Kultur unterm Hakenkreuz. Michael Kater
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Название: Kultur unterm Hakenkreuz

Автор: Michael Kater

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

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isbn: 9783806242027

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СКАЧАТЬ beurteilt werden soll. Ferner wollen wir uns vergewissern, welche kulturellen Leistungen das NS-Regime wenigstens in der Zeit vor dem Krieg aus eigener Kraft zu vollbringen imstande war. Von getreuen Anhängern, aber auch von einigen Historikern ist Hitler als Genie bezeichnet worden. Wir müssen fragen, ob sich das auf seine frühe Rolle als Künstler und seine spätere Beschäftigung mit Kunst und Kultur, wie sie im Dritten Reich beobachtet werden konnte, beziehen lässt.

      Wenn Hitler Genie besaß, dann nur in der Politik. Entscheidend dafür war sein intuitiver Umgang mit den Menschen, deren Gefühle er fast absolut zu beherrschen verstand. »Hitler war mit Instinkt gesegnet, er erschnüffelte die Menschen wie ein Hund.« So hörte ich es von Otto Strasser, dem Kampfgenossen Hitlers aus den späten zwanziger Jahren, im Frühjahr 1978, ein paar Monate vor seinem Tod.11 Goebbels, der damals mit Otto und dessen Bruder Georg eng zusammenarbeitete, ihnen sogar untergeordnet war, hat, wie seine Tagebücher verraten, offensichtlich ebenfalls an die intuitiven Fähigkeiten des Führers geglaubt. Hitlers »große Begabung war allein die Politik«, schreibt Ullrich. »In seiner Fähigkeit, Situationen blitzschnell zu analysieren und auszunutzen, war er nicht nur den Rivalen in der NSDAP, sondern auch den Politikern der deutschen Mainstream-Parteien überlegen. Nur so lässt sich erklären, warum er aus allen innerparteilichen Krisen, die es bis 1933 gab, als Sieger hervorgehen konnte.«12

      Abgesehen von diesem außerordentlichen Talent für Politik verfügte Hitler noch über andere Begabungen, wenn auch nicht im selben Ausmaß. Er war überdurchschnittlich intelligent und verfügte über ein beeindruckendes Gedächtnis, allerdings nur auf Gebieten, die er interessehalber pflegte (so wie er nur Gefolgsleute tolerierte, die erkennbar »dem Führer entgegen arbeiteten«). Im Frühsommer 1939 erinnerte sich der Musikliebhaber Hitler beispielsweise daran, wie er »am 29. Juni 1932 im Konzertsaal des Bayrischen Hofes« in München den Bass-Bariton Hans Hotter die beiden Arien des Hans Sachs aus Wagners Die Meistersinger von Nürnberg singen hörte.13 Zahllos sind die Gelegenheiten, bei denen Hitler winzige Details militärischer Ausrüstungsgegenstände oder Automobile memorierte; seit dem Ersten Weltkrieg erweiterte er seine militärischen Kenntnisse ständig. Zudem war er ein fanatischer Liebhaber von Autos, der Mercedes bevorzugte (und später alles, was Ferdinand Porsche vorschlug).14 Ganz so neu war das indes nicht, hatte doch Kaiser Wilhelm II. seine Zeitgenossen auf ähnliche Weise in Erstaunen versetzt, gleichfalls durch militärisches Wissen, insbesondere die Marine betreffend. Aber Hitler war auch mit den Grundlagen von Carl von Clausewitz’ philosophisch inspirierter Militärtheorie vertraut und kannte manches auswendig, wenngleich Clausewitz’ Einsichten für Strategien des 20. Jahrhunderts nicht mehr recht brauchbar waren.15

      Tiefere Einsichten in Bildung und Gelehrsamkeit blieben Hitler verschlossen; eingedenk seines fehlgeschlagenen Ausbildungsgangs hasste er Lehrer und Universitätsprofessoren (was erklären mag, weshalb er später, scheinbar paradoxerweise, viele Professoren selbst ernannte, nur um diese Lakaien später mit Verachtung zu strafen). Als Autodidakt konnte er sich seine Wissensgebiete selbst wählen, aber die Wirtschaft gehörte nicht dazu, auch wenn er während seiner gesamten politischen Laufbahn immer wieder Halbwahrheiten von sich gab.16 Der Harvard-Absolvent Ernst Hanfstaengl (seit 1919 mit Hitler befreundet, NSDAP-Mitglied, Geschäftsmann und Hobbypianist) entdeckte in Hitlers erster bescheidener Wohnung in München eine bemerkenswerte Bibliothek mit Büchern über Geschichte, Geographie, auch Philosophie, etwa Werke Schopenhauers. Vieles fand sich später in Form von Zweitexemplaren in Hitlers komfortabler Landsberger Gefängniszelle. Sein historisches Interesse bezog sich, was nicht überrascht, neben der griechischen und römischen Antike vor allem auf die deutsche Geschichte und hier besonders auf den Lebensweg des Preußenkönigs Friedrich II. Seine »rassenkundliche« Bildung fußte auf Houston Stewart Chamberlain, Paul de Lagarde und Hans F. K. Günther. Die Belletristik war in seinem Münchner Schlafzimmer nicht vertreten, aber er war mit einigen modernen Dramen, etwa von Wedekind und Ibsen, vertraut (Letzteres sicherlich, weil sein zeitweiliger Mentor, Dietrich Eckart, Peer Gynt übersetzt hatte). Ansonsten bevorzugte er Detektivgeschichten und leichtere Sachen, populäre und satirische Geschichten à la Ludwig Thoma und – seit seiner Jugend – die Wildwestromane von Karl May.17

      Hitler bewunderte Schauspieler und liebte es, sich Filme anzuschauen, vor allem die Höhepunkte aus Produktionen der konservativen Ufa, die zum Konzern des Magnaten Alfred Hugenberg gehörte. Zu seinen Lieblingen unter deutschen Filmstars zählte zum Beispiel Henny Porten; aber auch gewisse amerikanische Filme fanden sein Gefallen, und er war, wie Goebbels, ein großer Fan von Greta Garbo. Bis zum Kriegsbeginn ließ er sich privat regelmäßig Filme vorführen, und zwar, wie im vorigen Kapitel erläutert, häufig mit Blick auf Propagandazwecke. Nach einiger Zeit konnten viele deutsche Filmstars Hitler ihren Freund nennen.18 Im Theater war Hitler zwar seltener zu finden, gleichwohl schätzte er die Bühne. Er verfolgte aufmerksam die schauspielerische Darbietung bei seinen Lieblingsoperetten und sah gern seine Lieblingsschauspieler wie Emil Jannings, wo immer sie gerade auftraten: in München, Berlin oder Weimar. Die Schauspielerei war ihm wichtig, und er selbst beherrschte sie – für politische Zwecke – in durchaus beachtlicher Weise, wenn er zu den Massen sprach. Noch in den ersten Jahren seiner Herrschaft übte er vor einem Spiegel Haltungen und Gesten ein und verfeinerte sein Auftreten als Redner.19

      Hitlers Liebe zur Musik konzentrierte sich in erster Linie auf Wagner, dessen Opern er während seiner Jugend in Linz und Wien erstmals gehört hatte. Seine Kenntnisse sollte er später in München und anderswo noch vertiefen. Schon 1919/20 hatte er Ernst Hanfstaengl vorgeführt, dass er Arien summen oder pfeifen konnte: aus den Meistersingern, Lohengrin und (wie Thomas Mann, der aber das Klavierspiel bevorzugte) Tristan und Isolde. Gleichzeitig mochte er, der aus bescheidenen Verhältnissen kam, die leichte Muse wie den Badenweiler Marsch, zudem Operetten, besonders Franz Lehárs Die lustige Witwe und Johann Strauss’ Die Fledermaus. (Er nahm Lehár, trotz dessen jüdischer Frau, bis zum Ende des Regimes in Schutz.)20 In der Titelrolle des Danilo (Tenor) aus der Lustigen Witwe gefiel ihm der beliebte und umschwärmte holländische Sänger Johannes Heesters am besten.

      Später scheint Hitler auch die Musik Anton Bruckners geschätzt zu haben (eine Neigung, die er höchstwahrscheinlich überbetonte, weil der Komponist ebenfalls aus Linz stammte), doch nie all jene Komponisten, die ihm Goebbels ans Herz legen wollte: Schubert, Brahms, Mozart, nicht einmal den Heros Beethoven.21 Alles in allem hatte Hitler »kaum wirkliches Interesse an oder Verständnis für Musik«.22

      Hitler liebte Wagner nicht zuletzt deshalb, weil dessen Opernkompositionen als »Gesamtkunstwerk« dem Diktator Anknüpfungspunkte für seine Karriere als Demagoge boten: ein handlungsstarkes Drama, das seinem Faible für Pathos und Ideologie entgegenkam, eine Bühne für Gesang und Schauspiel oder Reden an das Volk, und eine Szenerie, die durch Farbigkeit und Form Eindruck schinden konnte. Solche visuellen Effekte passten zu Hitlers eigenen Vorlieben: Malerei und Architektur. Seine oft bekundete Selbsteinschätzung als Künstler leitete sich von den eher anspruchslosen Versuchen als Maler im Wien seiner Jugendjahre und dann in München her, bis er sich mit Beginn des Ersten Weltkriegs der bayerischen Armee anschloss. Seine malerischen Fähigkeiten gingen über Dilettantismus nicht hinaus; zwei Mal wurde seine Bewerbung von der Wiener Kunstakademie abgelehnt. Aus solchen Unterfangen einen Geniekult abzuleiten – wie Hitler es tat –, hieße, die Tatsachen außer Acht zu lassen.23 Das gilt gleichermaßen für die Architektur: Hitlers Interesse daran hing mit Gebäudeskizzen zusammen, die er in Wien und als Soldat an der Westfront in Belgien und Frankreich angefertigt hatte; später kam noch die Beschäftigung mit Innenarchitektur hinzu. Hitlers gelegentlich, vor allem während des Zweiten Weltkriegs geäußerte Bemerkungen, er wünsche sich nichts sehnlicher, als zum Künstlerleben zurückzukehren, waren Selbsttäuschung und zielten darauf, Geniekult-Gläubige zu beeindrucken.24

      Auf jeden Fall steht Hitlers künstlerisches Schaffen in keinem Zusammenhang mit den neuen Bewegungen der Moderne, die sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland und Österreich entwickelten. Die Wiener und die Berliner Secession ließen ihn kalt; er blieb dem Geschmack der Spätromantik verhaftet, wie er von deutschen und österreichischen Künstlern – Adolph von Menzel, Hans Makart, Anselm Feuerbach, Carl Spitzweg, Arnold Böcklin, Eberhard von Grützner und anderen – praktiziert wurde. In СКАЧАТЬ