Название: Kunstmord
Автор: Petra A. Bauer
Издательство: Автор
Жанр: Зарубежные детективы
isbn: 9783897730106
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Hartmut war das genaue Gegenteil von Karl-Heinz. Bereits als Säugling war er still und vergnügt gewesen. Man konnte ihn schon mit den einfachsten Dingen glücklich machen. Als Kleinkind hatte er stundenlang mit Klaras Töpfen gespielt, ohne dessen überdrüssig zu werden.
Doch dass Hartmut so pflegeleicht war, wog das Genöle von Karl-Heinz nicht auf. Oft genug war Kappe heilfroh, der Tyrannei des Kleinen entrinnen zu können, indem er ins Bureau flüchtete. Klara hatte diese Chance nicht und wurde mit der Zeit immer unleidlicher. Und nun war ihr dieser ganze Zirkus offenbar auch aufs Gehirn geschlagen. Kappe konnte sich ihre Verstimmung und die geistige Abwesenheit zumindest nicht anderes erklären, denn es hatte in ihrem Leben ja ansonsten keine Veränderung gegeben.
Wenn er doch nur die Gedanken abstellen könnte! Kappe versuchte, an etwas anderes zu denken. An etwas Schönes. Er wollte sich einen Spaziergang am Meer vorstellen, doch so ganz wollte ihm das nicht gelingen, denn er war noch nie am Meer gewesen. Als Kind war er mit seinem Vater im Fischerboot oft auf dem Scharmützelsee gefahren, aber das konnte man bestimmt nicht vergleichen.
Überhaupt, sein Vater … Der war vor zwei Jahren gestorben, mit gerade einmal 65 Jahren. Nie war er vorher ernsthaft krank gewesen, und wenn er mal so etwas wie einen Schnupfen bekommen hatte und Mutter ihn zum Arzt hatte schicken wollen, hatte er stets nur ein mürrisches Brummen zur Antwort gegeben. Bevor sein Vater zugegeben hätte, dass er sich nicht wohl fühlte und vielleicht sogar ärztliche Hilfe hätte brauchen können, hätte er sich lieber die Zunge abgebissen. Als Fischer könne er sich solchen Pipifax wie eine Krankheit nicht leisten, hatte er stets gesagt.
Und nun war sein Vater tot. Schon in den Monaten zuvor war er geistig stark verwirrt gewesen. An Kappes vierzigstem Geburtstag hatte er seinen eigenen Sohn nicht einmal mehr erkannt. Und natürlich hatte sein Vater sich auch nicht mehr daran erinnern können, dass er nie begriffen hatte, weshalb Kappe als Kind kein Draufgänger gewesen war. Er hatte diese Tatsache in den Diskussionen stets seiner Frau angelastet. «Du verzärtelst den Jungen. So wird nie ein echter Kerl aus ihm!», war ein Satz, den Kappe oft gehört hatte.
Abends, wenn er nicht einschlafen konnte, hatte er sich nämlich oft in den dunklen Flur geschlichen und hinter der Küchentür gelauscht, was die Eltern so zu erzählen hatten. Dabei hatte er so manches gehört, was nicht für seine Ohren bestimmt war.
So wie neulich, als Kappe eher versehentlich ein Gespräch belauscht hatte, das Dr. Brettschieß am Telefon geführt hatte. Er war an dessen Bureautür vorbeigegangen, die einen Spalt offen stand. Plötzlich hörte er, dass von der NSDAP die Rede war, und er konnte gar nicht anders, als stehenzubleiben, um zu hören, um was es ging. Sein Chef hatte für seinen Geschmack nämlich im Februar entschieden zu laut getrauert, als der SA-Sturmführer Horst Wessel von zwei Mitgliedern des Roten Frontkämpferbundes in seiner Wohnung erschossen worden war.
Am Telefon hatte Brettschieß sich mit seinem Gesprächspartner dann über das Horst-Wessel-Lied unterhalten. Es waren Sätze gefallen wie «Endlich haben wir eine anständige Hymne!», und Brettschieß hatte gesungen: «Schon bald flattern Hitlerfahnen über allen Straßen!» Kappe hatte fast schon die Flucht ergriffen, doch die Neugier hatte ihn zurückgehalten.
Richtig beunruhigt war er dann gewesen, als Brettschieß vollmundig gesagt hatte: «Bald weht hier ein anderer Wind! Dann können die Itzigs, Tagediebe und Faulenzer sich warm anziehen! Und im Präsidium wird auch aufgeräumt!»
Kappe wagte nicht sich auszumalen, was das bedeuten könnte. Wenn es an Entlassungen ging, würde Kappe vielleicht als einer der Ersten auf der Abschussliste stehen. Was sollte dann aus ihm werden? Aus Klara und den Kindern? Und wieso wollte Klara auf einmal unbedingt von hier weg? Klara …
Als der Morgen dämmerte, war Kappe endlich wieder eingeschlafen. So hörte er auch nicht, dass der kleine Karl-Heinz lauthals schrie und auf sein vermeintliches Recht auf Aufmerksamkeit bestand. Er hörte auch nicht, wie Klara aufstand und grummelte, dass Kappe wenigstens ein einziges Mal reagieren und den Kleinen trösten könne.
«Oh, hallo, wir kenn’ uns doch!»
Victor zuckte zusammen. In Gedanken versunken war er auf dem Weg zum Landwehrkanal gewesen, wo er eine Brücke malen wollte.
Er blickte irritiert auf und sah das Mädchen, das für Alfons Modell gesessen hatte. Das aufreizende Gemälde auf der Staffelei. Er merkte, wie er rot wurde, und konnte Eva nicht in die Augen sehen, nun, nachdem ihm dies eingefallen war. Zu obszön war das Bild. Er fragte sich, ob Alfons sich wirklich im Griff haben konnte, wenn sie vor ihm saß, die Beine gespreizt, keinerlei Geheimnisse mehr verbergend.
Er selbst hatte so was nur ein einziges Mal gesehen, bei Lenchen. Sie war die Einzige, die ihm das je gestattet hatte. Und auch nur ein einziges Mal. Danach hatte sie stets darauf bestanden, dass er das Licht löschte, bevor er sie berühren durfte.
Victor war wütend auf Eva, weil sie ihn an Lenchen erinnert hatte. Es tat zu weh, auch heute noch. Weshalb mussten alle Menschen sterben, die er liebte?
Eva beachtete sein mürrisches Schweigen nicht. Sie redete und redete, während sie ihn auf seinem Weg begleitete. Als er schon dachte, sie würde ihr Geschnatter niemals abstellen, winkte sie ihm fröhlich zu.
«Ick muss jetzt hia lang! Da wohn ick nämlich! Schön’ Tach noch! Vielleicht sehn wia uns ja mal wieder!»
Bitte nicht, dachte Victor und setzte seinen Weg grußlos fort. Als er einige Meter gegangen war, überlegte er es sich anders. Er konnte selbst nicht sagen, woher dieser plötzliche Impuls kam. Doch er hatte mit einem Mal das Gefühl, es könne nicht schaden zu wissen, wo Eva wohnte. Vielleicht lag es an der Anziehungskraft, die sie auf ihn ausübte, wenn er sie nicht gerade wie einen Wasserfall reden hörte. Ein gewisses sexuelles Verlangen ließ sich nicht leugnen, und schuld daran war Alfons’ Bild.
Vorsichtig sah er um die Hausecke in die Dieffenbachstraße hinein, denn sie sollte natürlich nicht wissen, dass er ihr folgte.
Er hatte Glück, sie war beschäftigt. Ein riesiger Kerl stand vor ihr und redete auf sie ein. Redete? Er brüllte. Und zwar so laut, dass Victor es mühelos hören konnte.
«Wo kommste um die Zeit wieda hea? Wenn dit nich bald uffhört, zieh ick aba andre Saiten uff, haste mir verstan’n?» Der Hüne packte sie hart am Arm, schüttelte sie und zog sie in den Hauseingang.
Das musste Karl Kasulke sein, der Kerl, von dem Alfons gesagt hatte, dass kein Gras mehr wüchse, wo der hinschlug.
Zuerst waren es nur die Blicke gewesen, die bei seinem stets höflichen Gruß förmlich auf den Grund ihrer Seele zu blicken schienen. Er hatte bei jeder Begegnung galant den Hut gelüftet, dann hatten seine stahlblauen Augen sie förmlich gefangen genommen.
Anfangs hatte sie versucht sich einzureden, dass dies alles nur in ihrer Einbildung passierte, doch die «zufälligen» Begegnungen hatten sich gehäuft, die Blicke waren eindringlicher geworden. Bis er sich ihr eines Tages anschloss, als sie sich alleine auf den Weg in die Stadt machte, um etwas zu besorgen. Freundlich hatte er gefragt, wo der Weg sie hinführe und wie es den Kindern und dem Gatten gehe.
Der Herr wohnte im Aufgang nebenan und schien so einiges über sie zu wissen. Dabei ging es hier eigentlich weitaus anonymer zu als in der Gegend, in der sie vorher gewohnt hatten. Ein wenig СКАЧАТЬ