Tanausú. Harald Braem
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Название: Tanausú

Автор: Harald Braem

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Historische Romane und Erzählungen

isbn: 9788494150166

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СКАЧАТЬ Dreißig Tage dauerte diese Arbeit, erst dann konnte die Mumie des Königs zur Grabkammer gebracht werden.

      Aber dies war nicht Tamogantes einzige Aufgabe. Die Insel durfte keinesfalls dreißig Tage lang ohne Herrscher bleiben. Wie leicht hätte in dieser Zeit ein Konflikt zwischen den zwölf Stämmen ausbrechen können. Jeder der Häuptlinge strebte nach Anerkennung, es musste also möglichst schnell eine Entscheidung fallen und ein neuer Hochkönig gewählt werden. Zwar kürten ihn die Häuptlinge, sie mussten den besten und mutigsten aus ihren Reihen finden, um ihn auf den Thron von Benahoare zu setzen. Aber die weise Medizinfrau wusste genau, dass diese Wahl nicht problemlos vonstatten gehen würde, zu viel Ehre und Ansehen standen auf dem Spiel. Und so fiel ihr eine Schlüsselrolle zu. Sie hatte auf die Zeichen zu achten, auf eine Vision, ein Gesicht, wodurch die Götter ihre Entscheidung kundtun würden.

      Da war Madangos Nachfolge als Häuptling von Hiscaguan und Tixarafe schon leichter. Tamogante lebte schon lange im Gebiet dieses Stammes, sie kannte die Krieger genau und konnte fast ihre Gedanken lesen. Sie würden sich für Atogmatoma entscheiden, der sich durch Klugheit, Besonnenheit und ein natürliches Talent für Diplomatie auszeichnete. Ja, Atogmatoma würde eine gute Wahl sein, da war sie sich sicher.

      Aber schwierig war es, einen Hochkönig zu finden, der mit der Sympathie aller Stämme rechnen konnte. Mindestens drei der Häuptlinge waren über die Grenzen ihres Stammesgebietes hinaus bekannt und berühmt: der alte, listige Mayantigo aus dem Aridane-Tal, Ayucuahe, der am Vulkan Teneguía lebte, wo sich eine wundersame Heilquelle befand, und Tanausú vom Kessel des großen Kraters. Tanausú war noch jung und galt als überaus mutig. Von allen Ringkämpfern der Insel war er der erfolgreichste, sein Wort galt, er hielt zuverlässig alle Vereinbarungen ein – und was das wichtigste war: In seinem Gebiet lag der Idafe, der Heilige Berg, der als Weltensäule galt und mit seiner Spitze den Himmel stützte. Tanausú hatte sich letzthin viel Anerkennung bei der Eindämmung eines verheerenden Waldbrandes erworben, der vor zwei Jahren am Kraterrand gewütet und sich auf die Gebiete anderer Stämme auszuweiten gedroht hatte. Was gegen ihn sprach, war die Neigung, leicht in Zorn zu geraten und in seiner Wut manchmal keine Grenzen zu kennen. Viele fürchteten Tanausú deshalb. Konnte man einen solchen Mann zum Hochkönig der Insel machen? Tamogante grübelte lange hin und her. Sie gab den Mädchen ihre Anweisungen, kontrollierte sorgfältig alle Arbeitsgänge der Mumifizierung, aber ihr Geist fand keine Ruhe, kam stets wieder auf die anstehende Wahl zurück. Vielleicht waren die drei, Mayantigo, Ayucuahe und Tanausú auch zu ähnlich in ihrer Art, sich in vielem zu ebenbürtig, vielleicht musste ein ganz anderer, ein neuer Mann an diese Aufgabe herangeführt werden. Warum eigentlich nicht Atogmatoma? Gegen ihn sprach eigentlich nur, dass er wie sein Vorgänger aus Tixarafe stammte, was eine eindeutige Bevorzugung dieses Gebietes darstellte und die übrigen Stämme brüskieren konnte.

      Es muss eine Lösung geben, dachte Tamogante, ich benötige unbedingt eine Vision, ein klares Zeichen, das meine Zweifel zerstreut …

      «Ich habe den Bimsstein zerrieben.» Eine der Harimaguadas stand vor der Medizinfrau und hielt ihr eine Tonschale mit feinem, grauem Staub hin.

      «Gut», sagte Tamogante, aus ihren Überlegungen erwachend. Sie saß auf der sonnenbeschienenen Plattform vor den Höhlen und merkte erst jetzt, dass die jungen Mädchen sie umringten. Schön sahen sie aus in ihren hellen Gewändern, wie Blumen der Berge.

      «Habt ihr den Leichnam in der vorgeschriebenen Art gewaschen?»

      «Ja, wie du es gesagt hast: zweimal am Tag, besonders die empfindlichen Teile, die Stelle zwischen den Fingern, die Achselhöhlen, hinter den Ohren, die Nasenlöcher, Hals und Handgelenke.»

      Tamogante hatte am Tag, nachdem der tote König hierher gebracht wurde, eigenhändig mitgeholfen, die Leiche auf flachen Steinen auszustrecken und die Eingeweide zu entnehmen. Jedes Mal nach der Waschung wurde der Körper mit Ziegenbutter eingerieben und mit dem Harz des Drachenbaums, das zunächst farblos war, wenn es aus dem angeritzten Stamm trat, aber in der Luft zu einer klebrigen Masse trocknete. Blutrot wurde es, das Blut des Dragos, das unverwundbar machte und eine geheimnisvolle Kraft besaß.

      «Dann bringt jetzt das Pulver aus Kiefernholz und Heidekraut und mischt es mit dem Bimsstein», sagte Tamogante. «Sind die Ziegenfelle bereitgelegt?»

      «Ja», antworteten die Mädchen und beeilten sich, das Gewünschte herbeizuschaffen.

      Jetzt musste in den präparierten Leichnam das Pulver eingefüllt werden. Nur so gelang es, den Prozess der Verwesung aufzuhalten. Später würden sie ihn in die Ziegenhäute wickeln und die Felle mit dem Harz des Drachenbaums verkleben. Schicht um Schicht musste das gemacht werden, fünfzehn Mal, bis die Mumie ihre neue Haut besaß und die Reise ins Schattenreich antreten konnte. Danach, am dreißigsten Tag, würde sie zur Grabkammer gebracht, wo die anderen Ahnen des Stammes ruhten. Dort, auf ein Drachenholzbrett gebunden, mit dem Kopf nach Norden, den Füßen nach Süden, würde der tote König ruhen, bis die Zeit anbrach, in der die Ahnen zu neuem Leben erwachen und zum Stamm zurückkehren würden. Aber das konnte noch lange dauern, viele hundert Jahre oder mehr, vielleicht bis zu jenem Zeitpunkt, den die Mythen den ältesten und zugleich auch den jüngsten Tag nannten.

      Viel hatte Tamogante von ihren Vorgängerinnen im Amt gelernt und an die Mädchen weitergegeben. Die meisten von ihnen blieben nur zwei, drei Sommer lang bei ihr in der Lehre und gingen dann in ihre Dörfer zurück, um als Medizinfrauen zu wirken. Oder sie heirateten tüchtige Krieger und brachten ihr Wissen als nicht hoch genug einzuschätzende Mitgift in die Ehe ein.

      Aber es gab auch Harimaguadas, die länger im Bergkloster blieben, manche für immer. Wie Agora, die gute Seele. Sie war nicht mehr die jüngste und besaß das zweite Gesicht: Sie konnte die Gedanken anderer Menschen lesen. In Tamogantes Abwesenheit leitete sie das Kloster, eines Tages würde sie ihre Nachfolgerin werden.

      Die alte Medizinfrau saß in der Abendsonne und lächelte still vor sich hin. Sie dachte an die vielen Jahre, die sie hier oben in der Bergeinsamkeit verbracht hatte, an die guten und auch an die schlechten Zeiten, wo es Vulkanausbrüche, Brände oder strenge Winter mit Schnee gegeben hatte, in denen die Vorräte knapp wurden und der Hunger ein ständiger Begleiter war. Als junges Mädchen war sie ins Kloster gekommen, um in die Geheimnisse des Heilens, des Orakelbefragens und Hellsehens und die Kunst des Mumifizierens eingeweiht zu werden. Den größten Teil ihres Lebens hatte sie damit verbracht, die Natur zu beobachten und darauf zu warten, dass Abona entstand. Wenn das Wirken von Tara, dem weiblichen Prinzip, und von Orahan, der männlichen Kraft, zusammentreffen, dann entsteht daraus etwas Neues, dann wird Abona, das Leben, geboren. Überall war die Anwesenheit von Tara, der großen Erdmutter, zu sehen, in jedem Stein, jeder Pflanze, jedem Tier und auch im Menschen. Orahans männliche Kraft dagegen war unsichtbar, nur zu spüren, durchwehte den Himmel, lebte im Wind, trieb das Wasser von der Quelle zu Tal und ins Meer. Wirkten beide zusammen, paarten sich Tara und Orahan, dann schufen sie Abona, das Leben. Und alles, was Abona besaß, war richtig und gut.

      Abonas Gegenspieler war der Guayote, der Dämon aus dem Vulkan. Vor ihm musste man sich in Acht nehmen, seine vielfältigen Erscheinungen ständig im Auge behalten, denn der Guayote war schlau und gerissen. Er konnte sich tarnen und selbst in scheinbar harmlos aussehenden Situationen auftauchen, um Unheil zu stiften. Verkleidet kam er und leise, wie ein Dieb in der Nacht, um Abona zu stören. Ewig lagen Abona und der Guayote im Kampf.

      Dies besonders, das Wirken der Prinzipien und wie sie in der Natur unterschiedliche Gestalt annahmen, galt es für die Harimaguadas zu lernen. Und Tamogante hatte lange beobachtet und studiert. Würde es nach ihr jemals wieder eine so erfahrene Heilfrau geben wie sie? Tamogante lachte. Natürlich! Agora zum Beispiel und andere der Mädchen besaßen gute Ansätze, die gleichen Fähigkeiten zu entwickeln. Sie war keine Ausnahme, kein besonderes Wesen, nur ein Teil des großen, ewig währenden Spiels, das formte, wuchs und verging, wieder und immer wieder in andere Gestalten schlüpfte. Ja, sie hatte nur ihre Pflicht getan, das Kloster befand sich СКАЧАТЬ