Wenn die Götter auferstehen und die Propheten rebellieren. Oliver Glanz
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Название: Wenn die Götter auferstehen und die Propheten rebellieren

Автор: Oliver Glanz

Издательство: Автор

Жанр: Религия: прочее

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isbn: 9783815026182

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СКАЧАТЬ dass Descartes’ Satz »cogito ergo sum« (Ich denke, also bin ich.) gewissermaßen das Fundament der Moderne gelegt hat. Warum? Descartes hatte ein abenteuerliches und von vielen Unsicherheiten geprägtes Leben. In seiner Zeit entstanden die Nationalstaaten im Trubel politischer Unsicherheit; die Spaltung der Großkirche und des Protestantismus fanden statt und riefen eine religiöse Unsicherheit hervor. Durch Entdeckungen von Wissenschaftlern wie Kepler und Kopernikus entstand eine metaphysische Unsicherheit, deren Hauptfrage war: Was ist Realität?

      Als Söldner kämpfte er am Anfang des Dreißigjährigen Krieges mal für die Protestanten (Fürst Moritz von Nassau), mal für die Katholiken (Maximilian von Bayern). Descartes sah Tausende ermordete Menschen in Dörfern, Städten und auf Feldern, nur weil sie aus der Sicht der Protestanten nicht an die biblische Wahrheit glaubten. Auf der anderen Seite ermordeten Katholiken mit ganz ähnlicher Begründung Protestanten, um die christliche Wahrheit zu verteidigen. Mord wegen unterschiedlicher Auffassungen von Wahrheit! Neben dem Kriegsgeschehen tat sich in Europa aber noch mehr. Viele Ansichten, die man damals über die Natur und den Kosmos landläufig hatte, wurden durch die Entdeckungen von Kopernikus, Huygens, Kepler und Galileo Galilei überholt. Die Erde war nicht mehr Mittelpunkt des Universums (geozentrisches Weltbild), sondern die Sonne (heliozentrisches Weltbild). Zumindest deuteten darauf alle wissenschaftlichen Berechnungen. Für den wissbegierigen Descartes stellte die Nachricht darüber, dass Galileo Galilei von den Inquisitoren zur Widerrufung seiner Thesen aufgerufen wurde, eine endgültige Kehrtwende dar. Für ihn entstand die zentrale Frage: Wer hat die Autorität, sagen zu können, was Wahrheit und Wirklichkeit sind? Der Papst, Kepler oder Luther? Wann kann ein Mensch überhaupt Gewissheit darüber haben, dass sein Glaube von der Wahrheit handelt und nicht von einer Illusion? Wenn das, wofür man im Dreißigjährigen Krieg kämpfte, am Ende nur Illusion und nicht Wahrheit war, dann war noch weniger zu rechtfertigen, dass man wegen »der Wahrheit« halb Europa tötete. Wie jeder in der damaligen Zeit war Descartes gläubig und fest davon überzeugt, dass es die eine alleingültige Wahrheit gibt. Aber wenn ganz Europa sich nicht einig darüber sein kann, was die Wahrheit ist, dann scheint zumindest halb Europa einer Illusion zu glauben und sich getäuscht zu haben. Und so fand Descartes sehr schnell den Gegenstand seines kritischen Nachdenkens: Täuschung. In seinen Meditationen (Meditationes de prima philosophia) untersucht er, worin man als Mensch überall getäuscht werden kann. Freunde können einen täuschen, Gefühle können einen täuschen. Es ist gerade des Teufels Expertise, jeden einzelnen Menschen zu täuschen. Aber Descartes ist kein Pessimist. Er glaubt daran, dass absolute Gewissheit, die jegliche Täuschung überwindet, zu erreichen ist. In seinen Meditationen kommt er zum Schluss, dass das einzige, was uns von jeglicher Täuschung bewahrt, das unabhängige Denken, die neutrale Rationalität sei. Mit seinem Satz »cogito ergo sum« will er somit sagen, dass das, was den Menschen im Innersten ausmacht, seine Fähigkeit ist, rational in Unabhängigkeit zu denken. Menschen lassen sich irreführen, weil sie nicht in Unabhängigkeit denken. Wer alle Regeln der Logik anwendet und sich nur von ihnen leiten lässt, wird die Wahrheit entdecken – unabhängig von Papst, Luther oder Kepler! Gerade erst im Schulterschluss von persönlicher Unabhängigkeit (Neutralität) und Ratio (Vernunft) lässt sich Wahrheit finden.

      2.3 Hinwendung zum Ich – Anwendung von Rationalität: ein Problem

      Mit Descartes hat sich der Ausgangspunkt der Wahrheitserkenntnis grundlegend geändert. Wahrheit wird nicht mehr von außen an uns herangetragen. Nicht mehr ein Prophet, Priester oder die Tradition vermittelt oder verantwortet die Wahrheit, sondern sie erschließt sich von innen, aus mir selbst heraus (Unabhängigkeit). Durch mein Denken (Rationalität) kann ich die Wahrheit erkennen. Man spricht auch von der sogenannten »Hinwendung zum Ich/​Subjekt« oder zur 1. Person-Perspektive (»Turn to the self«).

      Descartes’ Gedanken sind zu einem großen Teil gut nachvollziehbar. Seine Werke und Gedanken wurden vom Papst verboten, aber sie fanden so viele Anhänger, dass Jahrhunderte später der moderne Mensch zu einem großen Teil das Programm Descartes’ auslebt – mit all seinen problematischen Konsequenzen! Was ist das Problem?

      Um der Täuschung und dem Zweifel zu entkommen, muss der Mensch sein rationales Denkvermögen in Unabhängigkeit (Neutralität) einsetzen, um Gewissheit über Wahrheit und Irrtum zu erlangen (siehe Abb. 5).

      Wie gesagt, misstraut Descartes im Prinzip allem, auch den eigenen Sinnen. Würden wir den Sinnen vertrauen, würden wir denken, dass die Sonne jeden Morgen aufgeht und am Abend wieder untergeht. Aber mit Hilfe von rational-analytischen Berechnungen hat man die sinnlichen Wahrnehmungen bis in die Kleinigkeiten zu zerlegen (Dekonstruktion) und zu untersuchen. Wenn man dann alle Elemente rational wieder zusammenstellt (Konstruktion), wird man herausfinden, dass sich in Wirklichkeit die Erde um die Sonne dreht. Diese rationale Analyseprozedur hat man auf alle Gegenstände anzuwenden. Und hier liegt das große Problem: Nach Descartes’ Methode wird die Welt da draußen durch meine innen liegende Rationalität rekonstruiert. Da die eigene Logik nach den Regeln der Kausalität funktioniert, ist die »wissenschaftlich« rekonstruierte Welt auch immer eine kausale Welt. Kausal bedeutet, dass die rekonstruierte Welt keine willkürliche Natur, sondern eine geregelte Natur hat. Wenn z. B. Sonnenlicht in einer bestimmten Wellenlänge auf bestimmte kugelförmige Wassertropfen einer Regenwand stößt, entsteht immer ein Regenbogen – ohne Ausnahme. Die Realität wird damit vorhersehbar. Wenn aber die gesamte externe Welt nach den Regeln der internen Logik rekonstruiert wird, ist alles kalkulierbar. Alles! D.h. wenn ich mit meiner Rationalität wissenschaftlich herausfinden möchte, wer ich in Wahrheit bin, dann bin sogar ich kalkulierbar, berechenbar, unfrei und eine Maschine. Auf einmal komme ich mit meinen Untersuchungen nicht nur zum Schluss, dass mein Haarausfall genetisch verursacht ist, sondern auch, dass meine Liebe zu meiner Frau aufgrund bestimmter biochemischer Prozesse zustandekommt. Und genau das ist das Problem des Objektivismus: Ich bin nicht mehr frei. Wenn ich das nicht anerkennen will, bin ich einer Täuschung zum Opfer gefallen. Das Ich wird durch eine objektive 3. Person-Perspektive definiert.

      Mit der Hinwendung zum Ich (Subjekt) als rationales Wesen meint Descartes einen Weg gefunden zu haben, sich von der Gewalt der 3. Person, nämlich der Fremdbestimmung des Papstes, der Tradition und anderer Kräfte, zu befreien. Ironischerweise ist das Ich bzw. der Mensch in letzter Konsequenz aber wieder unfrei. Er ist zwar nicht mehr gefangen von den alten Kräften, wird aber jetzt von neuen, noch gewaltigeren Kräften beherrscht. Descartes’ rationalistische Methode ist wie ein Zauberstab: Jedes zuvor mysteriöse Objekt, das angetastet wird, ist auf einmal verständlich, erklärbar, logisch, aber gleichzeitig auch berechenbar und fremdbestimmt (siehe Abb. 6).

      2.4 So sein wie du

      Nun hat Descartes unser Problem von Subjektivismus und Objektivismus zu seinen Lebzeiten nicht mehr gesehen. Wenn er gewusst hätte, was die Folgen seiner Überlegungen sein würden, hätte er noch einmal angefangen sich zu fragen, ob er mit seinem »cogito ergo sum« nicht vielleicht einer Täuschung aufgesessen war. Für ihn war es wichtig, einen neutralen Ort zu finden, von dem aus man, ohne sich von Meinungen, Religionen oder Traditionen beeinflussen zu lassen, die echte Wahrheit entdecken kann. Und die menschliche Logik schien ihm so ein Ort zu sein. Ein Ort, den jedes Individuum für sich beanspruchen kann, denn er glaubte, dass jeder einzelne Mensch von Gott die Fähigkeit des rationalen Denkens erhalten habe. Jeder Einzelne kann sich also neutral der Welt nähern und herausfinden, was die Wirklichkeit ist.

      In unserer ersten Reflexion haben wir festgestellt, dass kein Mensch nur objektivistisch leben kann. Subjektivität bleibt immer Bestandteil unseres Lebens. Das wird sichtbar in den Spannungen, die die »philosophy of mind« hervorruft: Auf der СКАЧАТЬ