Название: Menschen im Krieg – Gone to Soldiers
Автор: Marge Piercy
Издательство: Автор
Жанр: Книги о войне
isbn: 9783867548724
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29 juillet 1940
Papa ist wieder da! Erst die Zwillinge und dann er. Er ist aus einem Kriegsgefangenenlager entflohen. Er sagte, dass sie anfingen, die Juden von den anderen abzusondern, obwohl ich glaube, das ist nur ihr Sauberkeits- und Ordnungsfimmel. Sie sortieren gern alle in Schubfächer ein. Er arbeitete beim Müllkommando, als er aus dem Lager entfloh, und hat seine Uniform weggeworfen. Ich hoffe, er bekommt wegen seines übereilten Handelns keine Schwierigkeiten. Er wollte unbedingt nach Hause, aber es wird gesagt, dass die Deutschen sowieso bald alle Kriegsgefangenen entlassen.
Es ist, als habe seit seiner Rückkehr ein Erdbeben sein Epizentrum direkt unter unserer kleinen Wohnung. Er rennt herum und trifft sich mit all seinen copains von den alten radikalen Zeitungen und von der Poale-Zion. Sie haben sogar eine Delegation geschickt, um mit den jüdischen Kommunisten zu reden, von denen berichtet wird, dass sie dem Hitler-Stalin-Pakt nicht zustimmen wie der Rest der Partei. Früher weigerte sich Papa, mit Kommunisten überhaupt zu reden, aber jetzt hastet er in ganz Paris herum und bespricht sich mit jedem Brauskopf. Er hat eine Art jüdische Widerstandsbroschüre weiterverteilt, die sich Que faire nennt und von Hand abgeschrieben wird und die von Horrorgeschichten und Parolen strotzt wie partout présent: seid überall, und faire face: erhebt euch gegen sie. Ich bin erleichtert, dass Papa in Sicherheit ist – wie lange er es allerdings bleibt, wenn er so weitermacht, ist eine andere Frage. Doch ich muss sagen, bis uns die Zwillinge zurückgebracht wurden, dünner und verdreckt und voller Geschichten von brennenden Fahrzeugen und alleingelassenen Babys und im Tiefflug angreifenden Flugzeugen, war es hier außerordentlich friedlich, nur Maman und ich. Sie war krank vor Sorge, aber ich habe sie getröstet, und ich glaube, sie achtet mich jetzt mehr.
14 septembre 1940
Ich persönlich glaube, dass man eine innere Gelassenheit erreichen muss. Ich gebe zu, es ist beunruhigend, durch die Straßen zu gehen und Plakate angeschlagen zu sehen, welche die Juden en bloc anprangern, und all die pöbelhaften neuen Zeitungen zu sehen, die nichts tun, als allen Juden den Tod zu wünschen, Au Pilori zum Beispiel. Aber ich übe mich in Selbstdisziplin, während ich umhergehe, und sage mir, ich weiß, ich bin nicht schmutzig, ich bin nicht gemein, ich bin so französisch wie alle anderen und ebenso von französischer Kultur durchdrungen wie jeder meiner Lehrer, also bin nicht ich es, gegen die sich diese Gemeinheit richtet, und ich werde sie einfach nicht an mich heranlassen. Wütend werden bedeutet, denen Macht zu geben, die angreifen. Einen derartigen Angriff nicht beachten bedeutet, die Angreifer zu entmachten, nicht sich selbst. Wir geben diesen Schreihälsen ihre Macht, indem wir uns beleidigen lassen.
Papa und Maman sind sehr bestürzt, weil die Staatsbürgerschaft der Balabans widerrufen worden ist. Sie sind erst seit 1935 in Frankreich, und ihnen ist ihre französische Staatsbürgerschaft aberkannt worden. Sie tun mir leid, aber ich kann es nicht allzu befremdlich finden. Sie scheinen sich keinerlei Mühe gegeben zu haben, sich in die französische Gesellschaft einzufinden. Sie sprechen mit ihren Freunden nur Jiddisch oder Polnisch und sind unübersehbar Ausländer, sogar auf der Straße. Wenn man in einem anderen Lande lebt und sich so auffällig verhält, ist das für mein Gefühl nahezu arrogant. Trotzdem tun mir die Balabans unendlich leid.
2 octobre 1940
Jetzt ist Anordnung ergangen, dass wir alle zum zuständigen Polizeirevier gehen müssen, wo wir registriert werden wie Prostituierte oder Verbrecher und ein großes, hässliches JUIF auf unsere Ausweise gestempelt bekommen. Ich habe am Frühstückstisch angekündigt, dass ich einfach nicht hingehen werde. Ich dachte, Papa und Maman würden entsetzt sein, doch nein, Papa sagte, er wolle darüber nachdenken, was passieren könnte, wenn wir nicht gehorchen. Er findet es keine schlechte Idee, die Registrierung zu verweigern, wenn uns nur etwas einfällt, wie wir sie umgehen können. Ich weiß, es hat keinerlei Bedeutung, aber derart ausgesondert und gekennzeichnet zu werden finde ich einfach demütigend.
Marie Charlotte war in letzter Zeit äußerst merkwürdig zu mir. Die letzten beiden Male, die wir verabredet waren, ist sie einfach nicht gekommen. Sie hat mich schlicht sitzen lassen. Schließlich habe ich mich gestern mit ihr ausgesprochen. Sie sagte, sie habe mich immer noch sehr lieb, habe aber gehört, dass andere sie für eine Jüdin halten, weil sie immer mit mir zusammen ist, und dass sie Angst habe. Sie wolle kein solches Kennzeichen tragen, zumal sie als gute französische Katholikin geboren sei und ihre Mutter meine, es sei ihre eigene Schuld, weil sie sich mehr mit mir abgebe als mit ihresgleichen.
9 octobre 1940
Wir sind alle vorschriftsmäßig registriert, eine der demütigendsten Erfahrungen in meinem Leben. Seit Marie Charlotte abtrünnig geworden ist, habe ich mich mit einigen jüngeren Leuten angefreundet, die ich vor einem Jahr noch für Rowdys gehalten hätte. Sie sind gewiss keine achtbaren bürgerlichen Elemente, aber sie sind nicht unintelligent, und sie scheinen keinerlei Vorurteile zu haben, anders als viele Leute, von denen man dachte, sie stünden über solchen Dingen. Sie hören viel Jazz, besonders amerikanischen Jazz, und kleiden sich wie Bohémiens.
Es fasziniert mich, dass sie keine strenge Alterstrennung kennen. Einige von dieser neuen Clique sind auf der Universität, einige wie ich im letzten Jahr vom lycée und einige nicht mehr in der Schule, aber auch noch nicht im Beruf. Es ist nicht die Besonderheit ihres Stils, die es mir angetan hat, sondern ihre Toleranz. Sie scheinen nicht von der Angst besessen, die deutschen Erlasse zu befolgen, und es kümmert sie nicht, was ich bin, nur, wer ich bin. Dafür achte ich sie. Sie denken, ich bin zu ernsthaft, aber sie würden mir schon den Kopf zurechtsetzen. Das bezweifle ich, aber es tut gut, ins Café Le Jazz Hot zu gehen, wo sie meistens sind, und mich zu Freunden zu setzen und willkommen zu fühlen. In diesen Tagen ist es selten geworden, sich willkommen zu fühlen, und hinter ihrer Lässigkeit verbirgt sich eine Höflichkeit, die ich schätze.
Jeden Tag wächst in mir die Ungewissheit, was aus uns werden soll, aus uns allen, und ob ich je eine Chance bekomme, irgendetwas zu werden, geschweige denn die Wahl habe, ob Lehrerin oder Schauspielerin, denn Türen scheinen schneller zuzuschlagen, als ich auf sie zugehen kann. Ich fühle mich, wie sich eine Kreatur der Tropen gefühlt haben muss, als die Eiszeit kam und die Gletscher niederwalzten, was einmal üppige und blühende Bananenwälder waren. Ich fühle mich, als gehörte ich eigentlich nicht mehr zu meiner Familie, aber ohne einen eigenen Platz oder eine eigene Rolle zu haben, ohne eigenen Ort, an dem ich wahrhaft zu Hause bin. So ist es kein Wunder, wenn ich jetzt mehr und mehr Zeit mit meinen neuen unbürgerlichen Freunden im Café Le Jazz Hot zubringe.
Abra 1
Abra macht sich auf
Seit zweihundert Jahren fuhren die Männer in Abras Familie aus Bath, Maine, zur See. Abra fuhr nach New York.
Mit dreiundzwanzig meinte Abra, ihr richtiges Leben habe damals im September 1938 begonnen. Da hatte sie, mit neunzehn, vom Smith College ans Barnard gewechselt und endlich den Sprung nach Manhattan geschafft, dem glitzernden Land Oz ihrer Kindheit, wo sie ihrer Überzeugung nach immer hingehört hatte. Letztes Jahr war sie als Doktorandin zur Graduate School der Columbia in der Fachrichtung Politische Wissenschaften zugelassen worden. Abra hielt sich nicht für die geborene Gelehrte und konnte sich nicht recht vorstellen, selber zu unterrichten, doch zum einen genügte ihr die Graduate School an und für sich – Politik war schließlich das aufregendste Thema der Welt –, zum anderen waren die Studierenden in ihrer Fachschaft zu neunzig Prozent Männer, die Lehrenden zu hundert Prozent. Abra, die mit Brüdern aufgewachsen war, fand die Situation, die einzige Frau im Raum zu sein, völlig normal. Unter Männern lebte sie auf.
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