Название: Rüstungsproduktion in der Mitte Deutschlands 1929 – 1945
Автор: Frank Baranowski
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783959660037
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In Nordhausen war das metallverarbeitende Gewerbe stärker ausgeprägt als in Mühlhausen. Es blieb trotz der Stagnation, die in den Jahren zuvor durch das Wegbrechen von Absatzmärkten eingetreten war, nach der Genussmittel- und der Textilindustrie die drittgrößte Branche der Stadt. Besonders negativ hatte sich der Niedergang der Südharzer Kaliwerke ausgewirkt. Sie waren Hauptabnehmer der in Nordhausen hergestellten Bergbaumaschinen.111 So hatte besonders der Maschinen- und Apparatebau mit beträchtlichen Umsatzrückgängen zu kämpfen, allen voran die drei Firmen Schmidt, Kranz & Co., Angers Söhne sowie MABAG (Maschinen- und Apparatebau). Anfang 1931 erschien ihr Fortbestehen höchst fraglich.112 So weckte die Betriebserkundung, die die Reichswehr im gleichen Jahr in Nordhausen unternahm, bei den Unternehmen Hoffnung auf neue Absatzmärkte durch Einbeziehung in die Wiederaufrüstung.113 Zunächst wurden jedoch nur die Maschinenfabrik Julius Fischer sowie die Firmen Montania und MABAG eingeplant.114
Als einen weiteren tragenden Pfeiler ihres Aufrüstungsprogramms hatte die Reichswehr Rheinmetall in Sömmerda auserkoren. Bereits im Oktober 1922 hatte das Werk den Auftrag erhalten, sämtliche Zünder in der von den Alliierten genehmigten Menge herzustellen; tatsächlich fabrizierte das Werk unter der Hand weitaus mehr. Schon zu Beginn der 1920er Jahre hatte Rheinmetall Sömmerda wieder die Weiterentwicklung von Maschinengewehren aufgenommen. Aufdeckung durch deutsche Behörden musste der Konzern allerdings nicht fürchten.115 Im Gegenteil, seit 1922 erhielt das Unternehmen zur Erweiterung seiner Rüstungskapazitäten erhebliche Finanzhilfen vom Heereswaffenamt; im Jahr 1926 allein 1,6 Millionen RM.116 Daher ist nicht verwunderlich, dass Rheinmetall in den Planungen der Reichswehr vom November 1931 eine zentrale Stellung einnahm. Monatlich sollten mehr als 400.000 Zünder das Werk verlassen. Daneben war Rheinmetall als Hersteller von Zieleinrichtungen erfasst.117 In Sömmerda hatte die Reichswehr ebenfalls die wirtschaftlich eng mit dem I.G.-Farben-Konzern verknüpfte Selve-Kronbiegel-Dornheim AG (Selkado) als Hersteller von monatlich bis zu 80 Millionen Zündhütchen und 81.000 Reibezündhütchen für Stielhandgranaten vorgesehen.118
Unter Rückgriff auf die Erkundungen der vorangegangenen Jahre ging die Reichswehr nach der NS-Machtergreifung unverzüglich daran, die bis dahin erfassten Betriebe zielgerichtet anzusprechen und die Sondierung zu intensivieren. Bis Mitte 1934 wurden etwa 2.800 von ihnen mit ersten Rüstungsaufträgen bedacht.119 Bereits im August 1934 hatte die Reichswehr – gemessen an der Arbeiterzahl – 59 % der Maschinen-, Apparate- und Fahrzeugbauindustrie erkundet und für den Kriegsfall mit Produktionen belegt. In der Eisen- und Stahlindustrie waren es 56 %, in der Chemieindustrie allerdings nur 25 %.120 Im Untersuchungsgebiet der vorliegenden Studie fanden nahezu alle vom Heereswaffenamt erfassten Firmen Berücksichtigung. Die in den 1920er Jahren angelegten Strukturen blieben erhalten, ebenso die Bevorzugung bestimmter Regionen. Dieses zeigen nicht nur die Industriebetriebe des Großraums Hannover – Braunschweig, sondern ebenfalls die schon in den Entwürfen von 1931 überproportional gewichteten Rüstungsstandorte Sömmerda,121 Suhl/Zella-Mehlis, Gotha, Eisenach und Erfurt.122 Von dieser Entwicklung konnten in beschränktem Umfang auch die Unternehmen in Nordthüringen und dem heutigen Südniedersachsen (Kreise Göttingen, Goslar, Osterode sowie Northeim)123 zehren, die in den frühen Planungen der Militärs zunächst noch keine Berücksichtigung gefunden hatten. Im Zuständigkeitsbereich der Wehrwirtschaftsinspektion Hannover standen im April 1938 nahezu 200 Betriebe als Zulieferer für die Luftwaffenrüstung unter Vertrag. Lediglich die Wehrinspektionen III (Berlin) und VI konnten zu diesem Zeitpunkt mit 351 und 310 mehr Betriebe melden, ein weiteres Zeugnis für die Bedeutung der Rüstungsindustrie im südniedersächsischen Raum, die etwa ein Jahr vor dem Überfall auf Polen in der Luftwaffenrüstung reichsweit den dritten Rang einnahm.124 Nennenswerte rüstungsbedingte Zuwächse verzeichnete insbesondere die Metallindustrie, in Göttingen und Braunschweig vor allem die optischen und feinmechanischen Betriebe.125
Für eine wirtschaftliche Belebung sorgten weiterhin zumeist mit Staatsmitteln gebaute Rüstungsbetriebe, wie das Bosch-Zweigwerk in Hildesheim sowie die schwerpunktmäßig im Oberharz innerhalb weniger Jahre hochgezogenen Sprengstoffwerke und Chemiefabriken. Trotz dieser Anstrengungen konnten selbst die großen niedersächsischen Industriestandorte isoliert betrachtet nicht mit den ‚auf der grünen Wiese‘ errichteten Rüstungszentren Schkopau (Buna) und Salzgitter (Hermann-Göring-Werke) konkurrieren. Jedoch als Einheit gesehen stellten die Betriebe von Hannover über Braunschweig und Salzgitter bis in den Harz einen der bedeutendsten Rüstungskomplexe des Reiches dar.
Die von der Reichswehr in aller Stille getroffenen Vorbereitungsmaßnahmen – nach Abzug der IMKK im April 1927126 mit Billigung der Regierung noch intensiviert – legten die Grundlage der NS-Aufrüstungspolitik. Ohne diesen Vorlauf wäre die rasche und erstaunlich reibungslose Wiederaufrüstung seit 1933 undenkbar gewesen.127 So aber lagen konkrete Belegungspläne der langfristig erfassten Rüstungsbetriebe vor, die genau wie die Blaupausen neuer Waffen nur noch ‚aus der Schublade gezogen‘ werden mussten. In Einzelfällen hatte die Reichswehr schon in den 1920er Jahren durch die Finanzierung und die Aufrüstung einiger ausgewählter Betriebe auf dem Gebiet der Munitions- und Pulverherstellung wichtige ‚Keimzellen‘ geschaffen. Diese Vorarbeiten konnten 1933 ohne innenpolitische Beschränkung nahtlos aufgegriffen werden.
Die mit Staatsmitteln ausgelöste Ansiedlung von Rüstungsbetrieben als Element der
„fabrikatorischen Vorbereitung“
Das 2. Rüstungsprogramm der Reichswehr forderte einen schnellen Aufbau von Produktionsmöglichkeiten für das in den 1920er Jahren im ‚Untergrund‘ erforschte und entwickelte Kriegsgerät. Neben der zuvor praktizierten finanziellen Unterstützung einzelner Firmen favorisierte das Heereswaffenamt die Gründung von Staatsbetrieben. Diese Anlagen sollten für den ‚Mobilmachungsfall‘ in Bereitschaft stehen und technisch so ausgelegt sein, dass sie bei Bedarf bereits in Friedenszeiten Teilbereiche der Produktion aufnehmen konnten.1 Die heereseigenen Fabriken sollten an die Stelle der früheren Heereswerkstätten treten, im Gegensatz zu ihnen aber nicht in staatlicher, sondern in privatwirtschaftlicher Form betrieben werden. Dahinter stand die Bestrebung, das militärische Primat der Wehrmacht in der Kriegswirtschaft zu sichern und übermäßigen Rüstungsgewinnen entgegenzuwirken.2 Ein erstes Werk nach diesem Konzept gründete das Heereswaffenamt in Donauwörth. Die dortige Werkzeug- und Maschinenfabrik hatte bis 1929 im Auftrag der Reichswehr Artilleriemunition hergestellt. Wegen angeblicher Qualitätsprobleme wurde der Firmeninhaber Loeffellad abgesetzt und der enteignete Betrieb 1934 reaktiviert. Zur Verschleierung bediente sich das Heereswaffenamt der Verwertungsgesellschaft für Montanindustrie GmbH (Montan), einer Tochtergesellschaft der zum Flick-Konzern gehörenden Maxhütte.3
Drahtzieher im Hintergrund war Eugen Böhringer, der Generaldirektor der Maxhütte. Er verfügte über einen Vertrauten im Beschaffungswesen des Heereswaffenamtes, den Referenten für kaufmännische und Vertragsangelegenheiten, Johann ‚Max‘ Zeidelhack.4 Bis 1933 noch Rechnungsprüfer bei der Maxhütte, war Zeidelhack Anfang 1934 zum Militär gewechselt. Unmittelbar nach seiner Einstellung unterbreitete er General Liese den Vorschlag, Donauwörth auszubauen, und im Frühjahr trat die Maxhütte die „Montan“ unentgeltlich an die Heeresverwaltung ab. Die „Montan-Anteile“ wurden zunächst auf Zeidelhack persönlich übertragen; erst 1938 erfolgte die formale Übernahme durch das Reich.5 Die „Montan“ wurde fortan zur Holding des Heereswaffenamtes für dessen Rüstungsbetriebe ausgebaut; sie finanzierte zahlreiche Neubauten auf Rechnung des Reiches.6 Die Geschäftsführung oblag bis 1943 Zeidelhack.
Die Standortwahl der heereseigenen Betriebe erfolgte nicht nach Gesichtspunkten ökonomischer Optimalität, sondern aus militärischen Gründen in möglichst abgelegenen Gegenden, fernab der großen Industriezentren und Verkehrsknotenpunkte. Ende November 1935 befanden sich eine Vielzahl heereseigener Betriebe in Planung; einige waren sogar schon im Bau. Die Fertigstellung dieser ‚fabrikatorischen Anlagen‘ war bis auf wenige Vorhaben spätestens Ende СКАЧАТЬ