­ter ge­nos­sen, mach­te einen großen Ein­druck auf mich: ein fan­tas­ti­sches Bild­werk, ein Weib, in das sich sein Meis­ter ver­liebt, das le­ben­dig wird und das er ver­zwei­felt wie­der zer­schlägt, weil es ihn durch Un­treue un­glück­lich macht. Vi­el­leicht geht mei­ne spä­te­re Lie­be zur Plas­tik in et­was auf die­ses Werk von Suppé zu­rück.

      Ein an­de­res Stück, das ich sah, hieß »Der alte Des­sau­er«, »Der Land­wehr­mann und die Pi­kar­de« ein drit­tes, wo die ge­müt­li­che Art je­ner Zeit, wel­che die Kampf­hand­lung we­sent­lich auf den Sol­da­ten be­schränk­te, an­schau­lich wur­de. Auch an »Die Gei­er-Wal­ly«, die un­ter dem Na­men der Birch-Pfeif­fer lief, er­in­ne­re ich mich; wenn sie, an­ge­seilt und den Ab­grund hin­un­ter­ge­las­sen, dem Läm­mer­gei­er das ge­raub­te Kind aus dem Nes­te nimmt, so war dies wohl hel­den­haft und auf­re­gend.

      Ein Frag­ment vom Faust, zum Be­ne­fiz des Di­rek­tors Ste­ge­mann, der den Me­phi­sto spiel­te, ist mir eben­falls durch das Ta­schen­geld der Mut­ter, stam­mend aus in Wür­fel ge­schnit­te­nem Sup­pen­fleisch, er­öff­net wor­den. Wel­che Ur­sa­che, wel­che Wir­kung!

      *

      Täg­lich nahm der Di­rek­tor Ste­ge­mann im Ho­tel zur Kro­ne, also im ers­ten des Orts, meis­tens am Tisch mei­nes Va­ters, den Früh­schop­pen, der in je ei­ner hal­b­en Fla­sche Bor­deaux vor der an­de­ren oder nach ihr be­stand. Die­ser schlan­ke Bon­vi­vant, der ein hal­b­es Jahr­hun­dert und mehr auf dem Kerb­holz hat­te, sah ohne Mas­ke be­reits wie Me­phi­sto aus. Er wuss­te ge­nau, wenn Ka­vi­ar oder Hum­mer her­ein­ge­kom­men war, und es lag dann für ihn nicht fern, von die­sen De­li­ka­tes­sen zu ei­ner Fla­sche Cham­pa­gner – es gab da­mals kei­nen deut­schen Sekt – fort­zu­schrei­ten. Wenn er bei mei­nem Va­ter saß und sich Dok­tor Straeh­ler aus dem Ko­me­ten da­zu­ge­sell­te, war es ein Klee­blatt, auf das ich nicht ohne Stolz und Neid hin­blick­te.

      Ir­gend­wann ein­mal moch­te die Sit­zung des Tri­os so gut ge­launt sein, dass mich mein Va­ter rief und an die Frau Di­rek­tor ab­ord­ne­te. Sie wohn­te ein we­nig ent­fernt im Nie­der­dorf, und Me­phi­sto selbst be­schrieb mir ge­nau den Weg; da­bei hat­te er mit ei­ner be­stri­cken­den Vä­ter­lich­keit die Hand auf mei­nen Schei­tel ge­legt und dank­te mir freund­lich im Voraus, wie ein Gent­le­man dem an­de­ren, für mei­ne Be­mü­hung. Er käme, soll­te ich mel­den, durch et­was Wich­ti­ges auf­ge­hal­ten, spä­ter als sonst nach Haus, man möge nicht mit dem Es­sen auf ihn war­ten.

      Als ich die bes­ten Häu­ser im be­gin­nen­den Nie­der­dorf ab­ge­sucht hat­te und von kei­ner Di­rek­to­rin Ste­ge­mann et­was zu er­fah­ren war, gab man mir end­lich einen Fin­ger­zeig, den ich in­des nicht für Ernst neh­men woll­te. Man wies mich in ein nach mei­nen Be­grif­fen nur von be­son­ders ärm­li­chen Pro­le­ta­ri­ern be­wohn­tes Hin­ter­haus, an des­sen Tür ich un­gläu­big an­klopf­te. Es schol­len strei­ten­de Stim­men, Kin­der­ge­schrei, Klatsch­ge­räusche und je­der­art Lärm her­aus. Vi­el­leicht dass das In­ne­re des Ge­bäu­des ein we­nig bes­ser er­schi­en, als das Äu­ße­re ver­mu­ten ließ, so­wie sich die Tür öff­ne­te. Aber die Frau ohne Bu­sen­tuch, in der Nacht­ja­cke, mit zer­zaus­tem Haar, der ich ge­gen­über­stand, alle Sor­ten von schmut­zi­gen Kin­dern um sie, dar­un­ter ei­ni­ge, die auf Nacht­ge­schir­ren her­um­flenn­ten, wa­ren nicht von der Art, dass ich den An­hang des di­rek­to­ria­len Bon­vi­vants in ih­nen ver­mu­ten konn­te. Eine sol­che Häus­lich­keit mit Spei­se­res­ten, Milch­fla­schen, Spü­licht und un­ge­wa­sche­nem Kü­chen­ge­schirr, und was dem Ge­ruchs­sinn ge­bo­ten wur­de, brauch­te ich nicht wei­ter aus­zu­ma­len, wenn sich mir nicht al­les und schließ­lich noch das weg­wer­fen­de Ge­schrei der Frau über ih­ren Mann im Ge­gen­satz zu dem Bil­de in der Preu­ßi­schen Kro­ne so tief ein­ge­prägt hät­te. Dort sprach man von Bis­marck, Molt­ke, Roon, von Na­po­le­on, der in Kas­sel ge­fan­gen saß, vom Frie­den zu Frank­furt, von Straß­burg, das wie­der deutsch ge­wor­den war, von den fünf Mil­li­ar­den Fran­ken, die Frank­reich an Deutsch­land zu zah­len hat­te. Von al­le­dem war hier nichts hin­ge­drun­gen.

      *

      Der Eli­sen­hof über uns, dem ich kei­ne Tisch­gäs­te gön­nen woll­te, ge­hör­te ei­ner Ma­da­me Enke, die ver­wit­wet war und dort mit ih­ren СКАЧАТЬ