Rüstungsproduktion in der Mitte Deutschlands 1929 – 1945. Frank Baranowski
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СКАЧАТЬ und die Borsig AG waren als Rüstungsproduzenten zugelassen.11 Die Gebrüder Thiel-Seebach GmbH in Ruhla lieferte Granatzünder.12 Obwohl die genannten Firmen damit die Produktion der ihnen zugewiesenen Rüstungsgüter wieder hätten aufnehmen können, unterblieb das zunächst, weil es die Reichsregierung wegen der „innerpolitischen Spannungen und […] der pazifistischen Einstellung der Masse der Arbeiterschaft“ untersagte.13 Erst nach den Unruhen in Bayern hob das Kabinett im Mai 1924 das Verbot auf. Bis die Betriebe die ihnen erlaubte Produktion wieder aufgenommen hatten, vergingen weitere Monate, teilweise Jahre.14

      In Fortsetzung seiner revisionistischen Ziele hatte Hans von Seeckt Ende 1923 die Planungsaufgabe für ein Kriegsheer von 2,8 Millionen Mann gestellt. Neben 63 Felddivisionen und 39 Grenzschutzdivisionen sowie fünf Kavelleriedivisionen waren Ersatztruppen (450.000), Heerestruppen – also Ergänzungstruppen (395.000) – und Luftstreitkräfte (154.000) vorgesehen.15 Ein erster Entwurf lag bereits im Dezember 1923 vor und wurde von den Mitarbeitern des Truppenamtes in den folgenden Jahren weiter überarbeitet und modifiziert. Dieser „Große Plan“ war eine detaillierte Beschreibung der Reichswehr in einem unterstellten Kriegsfall, untergliedert nach Kommandobehörden, Infanterie, Kavallerie, Artillerie und Luftstreitkräfte.16 Schnell stellte sich heraus, dass sich das Konzept mittelfristig nicht nur wegen fehlender finanzieller Mittel nicht durchsetzen ließ. Im Juni 1925 führte der Nachschubstab des Heereswaffenamtes (Deckname „Andreas“) eine „Prüfung der praktischen Durchführbarkeit des Kriegsorganisationsplanes“ durch. In der Stellungnahme des zuständigen Sachbearbeiters heißt es, dass der „Gedanke, mit Hilfe von Kriegsspielen die Zweckmäßigkeit und Durchführbarkeit der Rüstungsarbeiten, Mobilmachungsvorarbeiten und Mobilmachungsarbeiten nach Umfang und Aufbau zu prüfen“, begrüßenswert sei. Er regte an, im Rahmen dieses „Kriegsspiel-Beispiels“ die Verteilung der Rüstung (d. h. der entsprechenden Produktionsaufträge) auf die Fabriken und die Auslandsbeschaffungen zu klären sowie Entwürfe für die materielle Mobilmachung durch Umstellung der Industrie zu Kriegszwecken und die Auftragserteilung an die Fabriken zu erstellen. Als erster Schritt müsse festgestellt werden, was in den heimischen Fabriken in dem vorgesehenen Zeitraum produziert werden könne.

      Eine solche Erfassung gestalte sich allerdings als sehr schwierig, wenn nicht sogar unmöglich. So seien, „veranlasst durch das Versailler Diktat […] in den letzten Jahren enorme Zerstörungen und vielfache Zerstreuungen der Produktionsmittel in Deutschland vorgenommen worden“. Hierdurch hätten sich die Fertigungsmöglichkeiten wesentlich geändert. Statische Angaben, soweit sie nicht aus jüngster Zeit stammen, seien daher wertlos. Erschwert werde dies dadurch, dass die betroffenen Firmen aus Gründen der Konkurrenz und Anwesenheit der IMKK nur sehr ungern Einblick in ihre Produktionsverhältnisse gäben. Damit fehle dem ‚Spiel‘ augenblicklich die wichtigste Grundlage. „Diese Mängel in Fabrikenkenntnis und Organisation werden ganz gleich, ob für Rüstungshauptzeit, Kriegszeit, Ausgangslage, ‚Einlagen‘ immer wieder hervortreten. Ohne genaue Kenntnis der Leistungsfähigkeit der Industrie und ohne fertige Spitzenorganisationen bleibt jedes derartige Kriegsspiel Fantasie“. Ebenso wurden Zweifel an der Kriegsorganisation in der bis dahin vorgeschlagenen Form erhoben, die sich „noch nicht als Gebäude für ein Kriegsspiel“ eigne. So seien in der Spitzenorganisation noch grundsätzliche Fragen unentschieden und der weitere Ausbau unfertig.17

      Dennoch ließ das Militär keinen Zweifel daran, dass „jedes Liebäugeln mit der Möglichkeit einer friedensmäßigen Heereserweiterung […] im Sinne unserer Arbeiten ebenso Utopie wie das Liebäugeln mit der schwindenden Größe der alten Armee“ sei.18 Bis 1924 unterhielten die einzelnen Beschaffungsabteilungen des Waffenamtes unterschiedlich intensive Beziehungen zu den Rüstungsproduzenten, und völlig unkoordiniert waren auch die Waffenkäufe, die sie dort tätigten. Das führte zum Teil zu chaotischen Zuständen bei der Ausrüstung. Zur Abhilfe wurden im November 1924 die einzelnen Fachabteilungen dem Nachschubstab des Waffenamtes untergeordnet, der zwei Aufgaben hatte. In einem ersten Schritt sollte er den rüstungswirtschaftlichen Ist-Stand ermitteln und fortlaufend Unterlagen zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit der deutschen Industrie liefern, um so Mobilmachungspläne auf eine wirtschaftliche Grundlage zu stellen. In einem zweiten Schritt sollte der Nachschubstab Kontakt mit weiteren Betrieben aufnehmen, die zur planmäßigen Vorbereitung auf den Kriegsfall geeignet erschienen.19 Auf der Basis der Firmenliste vom Dezember 1924 entstand eine erste Bedarfsplanung in Form von 36 Deutschlandkarten, in denen in „Innerdeutschland“ heranzuziehende Firmen verzeichnet waren.20 Schon in dieser Aufstellung ist eine Struktur beabsichtigter Rüstungszentren erkennbar. Nach diesen frühen Planungen sollten 45 % des Bedarfs an Optischen Gerät in Jena, 25 % in Berlin produziert werden, und etwa drei Viertel des Gesamtbedarfs an Patronenhülsen aus Magdeburg (45 %), Berlin (28 %), Nürnberg (12 %) und Hannover (7 %) stammen. Die Herstellung von Pistolen war zentral in Sömmerda (28 %) und Berlin (68 %) vorgesehen. Die Werke der chemischen Industrie und der Sprengstoffherstellung waren desgleichen für wenige Standorte bestimmt.21 Die Festlegungen dieser Kartendarstellungen waren jedoch nur von begrenzter Aussagekraft, denn sie beruhten zum Teil noch auf Daten, die das Waffen- und Munitions-Beschaffungs-Amt (Wumba) in der Spätphase des Ersten Weltkrieges erhoben hatte.22

      Im September 1925 ergänzte der Nachschubstab seine Aufrüstungspläne um ein „Rüstungshandbuch für die industrielle Mobilisierung“, das die Grundlagen der materiellen Rüstung der Reichswehr umriss.23 In Abkehr von der militärischen Praxis des Ersten Weltkriegs ließ sich der Nachschubstab von drei Grundannahmen leiten. Erstens: Das deutsche Militär dürfe lediglich Bestände an Waffen halten, die nicht im Entferntesten für den Kriegsfall ausreichten. Zweitens: Da Rüstungsgüter ohnehin rasch veralten, sei es sinnlos, sie illegal in großem Stil zu horten. Drittens: Bei Ausbruch eines Krieges werde „ein zusammengeballter Massenbedarf an allem was eine Wehrmacht brauche, eintreten“. Deshalb könne die von der Reichswehr anzustrebende materielle Rüstung nicht in Form einer illegalen oder legalen Beschaffung von Material für einen Krieg geschehen, sondern müsse sich auf die Vorbereitung der Industrie auf eine Massenfertigung von Rüstungsgütern konzentrieren. Diese fortan als „fabrikatorische Vorbereitung“ laufenden Maßnahmen boten neben niedrigeren Kosten den Vorteil einfacher Tarnung.24

      Die Abkehr von einer Bevorratung war eine Innovation, die aus den Zwängen des Versailler Vertrages heraus geboren wurde und eine Modernisierung der Reichswehr zu einer Verteidigungsarmee bedeutete.25 Da die Reichswehr mit einem schnellen Eindringen der Alliierten in die Grenzregionen rechnete, waren die Planungen des Nachschubstabes zunächst auf ein als „Rumpf-“ oder „Innerdeutschland“ bezeichnetes Gebiet beschränkt, das im Osten in etwa durch die Oder, im Westen durch die Weser, im Süden durch eine Linie Kassel – Würzburg – Ulm begrenzt war.26 Um diese „fabrikatorische Vorbereitung“ sicherzustellen, bildeten unter Federführung des Heereswaffenamtes national eingestellte Industrielle Ende Dezember 1925/​Anfang Januar 1926 ein Kontaktgremium, die „Statistische Gesellschaft“,27 eine „Vereinigung gemeinnütziger Natur mit der Aufgabe, statistische und technische Feststellungen für Interessenten durchzuführen“.28 Diese als „Stega“ getarnte Organisation hatte die Funktion, die Produktionsmöglichkeiten „Innerdeutschlands“ zu erfassen und Kontakte zu den vom Waffenamt bis dahin noch nicht einbezogenen Unternehmen zu knüpfen.29 Schnell zeigte sich, dass die vor allem nebenamtlich tätigen Regionalkommissare mit der Aufgabe überfordert waren. Um den zeitraubenden Umweg über die „Stega“ zu verkürzen, stellten die Wehrkreiskommandos 1926 sogenannte „Wirtschaftsoffiziere“ (WO) als Regionalbeauftragte des Nachschubstabes ein, die ohne formelle Genehmigung der Reichsregierung und hinter deren Rücken die Erkundungstätigkeiten übernahmen.30

      Diese zwischen offiziell und offiziös angesiedelten Planungs- und Erkundungsmaßnahmen geschahen in einem Umfeld allgemeiner Verstöße der Reichswehr gegen die Versailler Verträge. So war es Teilen der Reichswehr ungeachtet der Kontrolle der IMKK gelungen, große Mengen an Kriegsmaterial von Bildgeräten bis zu Maschinengewehren zu horten und damit dem Zugriff der Alliierten zu entziehen.31 Eines dieser ‚schwarzen‘ Waffenlager befand sich in Hannover, wie sich aus einem als Verschlusssache eingestuften Untersuchungsbericht vom 11. Mai 1923 ergibt.32 Bereits Ende Oktober 1920 war es den alliierten Beobachtern gelungen, СКАЧАТЬ