Tanausú. Harald Braem
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Название: Tanausú

Автор: Harald Braem

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Historische Romane und Erzählungen

isbn: 9788494150166

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      «Uuuiiii», heulte der Stamm auf, zugleich setzten erneut die Trommeln ein. Einen wilden Wirbel spielten sie, peitschten das Blut in den Adern. Jetzt sprang der Feycan in den Kreis. Der Richter war nicht wiederzuerkennen, kaum wie eine menschliche Gestalt sah er aus. Sein Körper war über und über mit Tierfellen behängt, über dem Kopf trug er eine lederne Haube, die mit gebleichten Tierschädeln und Federn besteckt war. Seine Füße stampften die Erde, sein Oberkörper war eingeknickt, und während sein Tanz ausgedehnte Spiralen um das Feuer zog, immer wieder von zuckenden Sprüngen und seitlichen Ausfällen unterbrochen, heulte und schrie er mit der Stimme eines wilden Hundes. Der Geist des Guayote war über ihn gekommen und hatte von seinem Körper Besitz genommen.

      Gebannt starrte Bencomo auf den Geistertanz des Mannes. Der Feycan war nun kein Wesen von dieser Welt mehr, er befand sich in einem Zustand weitab vom gewohnten Leben der Menschen. Immer ekstatischer wurden seine Tanzschritte und Sprünge. Er stürzte zu Boden und wühlte mit den Händen die Erde auf, er sprang in die Luft und schien einige Augenblicke über dem Boden zu schweben. Er tanzte auf das Feuer zu und sprang durch die Flammen. Er spürte keinen Schmerz mehr und besaß plötzlich die Kraft von hundert Männern. Schrill und unheimlich war seine Stimme, seine Kehle formte Laute, die voller Schrecken und Schauer waren.

      Ängstlich kauerten sich die Kinder zusammen und bargen die Köpfe zwischen den Armen. Die Erwachsenen aber, alle Frauen und Männer und auch Mazo, der voller Angst war, aber den Blick nicht abwenden konnte, sahen den Tanz des Guayote.

      Stundenlang tanzte der Feycan, dann brach er zusammen und wurde von Kriegern aus dem Feuerkreis getragen. Die Heilfrau und ihre Helferinnen bemühten sich um ihn und brachten den völlig Erschöpften endlich wieder zu Sinnen.

      Die ganze Nacht über tönte der Gesang, dröhnten die Stimmen, rief das Muschelhorn, um mit vielfachem Echo von den Bergen Antwort zu erhalten. Bencomo blieb im Tagoror und wachte mit den anderen Kriegern darüber, dass das Feuer nicht ausging. Auch er schlief schließlich vor Müdigkeit ein, erwachte aber bald wieder, als die Morgendämmerung kam.

      Inzwischen war die Menge um den Tagoror um ein Vielfaches angewachsen. Die Stämme aus dem Norden, dem Westen und dem Kraterkessel waren eingetroffen, und noch immer kamen neue Gruppen an. Es hieß, alle Menschen der Insel seien auf den Beinen, wären aufgebrochen, um dem toten König die letzte Ehre zu erweisen. Überall auf den Bergen klangen die Muschelhörner und riefen die Stämme zusammen. Seit langer Zeit hatte das Dorf Tixarafe nicht mehr solche Menschenmassen gesehen.

      Unter den Neuankömmlingen erkannte Bencomo auch Ica. Sie befand sich im Kreis ihrer Familie. Die Leute vom Aridane-Tal hatten ihr eigenes Feuer entfacht, und umringt von seinen Kriegern thronte Häuptling Mayantigo auf einem erhöhten Steinsitz. Wie die Männer aus Tixarafe und Hiscaguan waren auch sie mit weißer Trauerfarbe bemalt. Wer noch nicht Zeit dazu gefunden hatte, wurde mit Schminkpaste versorgt. An diesem Tag sollte die Sonne in kein Gesicht blicken, das nackt und ohne Zeichen der Trauer war.

      Bencomo wagte nicht, sich den Leuten von Aridane zu nähern, nur Ica behielt er im Auge. Er konnte den Blick nicht von ihr abwenden. Es schien, als bemerke sie das und sah mehr als einmal verstohlen in seine Richtung.

      Mazo war herangetreten und legte dem älteren Bruder die Hand auf die Schulter. «Ich habe Hunger», sagte er.

      «Dann musst du ihn überwinden», antwortete Bencomo. «Du solltest dich damit abfinden, dass es nun mehrere Tage nichts mehr zu essen gibt. Wir werden fasten, so schreibt es die Sitte vor.»

      Mazo verzog das Gesicht, widersprach aber nicht.

      «Wo ist eigentlich der tote König?» fragte er.

      «Da oben», sagte Adargoma und deutete mit der Hand auf einen Felshang oberhalb des Dorfes. «Wenn alle eingetroffen sind, morgen wahrscheinlich, ziehen wir zu ihm hinauf.»

      Der Tag verging damit, dass ununterbrochen neue Besucher ankamen, sogar von Tigalate und vom Teneguía, ganz weit im Süden der Insel. Nach und nach trafen die Häuptlinge der zwölf Stämme ein. Bencomo sah sie alle aus nächster Nähe. Sie saßen mit ihren Beratern und Feycans im Tagoror, der jetzt von den Leuten des Dorfes geräumt war. Viele weitere Feuer wurden am Abend entzündet, der ganze Hang von Tixarafe war von ihrem Lichtschein erhellt. Als die Nacht anbrach, wurden erneut die Gesänge angestimmt. Aus vielen tausend Kehlen tönten die Lieder, ein monotoner Gesang, und die Trommeln schrieben den Rhythmus vor. Die Feycans tanzten dazu, überboten sich gegenseitig. Doch keiner reichte an die Ekstase der Darbietung der vergangenen Nacht heran, als der leibhaftige Guayote den Menschen von Tixarafe erschienen war.

      Am Morgen des zweiten Tages wurde es nicht richtig hell. Dicke, regenschwere Quellwolken hingen am Himmel, nur spärlich blakte das Licht der Sonne hindurch. Bencomo fröstelte. Es war frisch in der Morgenkühle, taubedeckt war das Gras. Als er zu den bewaldeten Bergen blickte, die den äußeren Rand des großen Kraters umkränzten, sah er dort einen riesigen Schwarm Krähen schweben. Es schien, als würden auch sie sich versammeln, wie die Menschen. Waren das Seelenvögel, hatten die Geister der Ahnen Gestalt angenommen, um als Krähen die Zeremonien der Lebenden zu überwachen?

      Als die Leute zur Felsplattform aufbrachen, auf der der Leichnam Madangos aufgebahrt lag, reihten sich Bencomo und Mazo in den Zug ein. An der Spitze ging Tamogante, begleitet von den Seherinnen und Harimaguadas der anderen Stämme. Es folgten die Feycans und die alten, ehrwürdigen Krieger, dann erst die jungen und das übrige Volk. Die Häuptlinge schritten nicht mit im Zug. Am vergangenen Abend waren sie vorausgestiegen, um die Nacht über bei ihrem toten Hochkönig Wache zu halten. Als die Menge auf der Plattform eintraf, hockten sie dort im Kreis. In ihrer Mitte war aus Kiefernstämmen und dem Holz von Drachenbäumen eine Art Thron errichtet, auf dem Madangos Körper ausgestreckt lag. Jeder der Ankömmlinge trat in den Kreis und berührte ihn. Stundenlang dauerte die Prozession, bis auch der letzte Guanche Abschied von Madango, dem großen, weisen König, genommen hatte. Als Bencomo an der Reihe war und vortrat, um den Holzstoß zu berühren, sah er, dass die Haut des Toten mit roter Farbe aufgefrischt war. Das war zu Pulver zermahlener Blutstein, wie er an manchen Stellen der Insel vorkam. Das Blut der Erde, das Blut der Erdmutter oder kurz Taras Blut nannten die Alten diesen Stoff. Er war heilig und durfte nur zu bestimmten Anlässen verwendet werden. Die Häuptlinge selbst hatten ihn im Mörser gestampft, in der Steinmühle zermahlen und das bleiche Gesicht ihres verstorbenen Herrschers damit geschminkt. In der geschlossenen rechten Hand hielt Madango einen Bumerang, der magische Bedeutung besaß, in der linken eine tönerne Tarafigur, von der nur noch der längliche Hals mit dem kleinen Kopf zu sehen war.

      Bencomo sah den Leichnam fest an, kniff die Augen zusammen. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte er, dass sich der steife Körper etwas bewegt hatte. Und eine Vision überkam ihn: Ich nehme Abschied von einem bedeutenden Herrscher. Mit ihm geht eine Zeit unaufhaltsam zu Ende und wird niemals wiederkehren. Wie ruhig er daliegt – so ruhig, wie er regiert hat. Nach ihm wird alles verändert sein, aufgeregt und in Bewegung …

      Die Vision verblasste, Bencomo trat einen Schritt beiseite, um dem ihm Nachfolgenden Platz zu machen.

      «Was geschieht jetzt weiter?» flüsterte Mazo fragend.

      «Keine Ahnung», antwortete Bencomo. «Wenn ich es wüsste, wäre ich nicht ich, sondern so weise und hellsichtig wie Tamogante …»

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      Die Gedanken der alten Heilfrau waren nicht frei von Sorgen. Für sie und ihre Helferinnen brach eine anstrengende Zeit an. Zunächst musste der Leichnam des toten Königs zum Höhlenkloster in die Berge geschafft werden. Dafür waren vier Krieger als Träger zuständig, aber sie durften nur bis zum Vorplatz der Höhlen gehen. Das Kloster dahinter mit seinen labyrinthartigen Gängen und Kammern, die wie jBienenwaben СКАЧАТЬ