Название: Menschen im Krieg – Gone to Soldiers
Автор: Marge Piercy
Издательство: Автор
Жанр: Книги о войне
isbn: 9783867548724
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Anfangs lachten die Kinder sie aus, weil ihr Englisch die falsche Sorte Englisch war. Sie sprach die Wörter so aus wie die Engländer, einmal, zweimal, aber nicht dreimal. Sie ahmte nach. Sie gab sich große Mühe, und oft ging es daneben, aber sie war dankbar. Die Siegals hatten sie aufgenommen, was ihnen weniger bedeutete als ihr. Eines Tages würde Papa kommen und sie holen und zu Maman und Rivka und ihrer älteren Schwester Jacqueline zurückbringen. Papa hatte ein Motorrad, und so sah sie ihn kommen, auf dem Motorrad knatterte er durch die Straßen von Detroit.
Sie hatte jetzt drei Vornamen. Zwei Vornamen hatte sie schon immer gehabt, Naomi zu Hause, ihren hebräischen Namen, und Nadine in der Schule und in ihren Papieren. Die Art, wie ihre neue Familie Naomi aussprach, machte daraus einen neuen Namen: Näi-ou-mih, aber dafür trug sie hier überall ihren hebräischen Namen. Jetzt musste sie sagen, dass ihr Familienname Siegal war und nicht mehr Lévy-Monot, denn die Siegals hatten sie angeblich adoptiert, aber Papa hatte gesagt, das war nur eine Formalität, um die Einwanderungsbehörden an der Nase herumzuführen, und sie blieb immer seine Tochter. Siegal stand jetzt in ihren Papieren, genau wie bei Ruthie Siegal, Onkel Morris Siegal, Tante Rose Siegal und ihren Vettern Duvey und Arty. Alle Papiere waren jetzt Lügen. Nur so kamst du über die Grenze. Als Jude durftest du nie deinen richtigen Namen verraten, höchstens einem anderen Juden, aber oft nicht mal dann. Naomi wusste, sie musste sich jeden Tag große Mühe im Nachahmen geben, damit niemand merkte, dass sie ein Flüchtling war.
Papa war im Süden – nicht, was hier gemeint war, wenn Onkel Morris sagte, reiche Juden fuhren den Winter über in den Süden. Damit war hier Florida gemeint. Sie glaubte nicht, dass es reiche Juden gab. Sie hatte davon gehört, war aber nie welchen begegnet. Alle Juden aus ihrer Pariser Umgebung arbeiteten in kleinen Fabriken, kleinen Werkstätten. Sie arbeiteten für Kürschner oder in Damenmodegeschäften oder als Schneider oder als Buchbinder; sie verkauften Lederreste oder Stoffreste oder Fisch. Am ehesten kam noch Papas älterer Bruder Onkel Hercule in Frage, der im Elsass ein Restaurant hatte, bis die Deutschen kamen und es ihm wegnahmen. Die Deutschen waren eingefallen, und das starke französische Heer, von dem sie in der Schule gehört hatte, la grande Ligne Maginot, war verschwunden wie ein ausradierter Bleistiftstrich, und Papa war in Gefangenschaft geraten.
Der Süden, damit meinte Naomi das Licht, die Gerüche, die Hitze der Provence. Jedes Jahr im August fuhren sie nach Fréjus am Mittelmeer, in die kleine Pension mit der Bougainvillea, die über die Terrasse wuchs, auf der sie immer frühstückten, Maman, Papa, Rivka, die in der Welt Renée genannt wurde, und sie. Yakova, die sogar zu Hause darauf bestand, Jacqueline genannt zu werden, schlief dann noch. Über Jacqueline sagten alle als Erstes, sie sei hübsch, und als Zweites, sie sei sensibel, aber Rivka und Naomi fanden, sie war meistens eine Pest. Naomi und Rivka liebten es, wie die Bienen in den Blumen herumkrabbelten, aber gegen Ende des Frühstücks wurden sie beide ungeduldig. Maman und Papa trödelten immer in den Ferien, les grandes vacances. Rivka sagte, die Bienen summten, weil die Blumen für sie wie Eiscreme schmeckten. Die Eiscreme im Süden war besser als die in Paris, und in den Ferien bekamen sie immer Eiscreme. Sogar Jacqueline mochte Eiscreme. Sie sagte, die Liebe sollte wie Eiscreme sein, war es aber wahrscheinlich nicht.
Ruthie unter ihr rührte sich. Ihre schlanken Beine streckten sich heraus und tasteten nach den fusselnden, ausgetretenen Pantoffeln, die sie Puschen nannte. Sie hängte sich ihren eine Nummer zu kleinen, karierten Morgenmantel um, ging durchs Zimmer, spähte um das Rouleau herum nach dem Wetter und fuhr dabei in die Ärmel. Naomi sah von ihr nur den fest um die vollen, hohen Pobacken gezogenen Morgenmantel und das dunkle, halb vom Rouleau verdeckte Haar. So wie sie seufzte, dachte Naomi, gefiel ihr das Wetter nicht. »Schneet es?«, fragte sie.
»Schneit es?«, verbesserte Ruthie geduldig und lächelte ihr über die Schulter zu. »Wie auch immer, zazkele, ja. Weißt du, wie man einen Schneemann macht?«
Naomi turnte schon hinunter. Im Dezember war es hier dunkler als daheim in Paris, aber hier schneite es viel mehr. Einmal war der Schnee daheim zehn Zentimeter hoch gewesen. Papa war mit ihnen in den Park Les Buttes Chaumont gegangen und hatte Rivka und ihr geholfen, eine Burg zu bauen. »Zeigst du es mir?« Bei dem Gedanken an den Park mit dem künstlichen Berg in der Mitte und den hohen, aufregenden Brücken, die über das Wasser hinweg zu ihm führten und durch die Bäume den Blick auf die umliegenden Häuser freigaben, an den Wasserfall, unter dem sie und Rivka durchlaufen konnten, an die Waffelverkäufer und an das Karussell hätte sie am liebsten geweint.
»Es wird zu dunkel sein, wenn ich heimkomme. Aber am Wochenende, wenn der Schnee so lange liegen bleibt, und diesmal sieht es danach aus.«
Ruthie arbeitete in der Innenstadt bei Sam’s in der Abteilung für bessere Kleider ab 3,98 $, deshalb bekam sie auf Kleidung Rabatt. Ruthie hatte auf der Highschool die Fächer gewählt, die aufs College vorbereiteten, aber dann war doch kein Geld für ein richtiges Studium da, und jetzt belegte sie Abendkurse an der Wayne-Universität und fuhr viermal die Woche abends mit der Woodward-Straßenbahn hin. Ruthie hatte in der Highschool auch Schreibmaschine und Stenografie gelernt, aber keine Stellung in einem Büro gefunden. Nur jüdische Firmen stellten jüdische Mädchen ein, und es gab nicht viele, die junge Sekretärinnen suchten. Naomi hatte Ruthie zu Arty sagen hören, sie überlegte, ob sie protestantisch in die Bewerbungen schreiben sollte, aber dann merkten sie es doch an ihrem Namen und ihrem Aussehen. Außerdem kamen sie ihr drauf, wenn sie sich an den Feiertagen freinahm.
In der Küche hatte Tante Rose Hafergrütze gekocht und zum Warmhalten auf einen Topf mit heißem Wasser gestellt. Onkel Morris hatte schon früher gegessen und war dann zum Chevrolet-Werk gefahren. Duvey schlief immer noch. Die Großen Seen waren jetzt nicht mehr schiffbar, und er war arbeitslos. Sonst arbeitete er auf den Erzfrachtern. Ihr anderer Vetter Arty frühstückte in der Wohnung oben mit seiner Frau und den beiden kleinen Kindern, aber Abendbrot aßen alle zusammen.
Das Holzhaus kam Naomi groß vor, so dass sie anfangs dachte, ihre amerikanische Familie müsse reich sein; die Wohnung der Familie Lévy-Monot in Paris hatte außer der salle de bains und dem WC nur drei Zimmer: die winzige Küche, die große salle à manger, in der nachts die Mädchen schliefen und die auch als Wohnzimmer diente, und das Schlafzimmer ihrer Eltern. Jacqueline hatte früher auch in der salle à manger geschlafen, aber Maman hatte eine der ehemaligen chambres de bonne oben unter dem Dach für Jacqueline gemietet, als sie fünfzehn wurde.
Die Siegals bewohnten ein zweigeschossiges Holzhaus mit einer Veranda nach vorn und zusätzlich einer überdachten Außentreppe mit kleinen Veranden zur Hintergasse. Das Haus stand hinter einem anderen Haus, ebenfalls aus Holz und dreigeschossig, mit einem kleinen Hof dazwischen, auf dem sie mit Sandy Rosenthal aus der Parterrewohnung im großen Haus und mit Sandys kleinem Bruder Roy spielte. Eine große Ulme breitete ihre Zweige darüber wie ein ganzer Wald. Sie hatte noch nie einen eigenen Baum gehabt. Die nächsten Bäume daheim standen in einem kleinen Park beim lycée von Jacqueline.
Hier war nichts hoch, erst wenn sie in die Innenstadt fuhren, da waren sehr hohe Gebäude, die Wolkenkratzer hießen, so hoch wie der Eiffelturm, aber aus Mauerwerk. Zu Hause war fast jedes Wohnhaus sechs oder sieben Stockwerke hoch. Hier waren die Häuser ganz verschieden groß, als wären sie alle anders gewachsen, wie Menschen, aber die meisten hatten nur zwei oder drei Geschosse. Die Leute schienen zu bauen, wie sie Lust hatten, jedes Haus anders, viele sogar aus Holz, wie ihrs. Anfangs war Detroit für sie eine Spielzeugstadt, Kartenhäuser, die plötzlich umfallen konnten.
Während sie ihre Hafergrütze mit braunem Zucker aß, musste sie daran denken, wie ihre Eltern einmal davon geredet hatten, dass Madrid gefallen war, und sie sich ein Erdbeben vorgestellt hatte. In einem amerikanischen Film hatte sie nämlich gerade ein Erdbeben gesehen. Papa hatte sie und Rivka mitgenommen in den Film, wo unten in Französisch stand, was alle sagten, aber er hatte ihnen befohlen, das nicht zu lesen, damit sie ihr Englisch schulten. Naomi hatte СКАЧАТЬ