Название: Das Abenteuer meiner Jugend
Автор: Gerhart Hauptmann
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Klassiker bei Null Papier
isbn: 9783962818746
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Unser Gustav war ein Stotterer. Seine Schwäche, die wir Kinder ihm mit Liebe vergalten, war unüberwindliche Gutmütigkeit. So konnte er seinerseits als Vizewirt und Personalchef sich nur schwer in Respekt setzen. Uns Kindern etwas abzuschlagen, was wir sehnlich begehrten, vermochte er nicht. Fünf Silbergroschen, zehn Silbergroschen, die er von ihm erhalten hatte, zeigte mir Carl aller Augenblicke.
Unser Vater war ihm weit mehr als irgendjemandem im Hotel Achtungsperson. Man kann wohl sagen, er fürchtete ihn und ging, wo er konnte, ihm aus dem Weg.
Er führte die Bücher, hatte die Lohnauszahlung und den Keller unter sich, ging gelegentlich mit dem Vater auf Jagd oder fuhr mit ihm, wohl auch allein, nach der Kreisstadt Waldenburg, um einzukaufen oder Lieferungsabkommen für den Gasthof zu treffen.
Dass er gern in den kleinen Bierstuben allzu seßhaft war, trug ihm Rüffel und manchmal die heftigsten Vorwürfe meines Vaters ein, der gelegentlich drohte, ihn vor die Tür zu setzen, wie es hieß, und sich nicht mehr um ihn zu kümmern.
Mein Vater liebte seinen Halbbruder und hatte sich löblicherweise in den Kopf gesetzt, ihn aus der Gefahrenzone des Verlodderns herauszureißen.
Eines Tages drückte mir Onkel Gustav, der mich Framper nannte, ein Fünfgroschenstück in die Hand, eine Summe, wie ich sie nie besessen hatte. Ich war völlig berauscht, als ich sie plötzlich in der Hand fühlte. Ich ließ sie mir fünf Minuten später im kleinen Kramladen der Witwe Müller, mit deren Sohn ich oft stundenlang Tüten klebte, in Kupferdreier umwechseln. Was zwanzig Stück dieser Geldsorte ausmachten! Nun erst war ich befriedigt mit meinem, wie ich glaubte, unerschöpflichen Reichtum in der Faust.
Eine Stunde später hatte ich Zeit und Veranlassung, über die Vergänglichkeit eines so ungeheuerlichen Schatzes nachzudenken. Ich hatte vor meinen Myrmidonen und Spielkameraden damit herumgeprahlt und mir schließlich Dreier für Dreier abbetteln lassen.
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Sechzehntes Kapitel
Doktor Straehler, ein Vetter meiner Mutter, dessen Vater also der Bruder meines Großvaters Straehler war, bewohnte im Grünen, nicht fern von uns, ein selbstgebautes hübsches Haus, das er seltsamerweise Zum Kometen genannt hatte. Ein Bauer, der ihn als Arzt konsultieren wollte, hatte mit den Worten nach ihm gefragt: »Wu gieht’s denn hie zum Dukter Strehlinger eis Komitee?«, was immer wieder erzählt und belacht wurde.
Ich könnte nicht sagen, wie es mit seinem ärztlichen Wissen beschaffen gewesen ist, aber er war ein schöner und eleganter Mann, der schönste vielleicht unter den Badeärzten.
In seinem Hause herrschte, von meiner Tante Straehler ausgehend, eine beinah schemenhafte, kühle Gütigkeit. Die Natur meines Onkels war voll guter Laune und Lebenslust. Beides in seinen vier Wänden auszutoben, hatte er keine Gelegenheit, nicht weil es ihm seine Gattin verbot, sondern weil er es um ihretwillen sich selbst versagte. Anders war dies in unserm Kreise, wo Vater und Mutter seinen Humoren alles Verständnis entgegenbrachten und sich von ihnen belebt fühlten.
Diesem Onkel, der wie mein Großvater mit dem Vornamen Hermann hieß, konnte man anmerken, dass er sich wohlfühlte. Man verzieh dem eleganten und schönen Mann, wenn er selbst in Gesellschaft von vornehmen Damen gelegentlich Schwarz schwarz, Weiß weiß und gewisse physiologische Funktionen mit lutherisch-deutschen Kernworten nannte. Mit einem liebenswürdigen Lachen der Unschuld wurden desfalls erteilte Rügen von ihm überhört.
Das Hauswesen dieses Onkels ruhte auf einem Grunde gesicherten Wohlstandes, den er der Gattin zu verdanken hatte.
Die Kinder des Doktor Straehlerschen Ehepaares – damals sind nur Arthur und Gertrud in mein Bewusstsein getreten – wurden nach ganz anderen Grundsätzen aufgezogen als wir kleinen Hauptleute: hier Abhärtung, dort Verzärtelung. Es war nicht zu denken, dass Arthur im Winter etwa mit mir stundenlang oder überhaupt den Pappelberg hätte hinunterrodeln dürfen. Solche allfällig gefährlichen Unternehmungen, und noch dazu unter lärmenden und krakeelenden Gassenjungen, konnten für ihn nicht in Betracht kommen.
Es kamen bei diesem Wintervergnügen gelegentlich wirklich Unfälle vor. Ein Knabe, der bei vereister Bahn, den Kopf voran, auf dem Schlitten lag, fuhr gegen einen Pappelstamm und wurde bewusstlos fortgetragen.
Vielleicht war Gertrud wirklich ein zu schönes und zartes Kind, um robusten Vergnügungen dieser Art geneigt und gewachsen zu sein, und bedurfte eben der Pflege, wie sie ihr von den Eltern zuteil wurde. Bei Arthur schien es uns und meinem Vater und meiner Mutter, man ginge in ängstlicher Sorgfalt zu weit.
Wir Kinder besuchten einander gelegentlich, nicht aber so, dass wir im Kometen und sie im Gasthof zur Krone ungemeldet aus und ein gingen. Die Vorbesprechungen zwischen den Eltern dauerten tagelang. Man musste nicht nur im Kometen auf unser Erscheinen vorbereitet sein, sondern Arthur und Gertrud kosteten noch weit größere Umstände, wenn sie zu uns herübergebracht werden sollten. Was sie tun und nicht tun durften, wurde angesagt, was sie essen und vermeiden, welche Wärme die Zimmer brauchten und so fort.
Pünktlich wurden sie dann vom Hausdiener des Kometen, vermummt bis über die Augen, mit Fußsäcken ausgestattet und im reichverzierten Stuhlschlitten, angebracht. Und doch war der Weg vom Kometen bis zu uns in zwei Minuten zurückzulegen.
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Im späten Herbst und zeitigen Frühjahr, wenn keine Gäste mehr oder noch keine da waren, fand gelegentlich ein größerer Kreis von Verwandten den Weg zu uns und genoss die freie und herzliche Gastlichkeit meines Vaters.
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