Der Heidekönig. Max Geißler
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Название: Der Heidekönig

Автор: Max Geißler

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9788711467657

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СКАЧАТЬ erkannte das. Er sagte es ihm noch einmal und fand zu seiner Erklärung schlichte, volle Worte — bis der erlöste Atemzug des Maris ihm verkündete: es ist vollbracht.

      Ter Meulen erläuterte weiter in überweltlicher Geduld: „Krank — krank insgesamt ist die Menschheit, mein Freund! Aber das euphoristische Wunder des erhöhten Lebensgefühls wartet nur auf ein paar Auserwählte, die der Himmel mit dem Vorschmack der Seligkeit begnaden möchte in ihrem Sterben, als Vergeltung für ausgestandene Schmerzen: Siehe, du Armseligster, so süss ist Leben!“

      Lukas ter Meulen legte seine Hände auf die Hände des Maris: „Ihr aber, ihr Künstler, ihr wahrhaften Künstler, ihr schwimmt in diesem geheimnisvollen Strom erhöhten Lebensgefühls! Ihr, die einzigen, die den Goldbecher des Daseins leeren; denn für euch nur gilt das: Er schuf den Menschen ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn. Wir andern — oh, wir sind ihm halbfertig aus seinen Schöpferhänden gefallen!“

      Es sassen nur noch wenige Gäste an einzelnen Tischen in dem grossen Raum umher. Die Kellner lehnten übermüdet in den Winkeln oder stahlen sich hinter Säulen ein Auge voll Schlaf. Die Uhr an dem Rundbogen über der Schankstätte zeigte ein Viertel vor drei. Da stellten die Zeiger das feine Sinnbild der mütterlich gebreiteten Arme. „Gehen wir,“ sagte ter Meulen. „Ich habe mein Leben verpasst — diese stumme Mahnung der Spätnacht verpass ich nie. Sehen wir.“

      Die Schlafstelle des Mannes, dessen Ruhm der Amsterdamer »Telegraaf« vor ein paar Stunden über die Welt gerufen hatte, enthielt ein Bett und daneben einen Gang. Über beiden war eine Decke, die war so gefährlich niedrig und schief, dass es Matheis Maris nicht einmal im Traum einfallen durfte, in seinem Bette sich aufzurichten. Jedennoch — das ungeheuere Erleben dieses Tages tastete sich hinter ihm hinein in die Finsternis der kleinen Kammer und redete auf ihn ein mit der verhaltenen Stimme des Lukas ter Meulen, und auch mit der bezwingenden Kraft: „Matheis Maris, du wolltest gestern und du willst morgen heimreisen? In deine Moorhütte willst du dich wieder verkriechen? Hinter den blauen Vorhängen des Himmels willst du dich wieder verstecken? Narr, Narr, du hast Mühe, die Sprache eines gebildeten Mannes zu verstehen, hast nicht die Kraft des Geistes, den Sinn dieser Sprache auszudenken, und willst in Dummheit verstocken?“

      Der Tag schien schon hell durch das handgrosse Stück Glas, das als Fenster unter die Ziegel über dem Bettgang geklemmt war. Da lag Matheis Maris auf seinem Lager, die Hemdbrust geöffnet, die Hand auf dem wildschlagenden Herzen. „Hab’ ich nicht aus dem Paradiese schauen können bis ins Herz Gottes? Es ist keine Stunde gewesen in dieser letzten Woche, keine Stunde mit jenem seligen Weitblick! Sie sagen nun: ich sei ein Maler. Bin ich es nicht geworden aus der Eingebung Gottes, aus dem beseelten Erfassen der Einsamkeit, die man dort atmen hörte?“

      Am anderen Morgen ging er in die Stadt mit dem Rucksack und dem derben Gehstock. Er stapfte dahin in seinen plumpen Schuhen und bäuerlichen Büxen, die aussahen wie zwei auf die Spitzen gestellte Zuckerhüte. Es lief ein staubiger Wind zwischen den Häuserzeilen, unfroh und übernächtig wie ein Strassenkehrer.

      Unfroh und übernächtig war Matheis Maris. Er blieb vor vielen Türen stehen, an denen angeschlagen war, dass in diesem Haus ein Zimmer zu vermieten sei. Aber die Sehnsucht nach Licht, die Sehnsucht nach einem »Blick ins Herz Gottes« bedrängte ihn. Da lief er hinaus an die Säume der grossen Stadt.

      Nach einem halben Jahre. — Es erzählt sich das über die Massen leicht hin: Matheis Maris war nun Bürger in dieser neuen Welt geworden. In Wirklichkeit hatte er sich mit Gott und dem Dasein, am grimmigsten aber mit sich selbst herumgeschlagen ohn’ Unterlass. Er war zwölfmal umgezogen — was sich daraus erklärt, dass er in jener Nacht im Kaffeehaus mit Lukas ter Meulen keine Ahnung von einem Atelier hatte. Seine Werkstatt war von Anfang an die blaue Kuppel des Himmels gewesen und sein Teppich die rote Blüte der Moorheide. In der grossen Stadt aber lebten sie in dem Wahne, der Mensch müsse sich einmauern — das gehöre durchaus zum Glück. Hier lebten sie in der närrischen Meinung, das Gemisch der Luft, das von tausend durstigen Winkeln, Erkern und russschweren Dächern aufgetrunken wurde, wäre Licht! Nun ja, die Augen dieser Menschen brauchten keine Offenbarungen’ aus dem Herzen Gottes! Ihren stumpfen Sinnen entsprachen die Dämmerungen ihres Daseins. Und für ihre Gepflogenheiten hatten sie sich ein Licht erfunden. Matheis Maris der Philosoph erkannte: diese Erfindung und diese Gepflogenheiten — auch sie entstammten der Sehnsucht nach dem geheimnisvollen Zustand erhöhten Lebensgefühls! ... Es lagen allerhand Lockungen in solcher Art Dasein — auch für ihn, der das Dasein jener vorübersausen sah wie einen Luxuszug.

      Er wohnte nun ganz draussen vor der Stadt. Wo die Bauernwäglein heimatlich vorüberrollten, wenn sie zu Markte fuhren. Wo er die stillen Wasser nahe hatte, die hervorträumten unter dem fernen Rande des Himmels. Wo sich die blühende Heide in Büscheln auf schmale Wege wagte — Sträusslein, die der Sommer von weither geworfen hatte, dass man auch hier ihn ahnen sollte. — Dort wohnte Mattheis Maris.

      Auf ein Atelier hatte er nun doch verzichtet. Aber die Erlebnisse, die zu diesem Verzichte führten, waren Krieg zweier Welten. Der brach herauf in der Zeit, in der Matheis Maris sein Bauernjungentum verfluchte, sein Paradies — diesen holdseligsten Einfall unter den Sternen! — verfluchte das ganze verlorene Dasein von einst. — Ja, so war das mit ihm. —

      Da warf er sich in den Nächten auf seinem Bette herum und presste den Pfühl gegen sein Angesicht, um das Gebet der Einsamkeit und Grösse zu ersticken, das die Verzweiflung aus ihm herausheulte: »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!«

      Er hatte Bilder von Malern einer neuen Schule gesehen, einer neuen Schule, die grosse Säle für die verrückten Blüten ihrer Jugend brauchte. Die Zeitungen, die in allen Jahren auf die gleiche Weise sündigen, riefen den Ruhm dieser kommenden Männer, als seien sie die Entdecker eines Unerhörten, und als habe es nie die grossen Niederländer gegeben, die Ewigkeit aus ihren Pinseln malten.

      Den Odem aus der Brust lief sich Matheis Maris. Und kam in die Ausstellung. Und dachte: „Gott, welch ein Kitsch!“ Aber weil die Zeitungen alle sündigten im gleichen Tone der Überzeugung, so unterwarf sich der biedere Jan van Moor und sagte: „Das also ist es!“ Und eiferte um das Wunder dieses neuen malerischen Sehens und um die neue Technik, die dem Beschauer zumutete — nicht etwa ein Bild, nicht etwa einen Form und Farbe gewordenen Gedanken Gottes, sondern die ihm zumutete, aus Klecksen und einer bestimmten Entfernung zu der Überzeugung zu kommen, das sei nun das in Wahrheit, was der gedruckte Katalog unter der betreffenden Nummer verzeichnete. Zum Beispiel eine Hafenszene aus Amsterdam. Matheis Maris hatte gedacht: es sei das die Schürung des höllischen Feuers durch sieben Teufel ... Oh!

      Es bohrte sich in das Gehirn des Matheis Maris, zerbohrte es von allen Seiten; denn er stand natürlich mit den gedruckten Weisheiten der Zeitungen vor den neuen Bildern und las: es sei darin der Bund der Kunst mit der Philosophie geschlossen; er las: da die optische und chemische Wissenschaft mit dem photographischen Apparate die empirische Wirklichkeit restlos wiederzugeben vermöge, habe sich die Kunst in ihr ureigenstes Reich zurückgezogen und verfluche das geniessende Auge und die hinkende Weisheit der Ästheten ... Jawohl, wörtlich so.

      Dem Matheis Maris aber lief ein Lachen des Hohns durch die Seele. Freilich: es wurde ein Lachen der Verzweiflung daraus; denn die neue Kunst hatte gefunden, dass die »Gestaltung der einigenden Urwesenheit der Dinge« ihre Aufgabe sei, und dass sich darin der Gegensatz von diesseits und jenseits verliere. Halt! Wurde da nicht aus Erde Himmel gemacht? Und hatte Matheis Maris nicht in dem nichtswürdigen Wahne gelebt, durch sein Schauen ins Herz Gottes diesen Gegensatz ebenfalls auszugleichen? — Es stand geschrieben: Die neue Kunst wolle den Sinn des Lebens gestaltend erfassen ... Matheis Maris versuchte nur den Sinn dieses Worts zu erfassen — aber schon das ging nicht. Er verstand nicht, wie da einer, um diesen Sinn des Lebens gestaltend zu erfassen, »die Macht der Nacht« darstellen konnte als ein paar hundert Keile von Lichtern, die er gegen ebensoviel Keile von Finsternis anprasseln liess. Es sah aus, als sei am Himmel ein Stern geborsten, der gar kein richtiger СКАЧАТЬ