Название: Wenn die Götter auferstehen und die Propheten rebellieren
Автор: Oliver Glanz
Издательство: Автор
Жанр: Религия: прочее
isbn: 9783815026182
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Diese historischen Rekonstruktionen der Abläufe und ihrer Dynamiken auf die Entscheidungen der Menschen zu verstehen, hilft, das erneute Aufkommen eines grausamen Nationalsozialismus zu verhindern. Aber genau hier fängt unser Problem an: Wo die Vergangenheit als eine kausale Kette von Ereignissen und Entscheidungen verstanden wird, kann schnell davon ausgegangen werden, dass der Nationalsozialismus unausweichlich war. Es hätte also gar nicht anders kommen können: A erzeugt B (nach A kommt nicht C). Wenn man allerdings anfängt so zu denken, gibt man die menschliche Freiheit auf. Schnell ist man dann geneigt zu sagen: »Mein Großvater hatte gar keine andere Möglichkeit, als der NSDAP beizutreten.« Menschliches Handeln, Entscheidungen und Überzeugungen sind dann nur noch Produkte der Umstände. Dass das aber nicht der Fall ist, wird immer dann klar, wenn der nächste Schritt aus der Gegenwart in die Zukunft gegangen wird. Deutlich wird, dass als Reaktion auf A neben B1 auch B2, B3 und Bn bestehen.
Diskutiere, wie sich Kausalität und menschliche Freiheit zueinander verhalten. In welchem Verhältnis steht unsere Betrachtung der Vergangenheit zu unserer Zukunftsschau?
3 DENKEN UND GLAUBEN
Die Religionen der Völker zeigen uns oft die bizarrsten Vorstelllungen des göttlichen Wesens, aber wir dürfen uns die Sache nicht so leicht machen und sie als Aberglauben, Irrtum und Betrug verwerfen, sondern das höhere Bedürfnis ist, den Sinn und das Wahre, kurz das Vernünftige darin zu erkennen.
(Hegel, G. W. F. Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Berlin: Duncker und Humblot, 1840, 78.)
Literatur: Clouser, R. A. The Myth of Religious Neutrality: An Essay on the Hidden Role of Religious Belief in Theories. Notre Dame: University of Notre Dame Press, 2005; Dooyeweerd, H. »The Secularization of Science«, Montpellier, 1953; Woudenberg van, R. Gelovend Denken: Inleiding Tot Een Christelijke Filosofie. Amsterdam, Kampen: Buijten & Schipperheijn; KoK, 2004.
3.1 Einleitung: Theorie-Denken und Alltags-Denken
Jeder Mensch denkt. Ohne zu denken wären wir nicht in der Lage zu überleben. Im Alltag denken wir meist, ohne es zu merken. Denken ist nichts anderes als die sinnvolle Verarbeitung von Information. Diese Verarbeitung besteht aus zwei Elementen: (1) Erkennen von Unterschieden (Analyse) und (2) Erkennen von Zusammenhängen (Synthese). Das, was man im Denken differenziert, fügt man in einem weiteren Schritt wieder in einen sinnvollen Zusammenhang. So unterscheide ich zwischen dem Mann, der Frau und dem Kind, die ich sehe (Analyse). Es sind drei verschiedene Wesen. Und gleichzeitig erkenne ich, dass ein Zusammenhang zwischen der Frau, dem Mann und dem Kind existiert (Synthese): Es handelt sich um eine Familie mit Vater, Mutter und Tochter. Es liegt in der Natur des Denkens, dass Analyse und Synthese zusammengehören. Wer keinen Unterschied zwischen Frau und Mann machen würde, stünde in der Gefahr, die beiden Personen in einen falschen Zusammenhang zu stellen: z. B. als Geschwister (siehe Abb. 7).
Fazit: Denken findet statt, wo Unterschied und Zusammenhang von Informationen erkannt werden.
In unserem Alltagsdenken unterscheiden wir zwischen verschiedenen Phänomenen (Donner und Blitz, Brot und Apfelsaft, Essen und Trinken) und bringen sie in einen Zusammenhang (Unwetter, Nahrung, Mittagessen). Nur so können wir überleben. In der letzten Reflexion wurde davon geredet, dass der moderne Mensch vom rationalen Denken geprägt ist. Damit ist nicht so sehr dieses gewöhnliche Alltagsdenken gemeint, sondern wissenschaftliches oder theoretisches Denken. Ein solches Denken ist in gewisser Weise Denken in einem anderen Modus. Zur Vereinfachung wird das wissenschaftliche und theoretische Denken »Theoriedenken« genannt. Im Gegensatz zum Alltagsdenken verhält sich das wissenschaftliche Denken »mikroskopisch«. So wie das Alltagsdenken besteht auch das Theoriedenken aus Analyse und Synthese. Beim Theoriedenken wird allerdings nicht im Alltagsmodus, sondern im Mikroskopmodus analysiert und synthetisiert. Man unterscheidet darum nicht nur zwischen den Phänomenen »Hund« und »Mensch«, sondern zwischen den Blutbahnen und Nervenbahnen »innerhalb« eines Hundes. Wenn das Theoriedenken die Unterschiede »mikroskopisch« festgestellt hat, sucht es den Zusammenhang der zuvor unterschiedenen Elemente: Wie verhalten sich die Blutbahnen zu den Nervenbahnen des Hundes?
Verschiedenste mikroskopische Blickwinkel bestehen. Während der eine über die Substanzen innerhalb der Blutbahn und Nervenbahn nachdenkt (Biochemie), denkt, d. h. analysiert und synthetisiert, der andere über das Verhältnis von Fressvorgang und Speichelsekretion nach (Verhaltenspsychologie) und wieder ein anderer über Hormone und Brunftzeit (Biologie) (siehe Abb. 8).
Es gibt sehr viele verschiedene Seins-Aspekte, die man beim Theoriedenken unter die mikroskopische Lupe nehmen kann. Unter Seins-Aspekten werden alle Aspekte verstanden, die in einem existierenden Ding, Wesen oder Phänomen notwendigerweise anwesend sind (Hund, Stein, Liebe). Wenn man die verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen betrachtet, gibt es die folgenden Seins-Aspekte, die man beim Theoriedenken in allen Dingen und Phänomenen unterscheiden kann (in Reflexion 5 wird auf die folgende Liste näher eingegangen):
1. quantitativer Seins-Aspekt (mehr – weniger)
2. räumlicher Seins-Aspekt
3. kinematischer Seins-Aspekt
4. energetischer Seins-Aspekt
5. biotischer Seins-Aspekt (leben – sterben)
6. sensorischer/psychischer Seins-Aspekt
7. logischer Seins-Aspekt
8. historischer Seins-Aspekt
9. linguistischer Seins-Aspekt (kommunizieren – misskommunizieren)
10. sozialer Seins-Aspekt
11. ökonomischer Seins-Aspekt
12. ästhetischer Seins-Aspekt
13. juristischer Seins-Aspekt
14. ethischer Seins-Aspekt
15. fidelischer Seins-Aspekt (vertrauen – misstrauen)
Jeder Gegenstand (Stein, Mensch, Baum) und jedes Phänomen (Liebe, Regen, Essen) kann in diese verschiedenen Seins-Aspekte unterschieden werden. Während ich im Alltagsdenken den Mann von der Frau abgrenze, bringt mich das Theoriedenken zum Abgrenzen von biotischem und psychischem Seins-Aspekt eines Gegenstandes. Wenn der Theoriedenker einen Seins-Aspekt abgegrenzt hat, kann er in ihm ganz bestimmte Gesetzmäßigkeiten finden. Der Verhaltenspsychologe, der den psychischen Seins-Aspekt des Hundes unter die Lupe nimmt, findet heraus, dass die Speichelsekretion auf Grund von Konditionierung zustande kommt. Wenn der Hund seinen Fraß sieht oder riecht, setzt die Speichelproduktion an. Wenn der Hund mit Fraß nun ein Klingelgeläut verbindet, setzt beim Glockengeläut die Speichelproduktion ein, selbst wenn es keinen Fraß gibt. Damit hat Pawlow innerhalb des sensorischen/psychischen Seins-Aspekts das Gesetz der Konditionierung entdeckt. Der Biologe, der den biotischen Seins-Aspekt erforscht, findet heraus, dass die Brunftzeit durch das genetische Erbmaterial immer in der günstigsten Zeit des Jahres stattfindet, um später beste Konditionen für den jungen Nachwuchs zu haben und damit das Überleben der Rasse zu sichern. СКАЧАТЬ