Название: Der Heidekönig
Автор: Max Geißler
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788711467657
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Matheis Maris senkte seine bis zur körperlichen Pein gequälten Augen auf das bedruckte Papier. Jawohl — es stand geschrieben! Und es stand so geschrieben, dass nur ein bemitleidenswerter, nur ein ganz gottverlorener Dummkopf es wagen durfte zu behaupten: dazu fehle ihm der Glaube ...
Wenn nach fünftausend oder nach zehntausend Jahren jemand diese Geschichte liest — was wahrscheinlich ist — so wird er sich wundern, dass es schon in den grauen Zeiten, in denen der Niederländer Matheis Maris malte, das Schauspiel gegeben hat und dass vor fünftausend oder zehntausend Jahren die Menschen genau so davor zusammengelaufen sind und dass es immer und ewig etwa einen einzigen unter ihnen gibt, der mitten im Stück auflehnerisch hinausrennt ... In diesem einen liegen Ewigkeitswerte robust zutage. — Und es ist vielleicht noch einer unter den Vielzuvielen, der schleicht sich hinaus mit kümmerlichem Weh, verbirgt sich unter die Büsche der Heimaterde, ein wundgeschossenes Wild, und weint das Gebet der Grösse vor sich hin — jawohl, der Kraft und der Grösse: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen! — Also.
Eine Woche lang lief Matheis Maris draussen umher in Einsamkeit und ass Wurzeln. Er schlief unter den Sommerbüschen, wo die Heidebäche rinnen und die grauen Seen sind.
Wenn es einmal recht himmeleinsam um ihn war, ein Schmetterling auf breiten Schwingen vorüberstrich und weithin kaum etwas anderes lebendig zu sein schien als das Flämmern der Luft, dann hörte er auch wohl wieder den Ruf: »Matheis Maris, wo bist du?« ... Fern her klang das, wie aus den anderen Tagen. Und genau wie es von dem ersten Menschen berichtet wird, hätte er antworten können: „Ich schämte mich, darum versteckte ich mich.“ — Alles wiederholt sich in der Welt. Nur die Namen wechseln.
In dieser Zeit geriet er wieder einmal in Nikolaas van der Layens Katakomben in der Westerstrasse.
Er war angetan wie einer, der sich gerüstet hat zu weiter Wegfahrt und sah just aus wie an jenem Tage, an dem er zuerst über die schmale Stiege geschritten war. Dennoch erkannte der Händler die Wandlung, die mit Matheis Maris geschehen war, auf den ersten Blick — was natürlich auch daher kam, dass er über den Kampf, der Maris innerlich zerriss, lange Unterredungen mit ter Meulen gehabt hatte.
Und dennoch — van der Layen schupfte in mitleidloser Härte die Schultern! Er redete von dem Verlust an Geld und von dem bösen Streiche, den ihm seine Gutherzigkeit gespielt habe, als er dem jungen Menschen Bilder abgekauft, um die sich niemand kümmerte. Er habe die Tafeln, die er damals in Rahmen gefügt, längst abgehängt und irgendwo da hinten in einen Winkel geworfen ...
Nach allem, was der Alte daherredete, brachte Maris in seiner Zerknirschtheit den Mut zu der Frage gar nicht auf, ob er etwa einige Gulden zugute hätte bei van der Layen. Vielmehr legte ihm der Mann nahe, es sei wohl angezeigt, dass er von dem armen Jungen so weit als möglich schadlos gehalten würde.
Dem Matheis Maris schrumpfte das Herz ein. Es war der einzige leidlich fröhliche Gedanke gewesen in diesen Tagen, ein paar Gulden mit heimzubringen, damit das Gleichnis vom verlorenen Sohne nicht in allen Stücken auf ihn zuträfe. Nun löschte auch dieser Schimmer einer furchtsamen Hoffnung in ihm aus. Und wiederum schämte er sich — diesmal: seine Armut zu gestehen. Und so sagte er, ein paar Gulden könnte er wohl noch losmachen, wenn auch seine Geldtasche nicht mehr weit reiche ... Schlimmsten Falles konnte er ja den Weg nach Hause über die Heiden suchen, die gegen Süden lagen.
So brachte es der Alte fertig, ihm die paar übrigen Gulden abzunehmen. Dann fiel ihm ein, die Bilder — ja, die Bilder wollte er doch lieber behalten! Natürlich sollte Maris darin eine wohlerwogene Fürsorge erkennen, da es wahrscheinlich die letzte Möglichkeit sei, ein bescheidenes Geld daraus zu lösen. Draussen im Moor, wo der Has und der Fuchs zueinander gute Nacht sagten, würde ja erst recht niemand daran denken, derlei Dinge zu kaufen.
Der unerfahrene junge Mensch, der zuvor die bitteren Klagen des Händlers vernommen, war zwar von dieser Wendung überrascht. Er war aber so zerrieben, so stumpf und so des Kampfes müde, dass er die Verfänglichkeit dieses Vorschlages gar nicht durchdachte. Er nickte also sein Einverständnis und ging davon mit zwei kümmerlichen Gulden in der Tasche, die ihm van der Layen gelassen hatte. — An den Vertrag, den er einst mit ihm geschlossen, hatte der Alte mit keinem Worte gerührt.
An diesem Tage lief Maris in der Richtung gegen seine Heimat gradaus über die Ebene. Hinter sich treten wollte er den Wahnwitz und die Vermessenheit der vorigen Wochen. Er meinte: es sei nun doch so, wie die Leute aus dem Dorfe gesagt hatten: dieser Matheis Maris scheue sich vor einer gerechten Arbeit, und aus reiner Faulheit habe er den Beruf des Malers in sich entdeckt. Das Paradies aber habe er erfunden, alle zu übertreffen, die vor ihm der Tagedieberei obgelegen ... Und nun wollte er — der verlorene Sohn — heimkehren und bei Pieter Bosboom um einen kärglichen Taglohn frönen — auf der gleichen Scholle, auf der er als Herr hätte walten können, wenn er nicht zu ordentlicher Hantierung unbrauchbar gewesen wäre.
Seine Gedanken liefen um ihn herum wie der flimmerige Doppelring eines Karussells. Und weil er selber der Mast in der Mitte des dudelnden Drehspieles war, raste dieses um ihn herum. Die Ähnlichkeit mit dem Ding aus geschnitzten Pferden, steifen Kutschen und kunstlosen Tieren aller Art war peinigend in der hölzernen Erstarrung, quälend in der Wiederholung der Bilder. — So zermahlte er sich das Hirn über dem Ziele der neuen Kunst, »den Sinn des Lebens gestaltend zu erfassen.«
Binnen einer Woche war seine Haut wie Leder geworden, sein Gesicht verfallen. Und nun wippte sein langer Leib über die Ebene dahin. Ohne Rast wollte er laufen, laufen bis ins Paradies, dem er leichtsinnig den Rücken gekehrt hatte. Weil er nicht zureichte für die Welt, in die er sich gewagt hatte, lief er ihr davon. Weil Weisheit, Wille, Können, Trieb, Kraft und Grösse in dieser Welt waren in Ausmassen, die er nicht hatte ahnen können. Weil er ein Stümper war und beinebst ein Träumer aus einem kleinen selbstgezimmerten Heidehimmelreich. Oh! Alles das Seine trug er auf dieser Wanderung mit sich: ein zertrümmertes Herz und ein verkümmertes Hirn.
Drei Kilometer hinter Mittag gelangte er — da stand das Karussell still. Er kroch unter eine Kussel Heideföhren, legte sich auf den weichen warmen Sand und sank in einen Schlaf, tief wie sein Jammer.
Um Mitternacht erwachte er. Er wusste aber nicht, dass es das Herz der Nacht sei, an das er sich hinangeschlafen hatte. Die Lider seiner Augen fühlte er offen und sah doch nicht. Die Föhrenzweigs hingen so dicht über ihm, dass sie ihn berührten. Da dachte er, er sei gestorben und die Menschen hätten Blumen und Zweige über ihn gebreitet, der ein Fremdling unter ihnen gewesen war.
Eine Weile tasteten sich seine Gedanken dahin in der Finsternis um ihn und in ihm. Endlich drehte er sich in seinem Grabe herum und versuchte zu kriechen und gelangte auf Knien und Händen in die dunkelblaue Stille. Nun hingen die Sterne über ihm, und rings um ihn standen die Schattenrisse der Heidekräuter und waren noch dunkler als die dunkelblaue Nacht. „Matheis Maris,“ sagte er, „ja, so steht das um dich, und dies Geschehnis ist das Sinnbild deines Lebens: du vermagst nicht zu deuten, wohin du geraten bist, und was du erkennst, ist Finsternis.“
Aber der Wunderlichkeiten dieser Nacht war kein Ende; denn auf einmal — auf einmal kroch dem verlorenen Jungmann etwas am Rücken empor und kroch ihm ins Herz. Nun — weder eine Spinne noch eine Schlange kann solch ein Kunststück vollbringen. Zugleich spannte sich ihm etwas über die Haut — Maris musste dabei an ein Moorwasser denken, über dessen Spiegel der Frost die Spiesse des Eises schiesst ...
Es würde solcher Bilder und Vergleiche gar nicht bedürfen, wenn dem Matheis Maris sogleich der einfach nüchterne СКАЧАТЬ