Название: Das Abenteuer meiner Jugend
Автор: Gerhart Hauptmann
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Klassiker bei Null Papier
isbn: 9783962818746
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Eines Tages war ich verzweifelt, weil ich als der Kleinste eine Schlittenpartie zu Onkel Adolf nach Görbersdorf wieder einmal nicht mitmachen sollte. Ich ließ mich empört über diese Zurücksetzung und überhaupt meine Lage als Jüngster aus. »Gerhart«, sagte mein Vater, »sei ruhig, wir wollen uns schon amüsieren auf unsere Art!«
Worin bestand dieses Amüsement?
Wir saßen ein Stündchen in der Vier, und am Ende eines Geplauders, das mir Aufmerksamkeit und Spannung abnötigte, sagte ich Schillers Ballade »Der Taucher« von Anfang bis Ende her und habe sie bis heut im Kopfe behalten.
*
Mein Vater schätzte Freimut als eine hohe menschliche Eigenschaft. Wenn das Eingeständnis einer Verfehlung aus Liebe zur Wahrheit geschah, konnte es die Schuld in seinen Augen aufheben. Von Beispielen solcher Handlungen brachte er immer dieses oder jenes vor, wenn er im gleichen Sinn auf uns einwirken wollte.
Groß war der Respekt, den mein Vater als Leiter des Gasthofs bei den Angestellten genoss, man darf sogar von der Furcht des Herrn reden, die überall von Kutscherstube zu Küche, von dort zu den Sälen und Zimmern vorhanden war. Hielt er seinen Nachmittagsschlaf, so trat eine Atempause ein. Aber alles war sogleich elektrisiert bei dem energischen Klingelzeichen aus seinem Zimmer, das sein Wiedererwachtsein ankündigte.
Seine Reserviertheit war den meisten Hotelgästen unheimlich. In der Tat besaß er nichts von der so vielen Gasthofbesitzern eigenen liebenswürdig-unterwürfigen Wesenheit, sondern trat selbst den Salzbrunn besuchenden hohen Persönlichkeiten nicht anders als gleich und gleich gegenüber.
Da mein Vater lange Zeit der einzige Sohn des Großvaters Hauptmann, eines vermögenden Mannes, gewesen ist, der mit Vorliebe alles an ihn wendete, ist er an eine gewisse Lebenshaltung gewöhnt worden. Niemals war er verschwenderisch, aber neben der Jagd, die er pachten durfte, billigte ihm der Vater ein Reitpferd zu und redete ihm ebensowenig drein, als er seine sportliche Liebhaberei mit Ein- und Zweispännern fortsetzte.
Alles dieses verbot sich eigentlich, als der Großvater nochmals heiratete und, im Alter schon über die Sechzig hinaus, den Segen eines Zuwachses von drei Töchtern und einem Sohn genoss. Es scheint jedoch, dass mein Vater sich von seinen noblen Passionen nicht sogleich trennen konnte. Er setzte sie sogar noch während meiner Kindheit fort und schob den ständigen Einspruch meiner sparsamen Mutter mit Achselzucken beiseite.
Unsere Pferde waren die schönsten im Ort. Der livrierte Kutscher und die modernen Wagen waren die Ursache, dass man den Vater hin und wieder bei Ausflügen mit »Herr Graf« oder wenigstens »Herr Baron« anredete. Die wunderliche Differenzierung meiner Wesenheit brachte es mit sich, dass mich, den leidenschaftlichen Straßenjungen, wenn wir in der Equipage1 saßen, ein Vornehmheitsdünkel überkam und ich den lauten Gesang der Geschwister, womit sie sich die Zeit vertrieben, mit Qualen verletzter Eitelkeit als unseren vornehmen Aufzug widerlegend und entlarvend empfand.
Wie ich richtig geahnt hatte, liebte Großvater Straehler meinen Vater nicht, und dieser, zurückhaltend von Natur, brauchte sich keine Mühe zu geben, gegenüber dem Schwiegervater den gleichen Mangel zu beschönigen. Und doch hatte mein Vater ein warmes Herz, was sich nicht nur uns Kindern gegenüber hie und da offenbarte, sondern vielfach an seinen Halbgeschwistern und neuerlich noch an Freunden erwies.
*
Seinen Freund Beninde, den er mit einem gewissen Enthusiasmus liebte, hatte er sich als Kurhausdirektor herangeholt, als er dieses Hotel durch Vermittlung des Schwiegervaters vom Fürsten gepachtet hatte. Von diesem Onkel Beninde, wie wir Kinder ihn nannten, mag hier kurz die Rede sein.
Es war tiefer Winter, als ich kleiner Junge unvermittelt Beninde in einem Zimmer des Kurhauses gegenüberstand. Das Hotel war geschlossen und bis auf die Zimmer Benindes unbewohnt. Wer diese aufräumte und seine Verpflegung in der Hand hatte, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass ich einen schönen und vornehmen Mann wie ihn und Wohnräume wie die seinen nicht gekannt hatte. Vor allem aber setzte mich seine Beschäftigung in Verwunderung, da sie mir mit einem solchen Kavalier unvereinbar schien. Er stichelte nämlich an einer Stickerei, die mit schönen Farben und Bildern, soweit sie vollendet war, seine Knie bedeckend zur Erde fiel.
Die warmen Räume aber und zunächst der, in dem er saß, wurden von mir sofort in ihrer wohligen Eigenart und als Neuheit gefühlt. Der eigensinnig-feine Geschmack eines künstlerisch begabten und verwöhnten Junggesellen hatte sie eingerichtet. Den Boden bedeckten Teppiche, ausgesuchte orientalische Stücke, wie ich später erfuhr. Das Meublement vor den mit weinroten Brokaten verkleideten Wänden, Spiegel, Vitrinen, Tisch und Fauteuils, hatte ein Sammler und Kenner zusammengestimmt. Ich spürte genau, dass bei dem allem eine mir neue Fähigkeit im Spiele war und der Ausdruck besonderer Ansprüche.
Da er Carls und meine Gesellschaft in seiner von ihm bevorzugten, fast völligen Zurückgezogenheit gelegentlich nicht als störend zu empfinden schien und sich manchmal mit uns befasste, verdanken wir ihm allerlei Spielwerk, das, weil er es selbst ersann und auch herstellte, mit dem sonst üblichen nicht vergleichbar war. So schnitzte er uns einen Fitschepfeil, den wir mittels einer Art Peitsche in unendliche Höhe schießen konnten. Er fertigte kunstgerechte Wurfspieße, die einem Polynesier Ehre gemacht hätten. Und immer wieder von Zeit zu Zeit beschenkte uns unter dem Wohlklang seiner weichen, gutturalen Stimme des schönen Einsiedlers kunstreiche Hand.
Onkel Beninde schwand, wie er auftauchte. Der immerhin wohl kleine Sommerhotelbetrieb bedeutete für einen Mann seines Schlages keinen genügenden Wirkungskreis. Er wurde später bei dem großen Borsig Privatsekretär und ist es bis an sein Ende gewesen.
Die Vorstellung Benindes ist für mich mit den nackten, wintersturmbewegten Bäumen auf den Promenaden verknüpft, auf die man durch seine Fenster blickte. Seine Zimmer waren СКАЧАТЬ