Rüstungsproduktion in der Mitte Deutschlands 1929 – 1945. Frank Baranowski
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СКАЧАТЬ Hans Rebentisch war in dem Betrieb 1929 Werkmeister. Unter seiner Leitung wurde in der dritten Etage des Schlossereigebäudes hinter einer Stahltür eine geheime Abteilung eingerichtet. „Wer hinein wollte, musste klingeln. So war sichergestellt, dass kein Fremder hinein kam“. In dieser nach außen hermetisch abgeschotteten Werkstatt bauten Rebentisch und drei weitere Schlosser nach den Plänen Hebers dessen Bombenabwurf-Vorrichtungen. „Dies waren sowohl die Magazine, in denen vertikal übereinander fünf Bomben zu je 10 kg untergebracht waren; wie auch Einzelaufhängungen für 50-kg und 250-kg-Bomben“.70

       Auf dem Gelände der Mechanischen Werkstätten Neubrandenburg, 1936? (Sammlung Heber)

      Erst 1934 startete Heber in einer neu errichteten, eigenen Fabrik, den Mechanischen Werkstätten Neubrandenburg (MWN), die Serienproduktion.71

      Doch nicht nur mittelständische Unternehmen wie Heber, sondern auch Großkonzerne engagierten sich in der durch Staatsgeld geförderten Entwicklung von Kriegsmaterial.72 Die Rheinmetall-Werke in Sömmerda und Düsseldorf, Simson & Co. in Suhl sowie die Fahrzeugfabrik Eisenach unterhielten staatlich finanzierte Werkzeugbüros, die Artillerie- und Infanteriewaffen entwickelten und die entsprechenden Konstruktionszeichnungen erstellten. Bis 1929 wurden die Kosten für Rheinmetall Düsseldorf und Simson Suhl aus dem „Fabrikenfonds“ getragen. Die Niederlassungen dieser beiden Firmen in Eisenach und Sömmerda mussten dagegen ihre Kosten anderweitig decken – sie dürften sie über höhere Lieferpreise anderer Rüstungsgüter bestritten haben. Von 1930 an wurde der Etat auch dieser Konstruktionsbüros jedoch voll aus dem „Fabrikenfonds“ bestritten. Im März 1930 waren bei Rheinmetall Düsseldorf 30, in Sömmerda sechs, in Eisenach drei und bei Simson in Suhl 100 Personen mit der Entwicklung von Kriegsgerät befasst. Die Arbeit wurde von dem Krupp nahe stehenden Berliner Konstruktionsbüro Koch & Kienzle mit 50 Mitarbeitern koordiniert und kontrolliert.73 1930 ließ sich die Reichswehr die Unterhaltung ihrer ‚Denkschmieden‘ über 1,2 Millionen RM kosten, 1931 mit 1,1 Million RM nur geringfügig weniger.74 Zu diesen Entwicklern illegaler Waffen scheint auch die Mauser-Werke AG in Oberndorf gezählt zu haben.75

      Eine andere Stelle, die systematisch Verstöße gegen die Bestimmungen des Versailler Vertrags plante und koordinierte, war die zum Heereswaffenamt gehörende Abteilung 6 der Inspektion für Waffen und Gerät (IWG). Bei ihr und ihren Fachabteilungen liefen die Fäden zur Vorbereitung der Luftwaffenrüstung zusammen. Unter Leitung von Hauptmann Student vergab sie zahlreiche Aufträge an ‚Forschungseinrichtungen‘. Zumeist handelte es sich um Eigengründungen, wie etwa die Firma Schulz & Co., Motoren- und Maschinen GmbH in Berlin. Sie arbeitete für die Fliegerkampfmittelgruppe und befasste sich nach außen mit dem Vertrieb von Kraftfahrzeugen, Motoren und Flugzeugteilen. Unter dem Mantel einer „Berliner Gesellschaft für landwirtschaftliche Artikel“ stand die Entwicklung von Gaskampfstoffen. Eine Abteilung der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt führte als Büro „M“ für die Reichswehr praktische Versuche mit Flugzeugen, Flugmotoren und Bordgeräten durch. In Rechlin (Mecklenburg) unterhielt die Abteilung 6 der Inspektion für Waffen und Gerät einen Flugplatz für praktische Flugversuche, als deren Eigentümer nach außen hin die Albatros-Flugzeugwerke firmierten.76 Mit Unterstützung des Heereswaffenamtes hatte die Deutsche Glasglühlicht Auergesellschaft in Oranienburg 1927 eine „Versuchsanlage und Laboratorien für Gasschutzzwecke“ eingerichtet, die neben der Entwicklung von Gasmasken auch den Zweck hatte, „die besten Fabrikationsstoffe für die einzelnen Kampfstoffe festzustellen“.77 Außerdem hatte Auer in seinem Oranienburger Stammwerk eine Anlage zur Herstellung von Senfgas-Vorstufen errichtet.78

      Doch auf dem Feld der Giftgasforschung und -produktion war dies nur einer von vielen schon Anfang der 1920er Jahre bestehenden Berührungspunkte einer symbiotischen Beziehung von Reichswehr, Industrie und Wissenschaft. Die Fäden zog Chemie-Nobelpreisträger Fritz Haber, die graue Eminenz im Hintergrund. 1923 hatte er den Bau einer Chlorgasanlage in der Nähe von Samara an der Wolga in der Sowjetunion eingefädelt,79 wo verschiedene Kampfstoffe der Chlorgaschemie hergestellt wurden. Zur Umsetzung bediente sich Haber seines Schülers Hugo Stoltzenberg80 und dessen Hamburger Firma CFS. Im Januar 1924 hatten die Militärs beschlossen, eine inländische Kampfstoffproduktion an einem vor Luftangriffen sicheren Ort in Mitteldeutschland aufzunehmen. Wiederum durch Vermittlung von Haber erhielt Stolzenbergs CFS diesen Auftrag. Fünf Monate später begann er mit dem Bau einer großen, als Chlorkalianlage getarnten Giftgasfabrik in Gräfenhainichen bei Halle. Geplant war eine Kapazität von 7.000 t Lost pro Jahr, mehr als während des ganzen Weltkriegs in Deutschland hergestellt worden war. Mitte 1926 zerschlugen sich beide Projekte. Explodierende Kosten bei gleichzeitiger Verknappung der Finanzmittel der Reichswehr und eine Änderung der politischen Situation durch die Westöffnung der Stresemannschen Außenpolitik verurteilten die Projekte zum Scheitern. Noch im gleichen Jahr wurde die halbfertige Anlage bei Samara den Russen überlassen, die Fabrik in Gräfenhainichen demontiert und an die I.G. Farben verkauft.81

      Im Zuge der 1925 begonnenen Reorganisation der Reichswehr hatte das Militär ein wissenschaftliches Beratergremium für Gasschutz- und Kampfstoff-Fragen ins Leben gerufen. Von Seiten der Reichswehr wirkten in diesem Gremium Vertreter des Heereswaffenamtes, der Sanitätsinspektion, der Marine-Leitung und der für die chemische Kriegsführung zuständigen Inspektion der Artillerie mit. Von Seiten der Wissenschaft war der Beraterkreis interdisziplinär zusammengesetzt, u. a. mit dem Leiter der Forschungsabteilung der Auer-Gesellschaft und Wissenschaftlern staatlicher Forschungsanstalten, Technischer Hochschulen sowie der Universitäten Göttingen, Leipzig und Würzburg.82 Unter ihnen war Gerhart Jander, seit April 1922 Leiter der Anorganischen Abteilung des Chemischen Instituts der Universität Göttingen und Mitbegründer der dortigen NSDAP. Für die Reichswehr arbeitete er an mehreren Forschungsprojekten zur Weiterentwicklung chemischer Kampfstoffe.83

      Der Reichswehrauftrag an die Forscher zielte auf die Schaffung der theoretischen und technischen Grundlagen der Giftgastechnologie; dorthin floss das Gros der von der Reichswehr investierten Mittel. Nur geringe Förderbeträge kamen dem direkten Aufbau von Produktionskapazitäten zu Gute. So sah die Reichswehr Ende 1927 einen im Vergleich zu anderen Vorhaben der fabrikatorischen Vorbereitung vergleichbar geringen Mittelbedarf von knapp 1,5 Millionen vor, der in drei Vorhaben investiert werden sollte. 560.000 RM waren für die Ergänzung der Apparaturen für die Herstellung von 80 t Blaukreuz der „als Keimzelle anzunehmenden Azofarbenfabrikation der Agfa in Wolfen“ bestimmt. Die verbleibenden 900.000 RM sollten in Füllanlagen für Gelb- und Grünkreuz investiert werden.84 Im Frühjahr 1931 stellte die Reichswehr das weitere Vorgehen bei der Giftgasproduktion in großer Runde zur Diskussion. Die Referentenbesprechung vom 16. April 1931 kam zu dem Ergebnis, dass vom militärischen Standpunkt aus die Verwendung von Gas, „namentlich im Hinblick [auf die] fliegerische und artilleristische Lage einen nicht zu unterschätzenden Zuwachs an Kampfkraft“ bedeute. Für den Rüstungsabschnitt 33/​38 schlugen die Beteiligten vor, zumindest für Gelbkreuz fabrikatorische Vorbereitungen, allerdings keine Bevorratung – bis auf Oxol – zu treffen.85

      Dies galt vorbehaltlich der bis dahin ungeklärten Frage, ob überhaupt Kampfstoffe im Kriegsfall eingesetzt werden sollen. Ende Mai 1931 erläuterte das Technische Amt in einer weiteren Stellungnahme, dass „die Freigabe des Einsatzes […] im Frieden nicht im Voraus“ entschieden werden könne. Weiter hieß es: „Voraussichtlich dürfte jeder kriegsführende Staat, der das Genfer Gasabkommen vom 17. 06. 1925 unterzeichnet hat, das Odium des Vertragsbruches vermeiden wollen und versuchen, dem Gegner hiervon die Vorhand zu überlassen“. Daher sei es zweckmäßig, „sich nicht selbst auf die Verwendung von Gaskampfstoffen festzulegen, sondern zunächst abzuwarten, wie sich die Gegenseite verhält“. Außerdem dürfe man nicht von vornherein mit der Anwendung von Gaskampfstoffen rechnen. Die Taktik „muss so ausgebildet sein, dass sie auch ohne diese auskommt“.86

      Die in aller Stille entwickelten neuen Waffensysteme, Flugzeuge und chemischen Kampfstoffe ließ die Reichswehr in der UdSSR testen. So hatte sie in Lipezk, 375 km südöstlich von Moskau gelegen, СКАЧАТЬ