Rüstungsproduktion in der Mitte Deutschlands 1929 – 1945. Frank Baranowski
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СКАЧАТЬ Braunschweig-Hannover-Hildesheim-Salzgitter, des Universitätsstandortes Göttingen sowie der Städte Hildesheim und Osterode.1 Von den teils frühen Aufrüstungsbestrebungen profitierten insbesondere Standorte im Harz, aber auch solche am nördlichen und südlichen Rand des Gebirges. Die größte mit Staatsmitteln subventionierte Ansiedlung im Bereich des Rüstungskommandos Hannover nahm das NS-Regime in Clausthal-Zellerfeld vor.2 Die Anfänge des Harzer Sprengstoffwerkes gehen auf das Jahr 1934 zurück, als Vertreter der Dynamit AG (DAG), ehemals Alfred Nobel & Co. aus Troisdorf, im Oberharz Ausschau nach einem geeigneten Gelände für eine „Trinitritoluol-Fabrik“ hielten. Die Entscheidung fiel auf eine etwa 120 ha große Waldfläche am Ortsausgang von Clausthal-Zellerfeld, die die „Montan“ 1935 und 1936 von der Preußischen Staatsforstverwaltung für das Deutsche Reich erwarb, aus Tarnungsgründen aber unter dem Deckmantel einer privatrechtlichen Gesellschaft figurieren ließ.3 Ende 1936 war diese Fabrik „Tanne“ in ihrem Grundbestand errichtet. Die Anlage war eines von mehreren ‚Schlafwerken‘ im Deutschen Reich, die nach Bauabschluss zunächst nicht in Betrieb gingen, sondern ausschließlich für den Bedarfsfall errichtet wurden.4

       Gebäudereste auf dem Gelände des Werkes „Tanne“ in Clausthal-Zellerfeld, 1992

       (Sammlung Jürgen Müller)

       Zerstörtes Tri-Gebäude auf dem Gelände des Werkes „Tanne“ in Clausthal-Zellerfeld, 1992 (Sammlung Jürgen Müller)

       Ehemaliges Säuregebäude des Werkes „Tanne“, 1992 (Sammlung Jürgen Müller)

      Anfang 1938 kam es zur Reaktivierung des ‚Schläfers‘ und einer Fortführung der Bauarbeiten im Harz. Um Produktionsausfällen entgegenzuwirken, war fast jede Werksabteilung doppelt vorhanden. Zur Fabrik gehörten 214 Einzelgebäude, die zumeist in Skelettbauweise errichtet worden waren, um im Falle von Explosionen die Verluste so gering wie möglich zu halten.5 Pächterin und Betreiberin des Clausthal-Zellerfelder Sprengstoffwerkes und der angeschlossenen Füllstation war die Verwertchemie, eine 100 %ige Tochterfirma der DAG, die die Gebäude zu Beginn des Jahres 1939 formell übernahm. Die TNT-Produktion kam im April 1939 in Gang, drei Monate später als ursprünglich vorgesehen.6 Am 6. Juni 1940 forderte eine schwere Explosion in der Tri-Nitrierung 61 Tote, 38 Schwer- und 126 Leichtverletzte.7 Ab Februar 1942 beschäftigte die DAG in ihrem Werk „Tanne“ im Mittel etwa 2.500 Personen,8 darunter eine Vielzahl von Zwangsarbeitern. Im Vergleich zu den Großbetrieben um Braunschweig war diese Belegschaftsstärke noch relativ gering, trotzdem gehörte die DAG-Niederlassung zu einem der führenden Betriebe des Rüstungskommandos Hannover. Im zweiten Quartal 1944 nahm das Unternehmen nach seiner Beschäftigtenzahl den zehnten Rang im Rüstungskommando ein.9 Am 7. Oktober 1944 war der Betrieb Ziel eines alliierten Luftangriffs; 70 der 214 Gebäude wurden dabei teils schwer bis mittelschwer beschädigt, fünf von ihnen sogar völlig zerstört. 61 Arbeitskräfte des Werkes ließen dabei ihr leben, unter ihnen 47 russische und ein belgischer Zwangsarbeiter. Weitere fünf verstarben im Krankenhaus.10

       Gebäude der Borvisk-Kunstseiden AG, 1936 (StadtA Herzberg)

       Das durch Explosion zerstörte DAG-Werksgelände am Pfingstanger, April 1945 (Sammlung Matwijow)

      Die Bleikupferhütte in Oker und die Zinkhütte in Harlingerode belieferten das Clausthaler DAG-Werk mit Oleum (rauchende Schwefelsäure).11 Ein weiterer Zulieferer war die Wifo. Sie hatte 1937 die Langelsheimer Chlorkaliumfabrik übernommen und in den folgenden Monaten zu einer Salpetersäureanlage umgebaut, die 1939 ihre Fabrikation aufnahm. Monatlich stellte das Werk etwa 4.800 t an 98%iger Salpetersäure (HOKO) her, die im Werk „Tanne“ zu Sprengstoff weiter verarbeitet wurde. Die Langelsheimer Wifo-HOKO-Anlage deckte acht Prozent des Gesamtbedarfes des Deutschen Reiches.12 Zusätzlich hatte die Wifo nur wenige Meter von ihrer Schwefel- und Salpetersäurefabrik entfernt 12 Lagertanks mit einem Fassungsvermögen von jeweils 600 m3 für Toluol aufgestellt, die im August 1938 in Nutzung gingen. Über diese Anlage konnten in 15 Stunden zwei Kesselwagen gefüllt und für den Abtransport nach Clausthal-Zellerfeld bereitgestellt werden. In unmittelbarer Nachbarschaft befanden sich weitere sechs Tanks zur Aufnahme von Ammoniak.13

      Etwa ein Jahr nach Inbetriebnahme des Werkes „Tanne“ entschieden sich die NS-Planer, eine weitere Füllstelle im Harz zu schaffen. Im Juni 1940 erwarb die „Montan“ aus der Konkursmasse der Borvisk-Kunstseiden AG das am Herzberger Pfingstanger gelegene Werksgelände. Der Umbau der Fabrik war schon im Sommer 1941 abgeschlossen.14 Die hinter der Verwertchemie stehende DAG trat wie in Clausthal-Zellerfeld als Betreiberin des Rüstungsbetriebs auf, der auf die Füllung von 50-kg- und 250-kg-Bomben spezialisiert war. Ende 1943 fuhr der Konzern die Befüllung von Bomben drastisch zurück, um so Kapazitäten für die Herstellung von Tellerminen zu schaffen, von denen von nun an bis zu 6.000 Stück pro Tag gefüllt werden konnten. Am 4. April 1945 kam es in der Fabrik zu einem Brand, der sich schnell ausbreitete und eine Explosion von 8.000 mit Sprengstoff gefüllten Minen auslöste. Die Füllstelle wurde nahezu vollständig zerstört. Bei dem Unglück kamen 29 Personen ums Leben; weitere 58 wurden schwer verletzt.15

      Zusätzlich zu den bereits genannten Rüstungsstandorten hatte die Wifo in Langelsheim für 5,7 Millionen RM eine weitere Fabrikanlage auf Staatskosten erbaut. Die Chemischen Werke Harz-Weser stellten in den Gebäuden ab 1940 Aktivkohle für Gasmaskenfilter her. Die Kapazität lag bei monatlich etwa 150 t. Im April 1945 beschäftigte das Unternehmen 153 Personen.16 Die Pulver- und pyrotechnische Fabriken GmbH J. F. Eisfeld in Liebenburg nördlich von Goslar arbeitete seit 1936 ebenfalls für die Wehrmacht. Ihr Werk „Kunigunde“ produzierte unterschiedliche Schwarzpulversorten und stellte Nebelhandgranaten, Leuchtmunition, Landungsfackeln sowie Nebelbomben her.17

       Die Langelsheimer Wifo-HOKO-Anlage in den 1940er Jahren

       (Sammlung Frank Jacobs)

      Von weitaus größerer wirtschaftlicher Bedeutung war die Neuansiedlung des Schickert-Werkes zur Herstellung von Wasserstoffperoxyd in Bad Lauterberg. Bereits während des Ersten Weltkrieges bestand Interesse an der militärischen Nutzung der chemischen Substanz, doch es fehlten noch die Mittel einer großtechnischen Herstellung. Sie wurden durch die Elektrochemischen Werke München (EWM) erst in den folgenden Jahren geschaffen. Der Kieler Chemiker und Ingenieur Dr. Helmut Walter hatte für das Oberkommando der Marine im Zusammenhang mit modernen Triebwerken neue Treibstoffe erforscht und erprobt. Seine Ergebnisse lösten einen wahren Entwicklungsschub aus. Er nutzte den bei der katalytischen Zersetzung von Wasserstoffperoxyd freiwerdenden Sauerstoff zur Verbrennung von Treibstoff und ermöglichte damit der Firma EWM die militärische Nutzung in großem Stil, auf die sie lange Zeit gewartet hatte.18 Es zeichnete sich bereits frühzeitig ab, dass das Unternehmen die geforderten Mengen an Wasserstoffperoxyd nicht an einem Standort herstellen konnte, zumal neben der Marine auch andere militärische Stellen Interesse bekundeten.

      Die Schaffung einer weiteren Fabrikationsstätte war unausweichlich. Im Sommer 1938 fiel die Entscheidung für die Gründung einer Niederlassung im Odertal in Bad Lauterberg. Ausschlaggebend für die Ansiedlung in der Harzstadt war die Nähe zu der 1933 gebauten Odertalsperre, die hinreichend Wasser zur Kühlung der Elektrolyse und der Erzeugung von Wasserdampf bereithielt. Im August СКАЧАТЬ