Rüstungsproduktion in der Mitte Deutschlands 1929 – 1945. Frank Baranowski
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СКАЧАТЬ übel riechende Gase und ätzende Dämpfe hervortreten“.33 Eine Chronik, in der die heute noch bestehende und „verantwortlichen Handelns“ rühmende Firma sich ihrer Verantwortung stellt, steht nach wie vor aus.

       Der aufrüstungsbedingte Wandel der metallverarbeitenden Industrie

      Neben der chemischen war die metallverarbeitende Industrie im heutigen südniedersächsischen Raum stark vertreten. Eine Vorreiterrolle nahm dabei der Magdeburger Rüstungsproduzent Polte ein, der schon 1934 die Anfang der 1920er Jahre von der Stokelbusch Holzrohr AG in Bad Lauterberg im Odertal errichtete Fabrikanlage erworben hatte, um an dem Standort wiederum mit staatlichen Mitteln ein Zweigwerk zu eröffnen. Der Röhrenhersteller Stokelbusch war kurz nach der Fertigstellung der Gebäude in Zahlungsschwierigkeiten geraten und musste deshalb 1925 Konkurs anmelden.34 Das Werksgelände ging danach zu gleichen Teilen in das Eigentum der Reichsbankhauptstelle Hannover und der Magdeburger Firma Gerecke über. Bis zur Übernahme durch Polte hatten die neuen Eigentümer das Werk an die Deutsche Holzröhren AG (Deuhrag) verpachtet. Bereits 1934 begann der Magdeburger Rüstungslieferant mit dem Umbau des Fabrikgebäudes, um fortan 7,92-mm-Gewehrmunition zu produzieren. Der Betrieb, der unter dem Namen Metallwerk Odertal GmbH firmierte, nahm 1935 seine Lieferungen auf.35 Anfang Januar 1943 waren 935 Personen für den Rüstungsproduzenten tätig, und die Zahl schnellte im Laufe des Jahres drastisch in die Höhe. Ab Januar 1944 sind Belegschaftszahlen von mehr als 2.000 Personen nachgewiesen. Ende Dezember 1944 waren sogar 2.349 Arbeitskräfte mit der Herstellung von Gewehrmunition beschäftigt.36

       Arbeiter der Stockelbusch Holzrohr AG auf dem Betriebsgelände

       (Foto Lindenberg)

       Die Holzröhrenfabrik Stockelbusch, später Metallwerk Odertal (Foto Lindenberg)

       Zufahrt zum Duderstädter Polte-Werk, im Hintergrund die Feuerwache, 1992 (Sammlung Baranowski)

      Im Herbst 1938 bekundete Polte Interesse an der Ansiedlung eines weiteren Rüstungsbetriebes in der Umgebung und hatte sich dabei für Duderstadt entschieden, nachdem Verhandlungen mit der Stadt Clausthal-Zellerfeld im Harz gescheitert waren.37 Anfang Januar 1939 verlangte das RLM die Einreichung prüfungsfähiger Bauunterlagen für das Duderstädter Werk.38 Anfang April 1939 kam der Rüstungslieferant der Forderung nach und legte seinen Planungsentwurf vor. Für die Auftragserteilung setzte Polte dem RLM eine Frist bis zum 1. Juli 1939.39 Die Konzeption überzeugte und der Magdeburger Rüstungsproduzent erhielt am 23. Juni 1939 die Genehmigung, mit dem Bau der Fabrik auf Staatskosten zu beginnen.40 Noch bevor diese Entscheidung gefallen war, hatte die Stadt Duderstadt auf ihre Kosten die Stichstraße „Am Euzenberg“ zum vorgesehenen Fabrikgelände anlegen lassen.41 Im Januar 1940, als die Bauarbeiten bereits im vollen Gange waren, kam die Idee einer Erweiterung des Werkes auf. Der überarbeitete Planungsentwurf vom April 1940 sah den Bau einer weiteren Füllstelle und einer zweiten Produktionseinheit für Geschosse, Hülsen sowie Zünder vor.42 Nur wenige Wochen später verwarf die Luftwaffe die Ausbaupläne und Polte erhielt die Weisung, die Arbeiten im ursprünglich vorgesehenen Umfang zum Abschluss zu bringen.43 Im Frühjahr 1941 verließen die ersten Chargen 2-cm-Geschosse das Duderstädter Werk, doch bald kam es wegen fehlender Arbeitskräfte immer wieder zu Produktionsengpässen. Der Betrieb brachte es nur selten auf die vom Rüstungskommando geforderten Mengen.44

       Luftbild der teilzerstörten Abfüllstation des Polte-Werkes, 1950er Jahre

       (Sammlung Baranowski)

       Vor den Toren des Polte-Werkes, das „Wohnlager Am Euzenberg“, 1941

       (Sammlung Baranowski)

      Ab 1941 griff Polte Duderstadt vermehrt und im stetig steigendem Umfang auf zwangsrekrutierte Fremdarbeiter und Kriegsgefangene zurück, die zunächst in acht Holzbaracken unmittelbar vor den Werkstoren einquartiert waren.45 Im Frühsommer 1942 setzte der Rüstungsproduzent sich mit seiner Forderung nach dem Bau eines Barackenlagers für 600 bis 800 Fremdarbeiter und Kriegsgefangene auf dem Fußballplatz „Am Westerborn“ durch.46 Am 27. Juli 1942 unterrichtete das Ministerium für Rüstung und Kriegsproduktion die Stadt, „dass in den nächsten Tagen mit den Arbeiten zur Errichtung des Lagers für ausländische Arbeitskräfte der Firma Polte auf dem Fußballspielplatz in Duderstadt begonnen wird. […] Das ganze Lager, abgesehen von den Teilen, die mit Kriegsgefangenen belegt werden, wird durch einen 1,50 m hohen Lattenzaun mit darüber waagerecht gezogenen Stacheldraht, insgesamt 2 m hoch, umgeben“.47 Nach Bezugsfähigkeit der Baracken löste Polte die bisherigen Unterkünfte vor dem Werksgelände auf und verlegte die Insassen in das neu geschaffene Lager. Zusätzlich hatte Polte Räumlichkeiten im Gebäude der Möbelfabrik Steinhoff angemietet und darin weitere ausländische Arbeitskräfte, offenbar nur Frauen, untergebracht.48 Ende Dezember 1943 standen 2.424 Personen im Dienst des Rüstungsproduzenten, am 31. Januar 1944 waren es 2.487, dann sank die Zahl zum 30. Juni 1944 geringfügig auf 2.277.49 Im Frühjahr 1944 lag der Ausländeranteil bei etwa 40 %.50

       Blick auf das KZ-Außenkommando, im Hintergrund der Rüstungsbetrieb Polte

       (IWM London)

      Doch Einberufungen zur Wehrmacht entzogen dem Betrieb weitere deutsche Arbeitskräfte. Mitte 1944 entschied die Magdeburger Konzernleitung, auch in ihrer Duderstädter Niederlassung KZ-Häftlinge zu beschäftigen, wie zu ihrer Zufriedenheit in anderen Zweigwerken praktiziert.51 Am 24. Oktober 1944 reichte der Polte den Bauantrag für „die Errichtung eines Zaunes um das KZ-Außenlager“ beim Bauamt der Stadt Duderstadt ein.52 Nach einer ärztlichen Tauglichkeitsuntersuchung stellte die SS Ende Oktober 1944 in Bergen-Belsen einen Transport von 750 ungarischen Jüdinnen zusammen, der am 4. November 1944 in Duderstadt eintraf. Viele der Frauen trugen nur dünne Sommerbekleidung und Schuhwerk, das schlimme Wunden an den Füßen verursachte.53 „Unsere Bekleidung bestand aus Fetzen, anstatt Schuhe hatten wir Holzpantoffeln ohne Strümpfe“.54 Zum Außenkommando gehörten zwei Unterkunfts- und eine Waschbaracke, die in unmittelbarer Nähe des Rüstungsbetriebes auf dem Gelände der ehemaligen Möbelfabrik Steinhoff Aufstellung fanden.55 Nach den Erfahrungen in Auschwitz empfanden die Frauen die Bedingungen in Duderstadt erträglicher, obwohl sich an der lagermäßigen Unterbringung nichts geändert hatte. Zwar gab es keine Gaskammern, doch es bestand weiterhin die Gefahr, im Krankheitsfalle ins Stammlager nach Buchenwald zurückgeführt zu werden, was einem Todesurteil gleichkam.56

       Aufseherinnen auf dem Gelände des KZ-Außenkommandos der Polte-Werke, 1944/​45

       (Sammlung Baranowski)

      Die Arbeit bei Polte wird von den Insassen übereinstimmend als schwer und kräftezehrend bezeichnet. „Ich arbeitete in einer Waffenfabrik, zwölf Stunden, abwechselnd bald tags, bald nachts. Die Arbeit war sehr schwer und erschöpfend“.57 Eine andere Ungarin erinnert sich: „Ich kam zur schwersten Arbeit. Wir mussten mit Eisen СКАЧАТЬ