Название: Kultur unterm Hakenkreuz
Автор: Michael Kater
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783806242027
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Und wie mochte die Musik zur politischen Kultur der nächsten tausend Jahre beitragen? Musik ist, so der New Yorker-Kritiker Alex Ross, »immer in der Welt, ist weder schuldig noch unschuldig, sondern Gegenstand der ständig sich wandelnden menschlichen Landschaft, in der sie sich bewegt«.41 Folgt daraus politische Neutralität? Ihrer Struktur nach ist Musik – so viel ist klar – am wenigsten zu ideologischer Kommunikation geeignet, es sei denn, es handelt sich um ein Opernlibretto oder einen Liedtext. Nur in dieser Hinsicht konnten Komponisten und Dichter zusammenwirken. So musste Friedrich W. Herzog, ein Gefolgsmann Alfred Rosenbergs, hohl klingen, wenn er eine Musik forderte, »die erfüllt ist von der Ausdrucksgewalt der nationalsozialistischen Idee. Als revolutionäre Musik wird sie dem Fortschritt dienen, als nationale Musik wird sie neu sein, und als sozialistische Musik wird sie in das Herz eines jeden Volksgenossen, ohne Rücksicht auf Alter, Stand und Geschlecht, dringen und verstanden werden.«42 Der vorsichtigere Goebbels war indes nicht bereit, die Musik in die patriotische Pflicht zu nehmen, sondern wollte nur, dass die Welt das Monopol der deutschen Musik anerkannte.43 Aber die Musik konnte Gefühle beeinflussen und hatte damit, etwa bei politischen Veranstaltungen oder im Radio, durchaus emotionalen Wert.44
Rechnet man auch Radio und Presse zu den Kulturgattungen, eröffneten sie den direktesten propagandistischen Zugang zu den Massen. Sofern die NS-Führer sich nach der Machtergreifung als Revolutionäre empfanden, betrachteten sie den Rundfunk als revolutionären Akt par excellence. Und sofern sie sich als modern empfanden, war das Radio die Innovation ihrer Wahl – das Instrument ideologischer Indoktrination und Kontrolle schlechthin, einsetzbar für Ansprachen und andere nicht-musikalische Sendungen wie Hörspiele und Reportagen zu aktuellen Ereignissen. Überdies konnte Musik, wie der Film, Hitlers Untertanen aufmuntern und für künftige Schlachten stählen, dasselbe galt für entsprechend zugeschnittene Wortbeiträge: Quiz, Humor, bunt Gemischtes und natürlich Sportreportagen. Im Unterschied zu Drama und Oper – der Unterhaltung für die Oberschichten – und dem Film – der hauptsächlich die Unterschichten amüsierte – war das Radio ein klassenüberschreitendes Medium.45
Und schließlich die Presse. Angesichts einer weitgehend alphabetisierten deutschen Bevölkerung übertraf die Reichweite der Printmedien die des Radios, zumal sich einzelne gesellschaftliche Gruppierungen damit noch treffsicherer ansprechen ließen und letztlich fast jede Zielgruppe erreicht werden konnte. Die Bandbreite war groß, reichte von Parteizeitungen mit deftigen Slogans bis zu elegant formulierten politischen Herleitungen, deren Logik auch den Hochgebildeten einleuchten sollte. Die Presse konnte Kunst abbilden, Kapitel aus der hohen Literatur oder scheinbar Unverfängliches mit einer verborgenen ideologischen Bedeutung bringen. Zudem zeigte der Nürnberger Gauleiter Julius Streicher mit seinem rüden antisemitischen Kampfblatt Der Stürmer schon früh, wie man mit hämischen Karikaturen von deutschen Juden Hass säte.46
Literatur
2009 äußerte sich der amerikanische Kultur- und Literaturhistoriker Sander L. Gilman zur NS-Literatur dahingehend, dass »es einfach uninteressant sei, sich mit der massenhaften Literatur der NS-Zeit zu beschäftigen«.47 Schriftsteller wie Josef Magnus Wehner, Hans Zöberlein oder Kurt Eggers »repräsentieren nicht die ›wahre‹ Literatur im Deutschland der Jahre 1933 bis 1945«. Gilman begründete seine Ansicht nicht, dachte aber allem Anschein nach an gravierende Mängel in Form und Inhalt – an eine Literatur, die nicht der hauptsächlichen Tradition deutscher Belletristik im 19. und 20. Jahrhundert entsprach. Doch abgesehen davon war Literatur, was deutsche Schriftsteller an Prosa oder Poesie hervorbrachten; ob es gut oder schlecht war, steht auf einem anderen Blatt. Was damals von NS-Autoren oder von Schriftstellern, die ganz oder nur zeitweise im Dritten Reich lebten, zu Papier gebracht wurde, war genuin deutsche Literatur, gleichgültig, ob abgeleitet oder originell oder eine Mischung aus beidem.
Zugegebenermaßen gab es bis mindestens 1940 keine Literatur, die im zeitgenössischen, nationalsozialistischen Milieu spielte.48 Romanautoren fühlten sich den ständig im Fluss befindlichen Ereignissen zu nahe, um eine maßvoll-objektive Haltung einnehmen zu können, und wenn sie, um dem Zeitgeschehen auf der Spur zu bleiben, von Heiklem oder Negativem wie dem »Röhm-Putsch« oder Konzentrationslagern berichten wollten, wussten sie um die Zensur. So tauchten nationalsozialistische Symbole, Persönlichkeiten oder Geschehnisse in erzählerischen Handlungen auf, die vor 1933 spielten. Darüber konnten Schriftsteller aus sicherer Distanz und Perspektive berichten. In Romanen über die sogenannte Kampfzeit der NSDAP – 1919 bis 1933 –, in denen die Weimarer Republik den historischen Rahmen bildet, taucht häufig Hitler auf, gefolgt von Goebbels und Horst Wessel: Personal von hohem Wiedererkennungswert und Charisma.49
Romane mit historischem Ausgangspunkt und post-industriellem Szenario begannen zumeist während des Ersten Weltkriegs, begaben sich dann in die Welt der zwischen 1919 und 1925 operierenden Freikorps und behandelten bestimmte Problemfelder der Weimarer Republik. Hans Zöberlein, Edwin Erich Dwinger und Werner Beumelburg spezialisierten sich auf solche Geschichten. Mehr oder weniger deutlich stellten sie die Weltkriegskämpfer über die Freikorps mit den Männern aus SA oder SS in eine Linie. Einige ihrer Romane waren schon in den zwanziger Jahren veröffentlicht worden und erlebten nach der Machtergreifung höchst erfolgreiche Neuauflagen. All dies qualifiziert sie als NS-Literatur. Dass diese Autoren wie andere ihrer Sorte selbst Soldat gewesen waren, verlieh ihren Arbeiten einen hohen Grad an Authentizität.50
Zu den Hinweisen, dass die Autoren faschistisch waren, zählen zum Ersten die Kriegsverherrlichung im Interesse der als patriotisch (lies: chauvinistisch) verstandenen deutschen Sache, zum Zweiten die Konstruktion einer Situation von Befehl und Gehorsam, in der eine autoritäre Führungspersönlichkeit ganz oben steht, und zum Dritten die Schilderung eines Individuums, etwa eines Soldaten, in dieser Kommandokette, das nur als Teil einer größeren Gemeinschaft, zum Beispiel eines militärischen Zugs, Bedeutung erlangt. Das ist schon ein Vorgeschmack auf die »Volksgemeinschaft«. Für Ernst Jünger war der Krieg von erhabener, moralisierender Wirkung, denn hier »begegnete der deutsche Mensch einer stärkeren Macht: er begegnete sich selbst«.51 Edith Gräfin Salburg glorifizierte den Tod auf dem Feld als »Heldentod im höchsten Sinn«, für den Soldaten bedeute er »das Hinauswachsen über die eigene Persönlichkeit, das Sichselbstvergessen im Dienste des Ganzen«.52 Dwinger erinnerte sich an das Gefühl der Gemeinschaft mit den zum Tode verdammten studentischen Freiwilligen, die im November 1914 in der berühmten Schlacht von Langemarck fielen, und er sowie Beumelburg, Heinrich Zerkaulen und Heinz Steguweit schilderten Szenen erbärmlichen Gehorsams der Soldaten gegenüber ihren Vorgesetzten.53 In Literatur umgesetzt wurden neben den Ereignissen des Ersten Weltkriegs auch der als Schmach empfundene Versailler Friedensvertrag sowie die Legende vom »Dolchstoß« der Heimatfront in den Rücken der Armee.54
Die sogenannten Freikorps, kleine paramilitärische Gruppen, geführt von schlachterprobten Kommandanten, die zumeist den mittleren Rängen entstammten, formierten sich schon Anfang 1919, kurz nach der Auflösung der kaiserlichen Armee. Anfänglich wurden die Freikorps von der jungen Weimarer Republik als Polizeikräfte eingesetzt, aber seit 1920 kämpften sie, unabhängig und illegal, vor allem im Osten, und zwar gegen Bolschewiki, Balten und Polen, die, so hieß es, im Verein mit den Westalliierten deutschen Boden okkupierten. Hypernationalistische Freikorps ergriffen früh Partei für Hitler und seine Bewegung; bisweilen hatten sie Hakenkreuze auf ihre Stahlhelme gemalt. In seiner Pathographie СКАЧАТЬ