Der Heidekönig. Max Geißler
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Название: Der Heidekönig

Автор: Max Geißler

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788711467657

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СКАЧАТЬ spann sich die Geschichte aus dem Schaufenster in das Altwarenkabinett auf der Westerstrasse zu Amsterdam immer tiefer hinein und verleugnete von Anfang an nicht ihren epischen Charakter mit dramatischem Einschlage. Wobei die behagliche epische Breite das Übergewicht hatte.

      Ja, es war, als hätte dieser Herr Nikolaas van der Layen an jenem Tag überhaupt keine andere Aufgabe, als die Angelegenheit seines Besuches in die Länge zu ziehen. Daran änderte sich auch nichts, als eine Seite der mäandrischen Gasse in sanfte Bewegung geriet; denn diese Seite — aus einem Gewebe von unbestimmten Farben gebildet — wurde an einer Stelle plötzlich gerafft, und das scharfgeschnittene Gesicht eines bleichen jungen Mannes ward sichtbar. Ein Paar grosse dunkle Augen richteten sich auf Matheis Maris.

      „Haben Sie gehört, ter Meulen?“ fragte van der Layen.

      Die fieberigen Sterne des Sehens blieben unbeweglich stehen bei der Wand aus alter Seide. Nur der Mund, der aussah wie der eines alternden Komödianten, verzog sich verächtlich. Jedennoch — Nikolaas van der Layen betastete nervös den Rucksack des Maris und schickte sich an, bei der Herabnahme behilflich zu sein. Dabei sprach er in einem fort von der Unmöglichkeit, das Bild eines Unbekannten zu verkaufen — „und könnte dieser Unbekannte malen wie Rembrandt oder wie der liebe Gott!“

      Das Kapitel der Geschichte des Matheis Maris im Altwarenkabinett der Westerstrasse zu Amsterdam hatte um elf Uhr des Vormittags begonnen. Es dauerte bis gegen drei Uhr nachmitags. Es war demnach so lang wie zwei Romane, die ein geübter Leser in vier Stunden bequem zu Ende liest. Darum kann nur andeutungsweise berichtet werden, was in diesen vier Stunden geschah. Kein Käufer störte den Gang der Handlung. Nikolaas van der Layen entfernte von jedem Bilde die papierne Hülle, trat mit jedem in das Licht des Tages, das durch die Scheibe der Tür fiel, rückte zu jeder Betrachtung die Hornbrille mit den Rundgläsern mit genau der gleichen Bewegung und prüfte mit der Lupe. Unbemerkt von Matheis Maris schien er dem jungen Mann hinter dem Vorhang einen Wink gegeben zu haben; denn dieser trat plötzlich hervor, war sehr lang, nahm die Tafeln der Reihe nach aus der Hand van der Layens und betrachtete sie mit seinen tiefen heissen Augen. Manchmal warf van der Layen einen Blick auf ter Meulens Gesicht. Und fiel kein Wort. Es war, als hätte sich der Händler stummgeredet im Übereifer von vorhin. Van der Layen zählte die Tafeln. Es waren vierundzwanzig. Sie waren von Eichenholz und alle kleinen Formats. Er nahm sie unter den Arm, sah Matheis Maris an und sagte: „Kommen Sie.“ Dann schritt er vorauf in die mäandrische Gasse. Ter Meulen bildete den Beschluss.

      Matheis Maris hatte in seinen Büchern ein Bild von den Katakomben. Es war ihm, als leite man ihn zu einer unterirdischen Grabstätte. Bald nach rechts, bald nach links wendeten sie, bald in Finsternis und bald in den Schein eines schwimmenden Ampellichts, das kaum die Kraft hatte, einen Schatten zu werfen. Dann kamen sie ins Herz dieses Labyrinths. Das war ein freier Platz — in dessen Mitte ein kleiner Tisch mit einer brennenden Lampe. Davor standen zwei Lehnsessel mit Armrasten, aus Rohr geflochten. Nikolaas van der Layen setzte sich auf einen Bücherstapel und lud Matheis Maris mit einer Handbewegung ein, auf einem der Stühle sich niederzulassen. In den anderen sank ter Meulen.

      „Erzählen Sie, wie Sie zu diesen Bildern kommen,“ sagte van der Layen. „Wo lebt Ihr Freund? Hat er mehr? Wie alt ist er? Wer ist sein Lehrer gewesen? ...“ Er hatte seine Sprache wiederbekommen und schüttele einen ganzen Sack voll Fragen über Matheis Maris aus.

      Der hob den lange gesenkten Blick und sagte: „Matheis Maris bin ich.“

      Nikolaas van der Layen lupfte sein Mützlein. Es geschah nicht zur Ehrenbezeigung; sondern: diesen Ausdruck des Erstaunens liess sich der Kaufmann entwischen trotz seiner Verschlagenheit — er dachte: im vorliegenden Falle hätte es damit keine Gefahr. Dann wischte er sich mit der Hand aus gelbem Pergament über das Gesicht, als hingen Spinnweben darin, und sagte: „Haben Sie gehört, Lukas ter Meulen?“

      „Matheis Maris bin ich! Ich bin zugleich mein bester, mein einziger Freund.“ Er wollte nicht die Meinung in van der Layen aufkommen lassen, als habe er sich mit einer Lüge bei ihm eingeführt. Und nun erzählte er die Geschichte seines Lebens von den Tagen des Gärtners bis zur Austreibung aus dem Paradiese.

      Da zog van der Layen für einen Augenblick alle Vorhänge zurück von seinem siebenfach verhüllten Gesicht. „Könnten Sie sich so etwas ausdenken, Dichter Lukas ter Meulen?“

      Es begann der Handel. Van der Layen sagte, er wolle fünf Gulden für jedes Bild zahlen, und wenn es ihm gelänge, zu verkaufen, versprach er noch fünf vom Hundert des Erlöses. Ein Vertrag wurde unterzeichnet. Auf einem kümmerlichen Stück Papier. — Die Sache ging genau so schwunglos vor sich, wie sie hier aufgeschrieben ist.

      Zwar: das Herz des Matheis Maris sprang ungebärdig in dies ungewohnte Zaumzeug. Er aber — beim ersten Versuche gesattelt in der Welt der Menschen, hatte genugsam auf seine Beine zu passen und durfte einem Manne wie van der Layen den Weg wohl nicht weisen, nach dem es ihn gelüstete. Jedennoch, daran dachte er: von dem Paradiese der Moorheide war er siebentausend Meilen weit weg! Wie ein Duft seiner Sommergärten, die von der Seide des Himmels eingefriedigt gewesen, wehte es durch ihn dahin — wie ein verlorener Duft.

      Er hatte keine Zeit, diesem wehmütig lieben Grusse der anderen Zeit nachzuwittern. Sein Blut rauschte. Die Gedanken, die einst mit breiten Schwingen in ihm gelegen hatten wie Schmetterlinge in der Sonne — die Gedanken ratterten nun durch seinen Kopf wie Schnellzüge. Seine Schläfen peitschte ungeheueres, nie erträumtes Erleben.

      Nikolaas van der Layen zählte ihm einhundertzwanzig holländische Gulden auf den Tisch. — Heiliger Gott, was für eine Welt der Wunder, in der ein alter Mann das in Farben gedichtete Glück eines Moorjungen mit hundertzwanzig holländischen Gulden bezahlt! Wie der Zauberer aus dem Märchen stand van der Layen vor dem Fiebernden; denn er verstand die Kunst, Sold zu machen aus Eichenholz, Sepia, Ultramarin und Terpentinöl! Heiliger Gott!

      Auf einmal — da lief Matheis Maris wieder draussen in den Strassen herum. Nein, er fuhr; denn die Füsse, auf denen er an zwanzig Jahre sehr bedachtsam über das federnde Moor gewippt war — die Füsse hatten Rollen bekommen, und darauf ging es zwischen Wind, Lärm, Wagen, schlagenden Glocken und jagenden Menschen hindurch, und die Rollen unter seinen Sohlen taten, als wären sie die vereinigte Einrichtung aus Herz und Kopf des Matheis Maris, auf die es nun allein ankäme.

      Abends war er angetrieben in einem grossen Kaffeehause im Herzen der Stadt und trank Schokolade. Die Augen flimmerten ihm von den tausend Lichtern, die in ihm und ausser ihm herumstanden. Es erging ihm, wie den Spätergeborenen vor der weissen Leinwand der Kinematographentheater, als diese Erfindung noch in den Kinderschuhen steckte: ein Prasselwerk von Funken und verrückt gewordenen Lichtstreifen blitzte vorüber. Die ganze Welt hatte das Hasten. Arme stiessen sich in Tabakrauch, Stühle schaukelten auf den Hinterbeinen, Zeitungen in Hölzern wehten als Fahnen im Winde, schöne blanke funkelnde Frauen, oh, unerhört schöne blanke funkelnde Frauen blühten dazwischen ... Aber erwartungsvoll, erwartungsvoll waren die Augen des Matheis Maris auf die Kellner gerichtet, die in feierlich schwarzen Fräcken durch dies Gewühl von Stimmen, Rauch, Fahnen und Funkeln sich wandten mit Gläsern voll dampfendem Kaffee und Gefrorenem auf silbernen Tabletten, ohne die Last dieser blanken Bretter umzustülpen auf einen gefährlich gaukelnden Damenhut ... Ja, solch eine Sache musste sich wohl im nächsten Augenblick ereignen. Und die malte sich Matheis Maris in bewegtem Mitgefühl aus.

      So fing er an, die neue Welt von der Stelle aus zu durchdenken, bis zu der seine Urteilskraft einstweilen reichte; denn nur von den Kellnern wusste er, wozu sie da waren.

      Einmal schien es ihm, er sei der ruhende Pol in der Flucht der Erscheinungen. Da schnellte ein Zeitungsjunge vorbei und rief die Titel der Abendblätter. Auch der »Telegraaf« war dabei. Das war Pieter Bosbooms Weisheitsquell gewesen. Und weil ihn das so heimatlich anmutete, und weil er sah, dass sehr viele Männer sich ebenfalls eine Zeitung erstanden, fasste СКАЧАТЬ