Das Abenteuer meiner Jugend. Gerhart Hauptmann
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Читать онлайн книгу Das Abenteuer meiner Jugend - Gerhart Hauptmann страница 32

Название: Das Abenteuer meiner Jugend

Автор: Gerhart Hauptmann

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Klassiker bei Null Papier

isbn: 9783962818746

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СКАЧАТЬ Be­gräb­nis des Groß­va­ters weiß ich nichts, ver­stän­di­ger­ma­ßen wur­de ich ganz und gar da­von fern­ge­hal­ten. Auch wein­te sich mei­ne Mut­ter nicht vor uns Kin­dern aus. Dann kam die Er­öff­nung des Te­sta­ments, von der wir er­fuh­ren und über die wir Ge­schwis­ter uns al­ler­lei span­nen­de Din­ge zu­tu­schel­ten. Wir fühl­ten bald, dass zu­gleich zwi­schen Va­ter und Mut­ter eine Span­nung ein­ge­tre­ten war, die sich bei mei­nem Va­ter als Zu­rück­hal­tung, ja als Käl­te äu­ßer­te. Er ver­ab­scheu­te Heu­che­lei. Die Trau­er aber um den al­ten, stei­fen, un­ver­söhn­li­chen Schwie­ger­va­ter kann bei ihm nicht sehr tief ge­we­sen sein.

      *

      Der Er­öff­nung des Te­sta­ments bei­zu­woh­nen, hat­te mein Va­ter, wie ich im Ne­ben­zim­mer hö­ren konn­te, er­regt und bei­na­he mit Ver­ach­tung ab­ge­lehnt, wor­auf mei­ne Mut­ter wei­nend al­ler­lei, was ich nicht ver­ste­hen konn­te, ant­wor­te­te. Es fie­len Aus­drücke wie Lei­chen­fled­de­rei, die der Krieg po­pu­lär ge­macht hat­te. Er trei­be sie nicht, so sag­te mein Va­ter, er ent­wür­di­ge sich nicht durch Lei­chen­fled­de­rei. Kurz, mei­ne Mut­ter muss­te al­lein ge­hen, da sie doch ihre In­ter­es­sen nicht un­ver­tre­ten las­sen konn­te.

      Ich ver­hielt mich mäus­chen­still in der Vier, als die Mut­ter am spä­ten Nach­mit­tag aus dem Dachrö­dens­hof zu­rück­kehr­te und in der Drei auf den Va­ter traf. Sie hat­te ihm, wie sie uns spä­ter ein­mal er­zähl­te, eine Schür­ze voll Gold im Wer­te von tau­send Ta­lern nicht ohne ei­ni­ge Freu­de und ei­ni­gen Stolz mit­ge­bracht. Ich hör­te zu­nächst, wie mein Va­ter äu­ßerst er­regt die Wor­te »Be­hal­tet euch eu­ren Mam­mon!« der Mut­ter ent­ge­gen­schleu­der­te, und dann das Fal­len, Klin­gen und Rol­len von Geld.

      Ich weiß nicht, was mei­ne Mut­ter, ver­wun­det und ver­letzt, wie sie sein muss­te, geant­wor­tet hat, sie muss aber auch bei ihm eine wun­de Stel­le be­rührt ha­ben. Vi­el­leicht schob sie ihm un­ter, dass ihm die Sum­me zu ge­ring wäre.

      Je­den­falls brach die Ent­rüs­tung mei­nes Va­ters un­ge­hemmt und in ei­ner nie ge­hör­ten Wei­se aus, die mich zit­tern mach­te. Man fühl­te, wie sich jahr­zehn­te­lang ver­letz­ter Stolz auf­bäum­te und in Macht­lo­sig­keit der Em­pö­rung über­schlug. Eine un­über­brück­ba­re Kluft zwi­schen mei­ner Mut­ter und mei­nem Va­ter tat sich auf, von de­ren Vor­han­den­sein in mei­ne glück­li­che Da­seins­form kaum der Schat­ten ei­ner Ver­mu­tung ge­fal­len war. Das Gan­ze war in ei­ner lan­gen Rei­he von Punk­ten eine An­kla­ge ge­gen die Fa­mi­lie mei­ner Mut­ter. Haupt­säch­lich warf er ihr Hoch­mut, Dün­kel in je­der Form, Her­zens­käl­te und was nicht noch al­les vor. Am Ende des sich furcht­bar stei­gern­den Wort­wech­sels brach mei­ne Mut­ter wie­der in Trä­nen aus. Wei­nend warf sie dem Va­ter vor, er habe ihr vor der Hoch­zeit fest ver­spro­chen, den Gast­hof zur Kro­ne bin­nen höchs­tens zwei Jah­ren zu ver­kau­fen. Er habe die­ses Ver­spre­chen nicht ein­ge­löst und sie die­sem Mo­loch ge­op­fert. Sie has­se das Haus, sie ver­flu­che das Haus. Sie habe ih­ren Ab­scheu vor dem gan­zen Gast­haus­we­sen klar und deut­lich ohne je­den Rück­halt ihm im­mer und lan­ge vor der Ehe zum Aus­druck ge­bracht. Sie habe es sich aber lan­ge nicht schlimm ge­nug ge­dacht, es sei al­les noch sehr viel schlim­mer ge­kom­men. Es habe ihre Lie­be zer­stört, ihre Ehe zer­stört. Das wol­le hei­ßen: ihr Glück zer­stört. »Oder«, fuhr sie dann im­mer wei­nend fort, »willst du be­haup­ten, dass ein Fa­mi­li­en­le­ben in die­sem Mar­ter­kas­ten mög­lich ist? Im Som­mer ste­cke ich die Nase nicht aus der Kü­che her­aus; sehe ich dich oder höre ich dich, ist es höchs­tens, wenn du mich oder je­mand an­ders run­ter­kan­zelst. Du machst im Büro oder Sa­lon den vor­neh­men Mann, und ich, an­ge­zo­gen wie eine Schlum­pe, schä­le in der Kü­che Kar­tof­feln oder pel­le Scho­ten aus. Und wenn ich auf Ord­nung hal­ten will und die Leu­te, vor­an der Chef, mich an­grob­sen, gibst du nicht mir, son­dern ih­nen recht. Du spei­sest im Saal, Ger­hart und Carl krie­gen ihre Tel­ler voll Es­sen in der Bü­fett­stu­be. Ich sehe den gan­zen Som­mer kei­nen ge­deck­ten Tisch« – mei­ne Schwes­ter Jo­han­na war da­mals in ei­nem Pen­sio­nat, mein Bru­der Ge­org in Bunz­lau auf der Real­schu­le – »und im Win­ter ist es wie eben jetzt. Man hat sich den Som­mer hin­durch nicht einen Au­gen­blick Ruhe ge­gönnt, bei drei­ßig Grad Hit­ze un­ter dem Glas­dach der Kü­che halb tot ge­schun­den, da­mit man im Win­ter schlaflo­se Näch­te in Sor­gen und Ängs­ten hat. Du sitzt mit Gu­stav im Büro, ihr schreibt, ihr rech­net, ihr rech­net und schreibt, und wenn ihr noch so sehr rech­net und schreibt, ihr rech­net und schreibt die Schul­den, die uns drücken, nicht weg und könnt die fäl­li­gen Zin­sen nicht auf­brin­gen. Dann nimmst du ver­stimmt mit mir und den Kin­dern dein biss­chen Abend­brot und gehst mit Gu­stav in die Schenk­stu­be. Du brauchst Zer­streu­ung, wie du sagst, ich blei­be al­lein in dem großen, zu­gi­gen, kal­ten Haus und mag se­hen, wie ich mich mit mei­nen Ge­dan­ken, mei­nen Sor­gen, mei­nen be­rech­tig­ten Zu­kunft­s­ängs­ten ab­fin­de. Wenn du mich we­nigs­tens ein­weih­test, aber du schweigst, du sagst mir nichts. Ich will dei­ne Sor­gen mit dir tra­gen, das Le­ben wür­de für mich viel leich­ter sein.«

      Ich könn­te von die­sen Din­gen nicht mehr spre­chen, wie ich es heu­te kann, wenn ich sie da­mals nicht re­gis­triert hät­te. Wie alt ein acht­jäh­ri­ger Kna­be sein kann, ah­nen im All­ge­mei­nen er­wach­se­ne Men­schen nicht. Was mich zu­nächst am tiefs­ten über­rasch­te und schmerz­te, war das Ver­hält­nis der Mut­ter zu dem Hau­se, ohne das ich mich und die Welt nicht zu den­ken ver­moch­te. Die­se schö­nen Säle, Bil­der und Zim­mer, die­se rät­sel­haf­ten Kam­mern un­term Dach, die­se Trep­pen, Kor­ri­do­re und tau­send­fäl­ti­gen Schlupf­win­kel, die Welt Un­term Saal, der hal­len­de Tun­nel, der von dort in den Hin­ter­gar­ten ging, die be­moos­ten Dä­cher, der Tau­ben­schlag: der ge­ra­de­zu ein­zig­ar­ti­ge, un­über­treff­li­che Schau­platz mei­nes Wer­dens, mei­ner Spie­le, mei­nes Le­bens über­haupt soll­te in Wahr­heit ein wohl auch kin­der­fres­sen­der, glü­hen­der Mo­loch sein, der das Le­bens­glück mei­ner Mut­ter ver­nich­tet hat­te? Mei­ne Mut­ter sel­ber be­haup­te­te das.

      Ihr das zu glau­ben, ih­ren un­be­greif­li­chen Irr­tum, ihre Blind­heit die­sem Pa­ra­die­se ge­gen­über auch nur zu ent­schul­di­gen, war für mich ein Ding der Un­mög­lich­keit. Und so stand ich auf Va­ters Sei­te, als er sag­te, dass nun ein­mal sein se­li­ger Va­ter ihm dies Haus hin­ter­las­sen habe und er, selbst die Pie­tät ge­gen den müh­sam er­run­ge­nen Be­sitz sei­ner El­tern bei­sei­te­ge­setzt, es kei­nes­falls ge­gen ein But­ter­brot ver­schleu­dern kön­ne.

      Die pein­li­che Aus­ein­an­der­set­zung und ihre lei­den­schaft­li­che Maß­lo­sig­keit ka­men ei­nem lo­ka­len Erd­be­ben gleich, das den fa­mi­li­ären Bo­den er­schüt­ter­te. Nie­mals er­lang­te er mehr sei­ne alte Fes­tig­keit.

      Mit die­sen Er­fah­run­gen war die Er­kennt­nis ver­knüpft, dass die selbst­ver­ständ­li­chen Voraus­set­zun­gen mei­nes bis­he­ri­gen Da­seins nicht durch­aus stand­hiel­ten. Mir gin­gen be­stimm­te Sät­ze und Wor­te mei­ner Mut­ter im­mer aufs neue durch den Sinn: »Du sitzt mit Gu­stav im Büro, ihr schreibt, ihr rech­net, ihr rech­net und schreibt, und wenn ihr noch so sehr rech­net und schreibt, ihr rech­net und schreibt die Schul­den, die uns drücken, nicht weg und könnt die fäl­li­gen Zin­sen nicht auf­brin­gen.«

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