Название: Kultur unterm Hakenkreuz
Автор: Michael Kater
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783806242027
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Nachdem Hitler und Goebbels drei Tage zuvor die Objekte begutachtet hatten, wurde die Ausstellung am Montag, dem 19. Juli 1937, im Münchner Archäologischen Institut eröffnet. Die gesamte deutsche Presse, auch die ehemals bürgerlichen Blätter, die nun den Propaganda-Richtlinien vom November 1936 unterlagen, schäumte vor Entsetzen. »Eisenbahnzüge voll Schmutz« hätten sich in die Museumsräume ergossen, schrieb die einst ehrenwerte Deutsche Allgemeine Zeitung; »Magazine und Keller haben sich geöffnet, um ihren Unrat auszuspeien«, ließ der Münsterische Anzeiger in schrillem Ton verlauten.159 Das NS-Organ National-Zeitung aus Essen, Graf Baudissins Hochburg, gab ironischerweise unwillentlich die ursprünglichen Intentionen der Expressionisten wieder, als es konstatierte, dass deren Bilder den Betrachter »durch ihre Farben buchstäblich anschreien und durch die Verzerrung der Linien, durch die Dekadenz des Ausdrucks uns mit Schrecken erfüllen«.160 Die Organisatoren hatten ihr Bestes getan, um die Gemälde auf möglichst unvorteilhafte Weise zu präsentieren, indem sie sie schief und zu dicht, teilweise bis auf den Boden herab hängten, in roh zusammengezimmerten Holzrahmen161 – und »in schlechtem Licht«, wie Nolde festhielt. »Grelle, rote Zettel mit boshaften Sprüchen« hätten überall herumgehangen.162 Perfiderweise war hier und da der Preis angegeben, den eine öffentliche Institution für den Ankauf – aus Steuermitteln – ausgegeben hatte: Abertausende an Mark, was die Betrachter schockieren sollte. Ungesagt blieb dabei, dass es sich um Beträge aus der Inflationszeit handelte, als man mit 10 000 (Papier-)Mark nicht einmal einen Laib Brot kaufen konnte.163
Auf jeden Fall war die Ausstellung populär.164 Bevor sie auf Tour ging, hatten über zwei Millionen Männer und Frauen – Minderjährigen war der Zutritt verboten – überwiegend zustimmend die »Entartete Kunst« besucht. Der Eintritt war frei.165 Eigentlich sollte sie bis Ende September dauern, wurde dann aber bis Ende November verlängert.166 Die Wirkung dieser entwürdigenden Zurschaustellung auf die betroffenen Künstler war natürlich verheerend, auch wenn einige, etwa die Erben des Bildhauers Wilhelm Lehmbruck, die Exponate nach einiger Zeit zurückerhielten.167 Karl Hofer indes trauerte noch Ende 1943 sechzig Gemälden allein aus seinem Berliner Atelier nach.168
Als die Ausstellung auf Deutschlandreise ging, wurde ihr zur Einführung eine vom Propagandamuseum autorisierte Broschüre beigegeben. Ein gewisser Fritz Kaiser aus München169 erläuterte darin die Kriterien, nach denen die Exponate zu »Gruppen« zusammengestellt worden waren. Die erste Gruppe stand unter dem Motto Form und Farbe – zentrale Thematiken der expressionistischen Kunst. Hier monierte Kaiser die »absolute Dummheit der Stoffwahl« und die »bewusste Verachtung aller handwerklichen Grundlagen«.170 In der zweiten Gruppe hielt Kaiser Künstlern wie Nolde und Barlach vor, sie hätten religiöse Gefühle verletzt – angesichts des Umstands, dass der totalitäre Staat im gleichen Zeitraum beide christlichen Kirchen bekämpfte, ein lächerliches Argument.171 Mit der dritten Gruppe unternahm es Kaiser, den »politischen Hintergrund« der Ausstellung zu beleuchten – »künstlerische Anarchie« habe hier das Zepter geschwungen, und das Ziel sei »Klassenkampf im Sinne des Bolschewismus«.172 Als wenn alle Avantgardekünstler in der Weimarer Republik linksextrem gewesen wären! Pazifistische Tendenzen bildeten den Schwerpunkt der vierten Gruppe; hier sah der Betrachter von Otto Dix und George Grosz gemalte Kriegskrüppel.173 Gruppe fünf präsentierte Kunstwerke als Bordellmalereien; von den Künstlern hieß es: »Die Menschheit setzt sich für sie aus Dirnen und Zuhältern zusammen.« Hier waren Überschneidungen mit der dritten Gruppe nicht zu verkennen.174 Die Gruppen sechs und sieben warfen Licht auf die Bedeutung der »Rasse« insbesondere in Verbindung mit Fragen der Eugenik: Das geistige Ideal der modernen Kunst seien »der Idiot, der Kretin und der Paralytiker« gewesen. Gleichermaßen wurden Darstellungen von »Negern und Südseeinsulanern« à la Gauguin verurteilt.175 In der achten Gruppe war der Betrachter mit der sogenannten Judenfrage konfrontiert; beispielhaft dafür standen die Bilder jüdischer Künstler wie Otto Freundlich und Ludwig Meidner (in Kaisers Broschüre auf S. 21 dargestellt).176 (Bei der hastigen Planung der Ausstellung hatten die Organisatoren übersehen, dass es kaum deutsche Juden in den bildenden Künsten gab, weshalb sie Ausländer wie Chagall einbezogen. Ansonsten musste der sprichwörtliche jüdische Kunsthändler als Schreckgespenst herhalten. Max Liebermann, der 1935 gestorben war, blieb verschont, vielleicht wegen seiner allzu großen Berühmtheit.) Die neunte Gruppe schließlich, die letzte, sah ihr Angriffsziel im Begriff der Abstraktion in Form von »Ismen«, demonstriert an Werken des Bauhausnahen Johannes Molzahn und des Dadaisten Kurt Schwitters.177 Die Broschüre brachte dann einen Auszug aus Hitlers Eröffnungsrede im Haus der Deutschen Kunst, die er einige Stunden vor Beginn der Ausstellung »Entartete Kunst« gehalten hatte.178 Zum Ende gab es einen Vergleich zwischen zwei modernen Graphiken mit der Zeichnung eines Psychiatriepatienten; Grundlage hierfür bildeten offensichtlich Schultze-Naumburgs Beispiele von 1932. Welche Graphik von den dreien, lautete die Rätselfrage, ist die Arbeit des Dilettanten? »Die rechte obere! Die beiden anderen dagegen wurden einst als meisterliche Graphiken Kokoschkas bezeichnet.«179
Dass es »Gruppen« gab, in denen Juden und Marxisten angeprangert wurden, war für die Zeitgenossen keine Überraschung. Aber die Fokussierung auf die Kranken, insbesondere die geistig Erkrankten, war eine relativ neue Wendung in dieser »deutschen« Kultur, auch wenn Schultze-Naumburg und Hitler öffentlich bereits häufiger die Verbindung zwischen moderner Kunst und Geisteskrankheit betont hatten. Adolf Ziegler kam in seiner Eröffnungsrede darauf zu sprechen, und die Zeitungen lieferten pflichtschuldigst entsprechende Kommentare ab. Das Hamburger Tageblatt vermerkte voller Abscheu »krankhafte Erscheinungen und Scheußlichkeiten«.180 Schon seit Mitte 1937 war das Regime mit Vorbereitungen für das beschäftigt, was es dann »Euthanasie« nennen sollte: die zwangsweise Tötung von Patienten in psychiatrischen Einrichtungen, an die die Bevölkerung sich gewöhnen sollte. Bereits jetzt wurden die sogenannten Rheinlandbastarde sterilisiert – Kinder unerwünschter Verbindungen zwischen deutschen Frauen und, wie man annahm, farbigen Soldaten aus den französischen Kolonien, die als Angehörige der Besatzungstruppen nach dem Ersten Weltkrieg im Rheinland stationiert waren.181 Ein Gelehrter, dem die Beziehung zwischen moderner Kunst und Geisteskrankheit einleuchtete, war Professor Carl Schneider, der an der Universität Heidelberg die angegliederte psychiatrische Klinik leitete. 1939 – die Ausstellung war noch auf Deutschlandtour – behauptete er in einem Vortrag zum Thema, die verfemte Kunst sei wahrhaft krank. Schneider unterstützte die »Euthanasie«-Politik des Regimes und brachte sich nach dem Krieg in einem amerikanischen Militärgefängnis um.182
Die Ausstellung »Entartete Kunst« wanderte von München nach Berlin, dann weiter nach Leipzig, Düsseldorf, Salzburg, Hamburg und machte sogar in kleineren Orten wie Weimar halt. In Berlin wurden zusätzlich Werke von Heidelberger Psychiatriepatienten gezeigt, um das Publikum mittels Vergleichen zu Hohn und Spott anzuregen. In Düsseldorf sollen Schätzungen zufolge bis Mitte Juli 1938 einige Hunderttausend Besucher die Exponate gesehen haben, und selbst in Kleinstädten wie Stettin hatte man bis Anfang 1939 rund 75 000 Personen gezählt.183 Als die Tour 1941 wegen des Krieges abgebrochen wurde, hatten auch in anderen Gemeinden mehrere Hunderttausend Besucher die Ausstellung gesehen. Abgesehen von der denunziatorischen hatte die Ausstellung auch eine abschreckende Funktion: Niemals mehr sollte entartete Kunst eine »gesunde« deutsche Kultur korrumpieren.184
Zu diesem Zweck wurde die Gesetzgebung kontinuierlich um neue Möglichkeiten für Beschlagnahme und Boykott erweitert. Noch im August 1937 beauftragte Göring in seiner Funktion СКАЧАТЬ