Название: Wenn die Götter auferstehen und die Propheten rebellieren
Автор: Oliver Glanz
Издательство: Автор
Жанр: Религия: прочее
isbn: 9783815026182
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Immer dann, wenn ein Theoriedenker einen Seins-Aspekt eines Gegenstandes untersucht, wird er Gesetzmäßigkeiten finden. Damit ist aber erst die halbe Arbeit getan (siehe Abb. 9).
Nachdem der Theoriedenker den einen Seins-Aspekt (z. B. den sensorischen/psychischen Seins-Aspekt) des Hundes oder irgendeines anderen Gegenstandes von anderen Seins-Aspekten abgegrenzt und dadurch allgemeingültige Gesetze entdecken konnte (z. B. Gesetz der Konditionierung, Gesetz der genetischen Selektion), muss er nun – wie beim Alltagsdenken – durch die Analyse diesen Seins-Aspekt wieder in einen Zusammenhang (Synthese) mit den anderen Seins-Aspekten bringen, um ein sinnvolles Gesamtbild zu erhalten. Aber wie sollen sich die Gesetzmäßigkeiten des sensorischen/psychischen Seins-Aspektes zu den Gesetzmäßigkeiten des biotischen Seins-Aspektes verhalten? Genau an dieser Frage bricht der Streit der Theoriedenker aus, und die Wiederauferstehung des antiken Götterstreits findet statt (siehe Abb. 10). Der Verhaltenspsychologe ist so beeindruckt von der Macht der Konditionierungsgesetze, dass sie aus seiner Sicht das gesamte Verhalten des Hundes erklären könnten. Und so scheint es ihm sinnvoll, die genetischen Gesetze als eine Art verhaltenspsychologisches Folgegesetz zu betrachten. Beispielsweise kann Genmaterial durch verhaltenspsychologische Vorgänge manipuliert werden. Neueste Forschungen haben ergeben, dass viele übergewichtige Personen ein Gen besitzen, das die Fettleibigkeit fördert. Man konnte allerdings feststellen, dass dieses Gen auch bei sehr vielen Menschen vorliegt, die nicht unter Übergewichtigkeit leiden. Deren gesunde und geregelte Essgewohnheiten führte dazu, dass das Fettleibigkeitsgen nicht aktiviert wurde. Ganz ähnliche Zugsamenhänge lassen sich bei diversen Säugetieren feststellen.1 Biologische Abläufe sind darum vor allem psychisch bedingt. So könnte sich z. B. der Placeboeffekt erklären lassen. Biologische Mechanismen werden durch psychische Prozesse verursacht. Ein sinnvoller Zusammenhang entsteht, indem die verschiedenen Seins-Aspekte sich über die psychischen Gesetzmäßigkeiten zueinander verhalten.
Im Gegensatz zum Verhaltenspsychologen ist der Biologe so beeindruckt von der Macht der genetischen Gesetzmäßigkeiten, dass für ihn alles Verhalten auf den genetischen Code zurückzuführen ist. Nicht nur, ob ein Mensch an Krebs stirbt oder nicht, ist genetisch festgelegt, sondern auch, welchen Schönheitsidealen er nachgehen wird, um einen Partner zu finden. Aus dieser biologischen Perspektive lassen sich die ganzen verhaltenspsychologischen Vorgänge biologisch am Evolutionsprinzip erklären. Psychologische Mechanismen werden durch evolutionäre Prozesse bestimmt. Ein sinnvolles Gesamtbild entsteht, indem sich die verschiedenen Seins-Aspekte über die evolutionären Gesetzmäßigkeiten zueinander verhalten.
Was hier stattfindet, ist Reduktion. Alle übrigen Seins-Aspekte werden zu Unter-Aspekten eines anderen Seins-Aspekts reduziert. Hier entstehen die sogenannten »Ismen« (Biologismus, Psychologismus, Historismus). Bei jedem Ismus werden alle reduzierten Seins-Aspekte analog behandelt. Im Falle des Biologismus (evolutionäre Lebenserhaltungsprinzipien sind dominant) sieht das dann so aus, dass man von »religiöser Existenz« (fidelischer Seins-Aspekt), »sozialer Existenz« (sozialer Seins-Aspekt) und »moralischer Existenz« (ethischer Seins-Aspekt) spricht. Da, wo wir den sensorischen/psychischen Seins-Aspekt verabsolutieren, kommt es zu Analogien wie »logische Kohärenz« (logischer Seins-Aspekt), »kulturelles Empfinden« (historischer Seins-Aspekt), »Sprachgefühl« (linguistischer Seins-Aspekt), »moralisches Empfinden« (ethischer Seins-Aspekt).
Die gesamte Realität wird über das entdeckte Prinzip oder Gesetz einer spezifischen Wissenschaft sinnvoll erklärt. Das Viele lässt sich also durch das Eine erklären. Dabei ist jede ismatische Erklärung immer auch eine deterministische Erklärung, die sich sinnentleerend auf das Alltagsleben auswirkt (siehe Reflexion 1 und 2).
Die Tatsache, dass viele Ismen und damit verschiedene Wirklichkeitsverständnisse möglich sind, erklärt, warum vom Theoriedenken gesprochen wird. Alle logischen Rekonstruktionen eines Zusammenhangs der verschiedenen Seins-Aspekte sind nämlich nur Theorien. Jede Theorie kann die andere ausspielen. Und da, wo ein psychisches Phänomen nicht so einfach in den biologischen Reduktionismus passt, kann immer behauptet werden, dass in der Biologie noch weiter geforscht werden muss, um eine überzeugende Erklärung zu ermöglichen.
Fazit: Theoriedenken und damit wissenschaftliches Denken sind weder objektiv noch neutral.
3.3 Auf der Suche nach dem Zusammenhang
Wir sehen jetzt, wie der moderne Mensch mit seinem Dilemma von Objektivismus und Subjektivismus nicht so sehr vom Denken an sich geprägt ist, sondern von einem ganz bestimmten Denken. Nicht das Alltagsdenken, sondern die Ergebnisse des Theoriedenkens sind sein Problem. Soll das heißen, dass wir nicht mehr theoretisch denken sollen, und dass alle wissenschaftlichen Disziplinen letztlich keinen unumstrittenen Beitrag zum Verständnis des Lebens liefern? Das wäre ein voreiliger Schluss. Vielmehr müssen wir uns fragen, wie es zu diesem Phänomen des Reduktionismus kommt. Warum wird der Zusammenhang abgegrenzter Seins-Aspekte immer nur durch einen spezifischen Reduktionismus sinnvoll erklärt? Kann man einen sinnvollen Zusammenhang nicht auch ohne Reduktionismus gestalten? Warum kommt es zu diesem modernen Götterstreit, gibt es nicht auch Wissenschaft ohne Götter?
Wie schon Max Weber in seiner berühmten Vorlesung »Wissenschaft als Beruf« erklärte, hat der moderne Götterstreit sehr viel mit dem antiken Götterstreit zu tun. Im Römerbrief beschreibt der Prophet und Apostel Paulus, dass der antike Götterstreit (Zeus/Jupiter, Aphrodite/Venus, Dionysos/Bacchus, etc.) nur zustande kam, weil die Menschen dem wahren und einzigen Gott JHWH nicht mehr vertrauten (Römer 1,18 - 25). Paulus argumentiert weiter, dass da, wo JHWH als Schöpfer abgelehnt wurde, die Menschen einen Gottersatz in den Gegenständen der Schöpfung suchten. Für uns moderne Menschen ist es schwer, sich mit diesem biblischen Vokabular anzufreunden. Unter dem Begriff »Gott« verstehen die Propheten jemanden, der die Wirklichkeit so, wie wir sie kennen, geschaffen hat. Er hat unsere Erde, den Kosmos, Naturgesetze, Tiere, Menschen, in einen sinnvollen Zusammenhang gestellt. Für die Propheten besteht ein ganz klarer Unterschied zwischen dem einen Schöpfer (Gott) und der Vielfalt der Schöpfung. Der Existenzgrund der Wirklichkeit als auch deren Einheit und Zusammenhang liegen in Gottes Tat der Schöpfung begründet.
Die Abbildung 11 zeigt, dass es beim Begriff Gott in der Bibel, genauso wie in der Wissenschaft und ihren verschiedenen Ismen, darum geht, die Welt in einem sinnvollen Zusammenhang zu verstehen. Passend zu unseren Beobachtungen betonen die Propheten im Alten Testament, als auch Paulus und andere im Neuen Testament, dass man JHWH als Gott ablehnen kann. Man kann aber nicht Gott als eine Idee ablehnen, die die Diversität der Wirklichkeit in einen Zusammenhang bringt und den Grund für die Existenz dieses Zusammenhangs gibt. D.h. unabhängig davon, was man glaubt, muss man an etwas glauben, das diese Gottesrolle einnimmt. Der Mensch kann nicht sinnvoll leben, ohne die Gottesrolle konkret auszufüllen. Die Propheten beobachten, dass da, wo man JHWH als wahren und einzigen Schöpfer nicht mit dieser Gottesrolle identifiziert, die Menschen irgendetwas anderes mit dieser Gottesrolle in Verbindung bringen. Da es aber für die Bibel außer JHWH keinen Schöpfer gibt, muss der antike Mensch einen Gegenstand der Schöpfung mit dieser Rolle bekleiden. Und so wird die Sonne, die ja in der Bibel durch JHWH geschaffen wird, auf einmal in heidnischen Kulturen (z. B. Ägypten) selbst als Schöpfer der Wirklichkeit gesehen. Über die Sonne kann dann der Mensch die Vielfalt des Lebens erklären. Die Sonne gibt Wärme, lässt Pflanzen wachsen, reguliert die Zeiten und lässt Wasser verdunsten, sodass es regnet. Mit Hilfe der Sonne kann der innere Zusammenhang der Welt logisch erklärt werden (siehe Abb. 12).
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