Название: Der Heidekönig
Автор: Max Geißler
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788711467657
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So ging er einmal auf der breiten Strasse zum Bahnhof. In Amsterdam. Als er auf den Stationsplatz kam, an den gleich rechter Hand östliches Dock, Dijksgracht und Binnenhafen sich anschliessen, da war wiederum des Schauens kein Ende: wie sie die Schiffe tauten, Ladung löschten oder verstauten, wie ein Kauffahrer vom Stapel lief ... „Es ist, als schlügen für mich keine Uhren in dieser Stadt,“ dachte er, als er eine lange Zeit gestanden hatte. „Aber man muss das gesehen haben. Jawohl.“ — Wenn er recht erwog: nicht den hundertsten Teil so schön war diese neue Welt als jene, die er bis dahin erlebt hatte! Aber sie war unerhört neu. Und sie war durchbraust vom Sturme des Lebens. Sie erzeugte auch das wohltätige Gefühl, einmal treiben zu können, ohne zu fragen, wohin das wollte.
Auf der Strasse zum Bahnhof war er schon mehrfach gewesen, aber nie zu einer Abreise gekommen. Doch hielt ihn weder die Ungewissheit seines Schicksals noch die peinliche Prüfung zurück, um die er Herrn Alma Tadema bitten wollte. Sondern es war die Lust an der grossen Stadt. Es war das ungewohnte Erleben des Herzschlags der Erde. Denn so erschien ihm das Brausen, das hier aus allen Winden zusammenlief, um in alle Winde fortzurennen — erschien ihm als der Herzschlag der Erde im Gegensatz zum Paradies, aus dessen Stille er geschaut ins Herz Gottes.
Natürlich vergass er den Grund seiner Reise nicht. Zu seiner Verwunderung merkte er sogar, dass er nie zuvor das Urteil des Meisters mit so geruhiger Seele erwartet hatte als jetzt.
Er wandte sich auch diesmal wieder der Stadt zu, wiewohl er reisefertig war. Und daran war der Laden eines Althändlers schuld, der in der Westerstrasse lag.
Der Sturm der Erscheinungen, der die weitoffenen Sinne des Matheis Maris bedrängte, hatte diese Sinne nicht stumpf und müde werden lassen; denn er sank des Abends — er hatte eine Stelle bei einer alten Frau an der Lindengracht gemietet, nicht allzuweit vom Bahnhofe — ja, des Abends sank er in einen abgrundtiefen Schlaf. Keine Nacht im Paradiese hatte dies Wunder an ihm fertig gebracht, das nun die Nächte der lauten Stadt vermochten, die ihn aus tausend bunten Augen — ihren Lampen — anfunkelten.
Am nächsten Morgen war er schon durch viele Strassen gezogen, als das Reichsmuseum im Trippenhaus geöffnet wurde. Die Bilderschätze des Museums van der Hoop, die im Hussittenhaus, im Stadthaus kannte er natürlich auch. Jeden Vormittag verwandte er zur Besichtigung der Gemäldesammlungen. Da erkannte er: wenngleich er die Welt mit dem wuchtig wippenden Schritt des Moorbauern durchmass und seintag nie recht aus den Holzschuhen herausgekommen war — was hier an Kunst der Jahrhunderte aufgespeichert und der Stolz seines Vaterlandes geworden, das konnte auch er mit seinem Verstand ermessen, besser vielleicht als der gewandte Stadtherr und seine Dame, die sich lachend nach dem ungelenken Jan van Moor umwandten.
Nun ja, vielleicht hatte er mehr an Theorie und Geschichte der Malerei in sich aufgenommen als nötig gewesen wäre. Das focht ihn nicht an. Doch — wonach er zuerst nicht gefragt hatte — nämlich: ob er mit seiner Kunst vor diesen Grossen bestehen könnte — diese Frage fesselte ihn nun recht sehr.
Zuerst wog er aus, wie es jene gemacht hatten — dies und das, was er sich auch zur Aufgabe gestellt. Und seine Freude ward schier betroffen, wenn er sah, dass er auf dem gleichen Wege geführt worden und mit den gleichen Mitteln die gleichen Wirkungen erstrebt hatte — nur auf die Stimme des Gottes hin, die in ihm redete.
Gegen Mittag ging er die Westerstrasse lang und geriet wieder vor das Fenster des Althändlers, vor dem er sich verankerte. Zum hundertsten Male las er das Schild neben der Tür, dass hier Gemälde alter und moderner Meister gekauft würden. Er hatte sich gleich am ersten Amsterdamer Tage die Firma in sein Notizbuch eingetragen. Man konnte nie wissen ...
So begann dieser Abschnitt im Leben des Matheis Maris in dem Schaufenster des Herrn Nikolaas van der Layen, in welchem neben reichlich viel Staub eine Unmenge fesselnder Altstücke aufgestapelt waren: Tassen, Gemälde, Götzen der Fidschiinsulaner, Schnitzereien aus dem alten Ägypten, fremde Münzsorten und Bücher in Schweinsleder, deren Schnitt wie verrostetes Eisen aussah und die vielleicht einmal von tiefsinnigen Mönchen geschrieben worden — dachte Maris.
Dass diese Raritäten genau so wie in seinem Fenster auch in dem Herrn Nikolaas van der Layen selbst herumlagen und in einem Schleier von Staub noch altertümlicher erschienen, merkte Matheis, als er den Laden betrat. Wohl eine Stunde hatte er draussen auf den Strassensteinen gestanden, versunken in Anblick und Deutung der Schätze hinter dem Fenster. Aber auch um zu beobachten, ob er wohl mit Herrn Nikolaas van der Layen allein sein werde, wenn er sein Anliegen vorbrächte.
Da in dieser langen Zeit kein Mensch über die ausgetretenen Stufen geschritten war, fasste er sich ein Herz. Die Glocke über der Ladentür, die an einer stählernen Feder hing, bellte wie ein kleiner aufgeregter Hund, der nicht von der Stelle weicht, bis ihn sein Herr zur Ruhe verweist. Was Herr Nikolaas van der Layen denn auch tat. Er ergriff ein Bambusrohr und legte diesen verlängerten Zeigefinger auf die Wächterin seiner Schätze.
Doch dazu kam es erst nach hinlänglicher Zeit; denn der Laden des Nikolaas van der Layen war eine Einrichtung, die aus sehr vielen kleinen derartigen Einrichtungen bestand, welche im Laufe der Jahre zwischen den äusseren vier Wänden eingebaut waren durch Regale voller Bücher, Etagèren mit altem Porzellan, Bildern, Geweben aus aller Herren Länder.
Darum stand Matheis Maris zwei furchtbar lange Minuten unter der belfernden Glocke und bildete sich ein, er habe die Tür wahrscheinlich ungeschickt behandelt, weil sich während obenbesagter Minuten ausser seiner bänglichen Verwunderung und dem Sturmläuten nichts ereignete, das für seine Sinne wahrnehmbar gewesen wäre. In Wirklichkeit jedoch machte sich Herr Nikolaas van der Layen in dem Labyrinthe seines Ladens auf die Socken — was Matheis schliesslich an dem Schatten erkannte, den die mancherlei Lämpchen aus den mäandrischen Gängen gegen die Decke warfen.
Endlich hatte sich ein Mensch durch diese Gänge hindurchgewunden. Der trug den Namen Nikolaas van der Layen. Und nun erst trat der Bambusstock in seine wahrhaft beruhigende Tätigkeit.
Van der Layen sah aus wie sein Laden. Im Gegensatz zu diesem machte er jedoch auch einen ungeheuer zuvorkommenden Eindruck. Er lupfte sogar das zerschlissene Seidenkäpplein ein wenig und fragte: „Was steht dem jungen Herrn zu Diensten?“
Dies aber war nur das Werk eines Augenblicks; denn als der Händler erfuhr, dass Matheis Maris nicht gekommen sei, etwas zu erstehen, sondern womöglich zu verkaufen, welkte sein Gesicht zu einer niederträchtigen Hässlichkeit zusammen, und Nikolaas van der Layen liess sich an, als stünde er dem bösen Feinde in Person gegenüber. Er zog den Kopf zwischen die Schultern und machte mit der Hand den Vers von der Göttlichen Komödie: Lasst alle Hoffnung sinken ihr, die ihr hier eintretet. Matheis Maris hatte von der Göttlichen Komödie zwar keine Ahnung, aber er dachte, eins Hand wie diese müsse sich aus der Pforte des Himmels strecken, wenn ein der Verdammnis Verfallener irrtümlicherweise dort Einlass begehre.
Herr Nikolaas van der Layen schlurfte danach aber nicht zur Tür seines Altwarenhauses, um den bösen Feind hinauszukomplimentieren, sondern er hielt dem betroffenen Wanderer eine Rede über die schlechte Lage des Geschäfts im allgemeinen und über die kümmerliche Nachfrage nach Bildern im besonderen. Er sprach bitter, aber er sprach geläufig. Und dabei wusste er aus Matheis Maris herauszulocken, dass es sich um zwei Dutzend kleine Ölgemälde, und zwar Originale, handele. „Von wem?“ — „Von Matheis Maris.“
Diesen Namen wiederholte Herr van der Layen. Und als er ihn zum zweiten Male durch seinen Mund gezogen hatte, sah er aus wie ein Stück Seidenpapier in einer Wagentraje, wenn’s regnet. „Gott im Himmel, wer ist Matheis Maris?“ lachte Nikolaas van der Layen.
„Er ist mein bester, mein einziger Freund,“ sagte Matheis und begann kleinlaut zu erzählen, wie er eigentlich habe zu Alma СКАЧАТЬ