Название: Rüstungsproduktion in der Mitte Deutschlands 1929 – 1945
Автор: Frank Baranowski
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783959660037
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Ab 1948 veranlasste diese Entschädigungsstelle in der gesamten britischen Besatzungszone die ‚Suche nach zweifelhaften, mutmaßlichen Gefängnissen und Lagern‘ („Enquête sur les prisons et les camps douteux“). Mit Unterstützung der deutschen Kommunalverwaltungen wurde ein standardisierter Fragebogen an die Unternehmen verschickt, die Ausländer beschäftigt hatten.8 Diese Fragebögen sind für das gesamte Gebiet der ehemaligen britischen Besatzungszone erhalten geblieben. Sie umfassen 42 Ordner, aufgelistet nach Regierungsbezirken, Stadt- und Landkreisen. Und auch die umfangreiche Korrespondenz zwischen belgischen Suchoffizieren und den deutschen Ämtern ist archiviert, ebenso wie die kaum übersehbare Zahl von Berichten, die die Betroffenen ihren Anträgen beifügten. Zudem liegen in dem Archiv Kopien von Zugangs-, Abgangs-, Stamm- oder Totenbüchern aller großen Konzentrationslager, nach Haftstätten geordnet und in mehreren hundert Ordnern chronologisch archiviert.9 Darunter befinden sich – scheinbar komplett – die Unterlagen für die Konzentrationslager Buchenwald und Mittelbau-Dora sowie ihrer Außenlager und -kommandos. In begrenzter Zeit in Brüssel oder später in Kopien ausgewertet sind sie in die vorliegende Arbeit eingegangen. Im selben Gebäude in Brüssel befindet sich das „Centre for historical research and documentation on war and contemporary society“ (ceges-soma), das u. a. das vom Service des Victimes de la Guerre zusammengetragene Bildmaterial verwertet.10
Über die konkreten Existenzbedingungen der Arbeitssklaven und Lagerinsassen sagen die bisher genannten Unterlagen meist wenig. Um denen auf die Spur zu kommen, durchforschte der Verfasser die in den Dokumentationszentren der KZ-Gedenkstätten gesammelten und für die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren sowie die Gerichtsakten eingeholten Häftlingsberichte und Zeugenaussagen. Erste Anlaufstelle war die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg (ZSL), inzwischen Außenstelle des Bundesarchivs (BA Ludwigsburg). Unterlagen aus dem Dachauer Dora-Prozess von 1947 konnten im Archiv des Dokumentationszentrums Mittelbau-Dora eingesehen werden.11 Auszüge der Akten des britischen Bergen-Belsen Prozesses von 1945 wurden vom „Zentralnachweis zur Geschichte von Widerstand und Verfolgung 1933 – 1945 auf dem Gebiet des Landes Niedersachsen“ (ZNW) zur Verfügung gestellt. Das Geschichtsarchiv der Zeugen Jehovas (Selters) überließ Häftlingsberichte zum Dora-Außenkommando Neusollstedt. Eine Vielzahl weiterer Häftlingsberichte und Dokumente kamen aus dem Ausland, so von der Stiftung „Polnisch-Deutsche Aussöhnung“ (Fundacji „Polsko-Niemieckie Pojednanie“) in Warschau, dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) in Wien, dem Dokumentationszentrum Ex-Dwangarbeiders in Winterswijk (Niederlanden) und der Stiftung Memorial in Moskau.
Die systematische Erfassung von Rüstungsbetrieben durch die Reichswehr
Die Voraussetzungen einer ungleichartigen rüstungskonjunkturellen Entwicklung in beiden Gebieten schuf die Reichswehr bereits Anfang der 1920er Jahre, indem sie insgeheim und hinter dem Rücken der Reichsregierung, getarnt als „Organisations-Kriegsspiel“,1 Wiederaufrüstungspläne schmiedete, sie in den Folgejahren zielstrebig weiter betrieb und mit finanziellen Mitteln, teils aus „schwarzen Kassen“, Einfluss auf die Rüstungsforschung wie auch die materielle Rüstung nahm. Eines der Hauptziele der Alliierten nach Ende des Ersten Weltkrieges hatte darin bestanden, Deutschlands „potentiel de guerre“ zu vernichten. Dem Reich wurde im Versailler Vertrag auferlegt, die Produktion von Rüstungsgütern gen Null zu fahren. Soweit eine Herstellung von Waffen, Munition und Kriegsgerät in Deutschland in geringem Umfang noch möglich blieb, wurde sie auf wenige von den Alliierten zu genehmigende Fabriken begrenzt. Alle anderen Anlagen zur Anfertigung, Lagerung, Herrichtung oder Konstruktion von kriegsverwendbarem Material mussten innerhalb einer Frist von drei Monaten nach Inkrafttreten des Vertrages geschlossen werden. „Für die Anfertigung von Kriegsgerät bestimmte Werkzeuge und Maschinen“ waren – bis auf den geringen Bedarf der wenigen zugelassenen Firmen – an die Alliierten abzugeben oder zu vernichten.2
Selbst die noch zugestandene Rüstungsproduktion unterlag erheblichen Restriktionen. Die Herstellung bestimmter Waffen und Kampfmittel, etwa von Panzern, Flugzeugen, schweren Geschützen und Gaskampfstoffen, war gänzlich verboten. Weder durften jährliche „Höchstfertigungszahlen“ überschritten noch Kriegsmaterial aus dem Ausland importiert werden. Besonders einschneidend wirkte sich für die deutsche Industrie das Verbot der Ausfuhr von Rüstungsgütern aus, entfiel so doch die Möglichkeit, unter dem Deckmantel von Exporten wichtige Betriebsmittel und Einrichtungen vor der Demontage oder Vernichtung zu retten.3 Um die Einhaltung der Beschränkungen ständig zu überwachen, hatten die Siegermächte eine Interalliierte Militär-Kontroll-Kommission (IMKK) zusammengestellt, die befugt war, sich jederzeit frei im Land zu bewegen.4 Angesichts der massiven Kontrolle der IMKK blieb dem Gros der Rüstungslieferanten des Ersten Weltkrieges zunächst nichts anderes übrig, als ihre Produktion auf zivile Güter umzustellen. Zur Umgehung dieser Begrenzungen durch den Versailler Vertrag versuchten jedoch größere Unternehmen wie Rheinmetall und Zeiss, zumindest Teile ihrer Rüstungskapazitäten ins neutrale Ausland zu verlagern, vor allem nach Österreich und in die Niederlande. Soweit das in geringem Umfang möglich war, geschah es zumeist über die Gründung von Tochterunternehmen im Ausland oder mittelbar über die Beteiligung an ausländischen Firmen.5
Mehr noch als die Industrie war die Reichswehr selbst von den Bestimmungen des Versailler Vertrages existenziell betroffen. Er legte die Stärke des Heeres auf 100.000 Mann, der Marine auf 15.000 Mann fest. Bis ins Detail wurde die Gliederung der künftigen deutschen Streitkräfte vorgeschrieben. Bewaffnung, Ausrüstung und Munitionsbestände durften ein bestimmtes Soll nicht überschreiten, der Besitz von schweren Geschützen, Panzern, Flugzeugen und Gaskampfstoffen wurde völlig untersagt.6 Die Reichswehroffiziere waren nicht gewillt, diesen Zustand auf Dauer hinzunehmen. Sie gingen davon aus, dass die Maßnahmen des Versailler Vertrages lediglich temporären Charakter hätten und am Ende nur die Restauration der Monarchie und die Wiederherstellung der privilegierten Stellung des Militärs stehen könne. General von Seeckt, seit Juli 1919 Chef des Truppenamtes, de facto des Generalstabes der Reichswehr, hatte auf der Konferenz von Spa im Juli 1920 erfolglos versucht, durch Zugeständnisse den Alliierten wenigstens ein 200.000-Mann-Heer abzuringen. Noch am Tag seiner Rückkehr aus Spa, dem 10. Juli 1920, legte er, nunmehr Chef der Heeresleitung, in einem Bericht den Offizieren im Reichswehrministerium die Vergeblichkeit seiner Mission angesichts der alliierten Unnachgiebigkeit dar.7 Anfang 1921 sah von Seeckt zwei Möglichkeiten, eine Revision der Rüstungsbeschränkungen zu erreichen, zum einen die Milderung der Vertragsbedingungen durch Konzessionen der Alliierten, zum anderen die einseitige Aufkündigung des Vertrages durch Deutschland, sobald die Kräftekonstellation dies ermögliche.8 Nach seinen Erfahrungen vom Juli 1920 dürfte von Seeckt keine Erwartungen auf erneute Verhandlungen gerichtet haben. Vielmehr regte er zu dem Zeitpunkt den Aufbau eines 63 Divisionen starken Heeres an und schlug den Umbau der Reichswehr zum „Führerheer“ vor. Flankierend forderte von Seeckt, sich mit der Industrie in Verbindung zu setzen, um „zur Verteidigung in jedem Zeitabschnitt die Mittel zu gewinnen“ und „die technische Überlegenheit zu erreichen“.9
Am 15. Juli 1921 hatte die IMKK 30 Betrieben die Zulassung zur Rüstungsproduktion erteilt; 1927 erweiterten die Siegermächte den Kreis um drei Unternehmen.10 Autorisierte Firmen waren u. a. der Krupp-Konzern und die Vereinigte Stahlwerke AG für die Erzeugung von Geschützrohren und Panzerplatten. Die Sprengstoffherstellung und die Entwicklung neuer Sprengstoffe waren für die Dynamit-Nobel AG und die Westfälisch-Anhaltische Sprengstoff AG (WASAG) genehmigt. Simson & Co. in Suhl besaß als einziges Unternehmen die Zulassung für die Fabrikation von Handfeuer- und Maschinenwaffen. Elektrische Geräte, Scheinwerfer und Kommandogeräte wurden von der Siemens-Schuckert AG produziert. СКАЧАТЬ