Tanausú. Harald Braem
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Название: Tanausú

Автор: Harald Braem

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Historische Romane und Erzählungen

isbn: 9788494150166

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СКАЧАТЬ nicht ganz … Zuvor galt es noch, einen Mann zu finden, der würdig genug war, um als Hochkönig über Benahoare zu wachen.

      «Ich muss hinunter ins Tal», sagte Tamogante zu Agora und den Mädchen, «die Häuptlinge sind im Tagoror von Tixarafe versammelt, um eine wichtige Entscheidung zu treffen. Wie ich die Männer kenne, reden sie schon tagelang über die Sache, ohne eine Lösung zu finden. Möglicherweise streiten sie sogar schon, weil keiner von ihnen den richtigen Weg findet.»

      «Kennst du ihn denn?» fragte Agora.

      «Nein», antwortete Tamogante lachend, «aber vielleicht kann ich dabei helfen, ihn zu sehen. Was würdest du an meiner Stelle tun?»

      «Auch ich würde gehen», antwortete Agora, «einfach gehen, nicht suchen, mehr spüren.»

      Die beiden Frauen umarmten sich herzlich.

      «Genau das werde ich tun», sagte Tamogante, «und ich hoffe, es ist gut so. Nun muss ich aufbrechen, schon greifen die Schatten von den Bergen nach mir.»

      Leichtfüßig, als habe ihr Körper sein hohes Alter vergessen, lief Tamogante ins Tal.

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      Aber sie lief nicht nach Tixarafe, sondern bog, einer plötzlichen Eingebung folgend, am alten Saumpfad nach Norden ab. Dieser Weg führte unterhalb des Kraterrandes entlang und lag noch im warmen Licht der Abendsonne. Eidechsen stoben vor ihren Füßen auf, ein neugieriger Falke folgte ihr, doch Tamogante achtete nicht darauf. Sie lief im Lauf der Kraft, mit vorgebeugtem Oberkörper und pendelnden Armen. Diese Art der Fortbewegung strengte am wenigsten an und führte rasch vorwärts. In dem Kiefernwald spürte sie die Schattenkühle nicht, dann stieg der Pfad langsam an. Unterhalb des Freundschaftsberges wich der Wald zurück und machte dorniger Buschweide Platz. Es gab viele Steine hier, ein Gewirr flechtenüberwachsener Felstrümmer, in dem man sich hoffnungslos verirren konnte, wenn man die spärlichen Zeichen am Boden nicht sah: abgeknickte Halme, trockener Ziegenkot und Hufspuren. Die Herden zogen hier entlang, und wohin ihre Wege führten, dort lag mit Sicherheit eine Wasserstelle.

      Tamogante brauchte kaum auf den Boden zu achten. Ihr Körper lief automatisch, fand von selber den Weg. Jenseits der Hochweide fiel der Pfad spürbar ab und führte in jenes Tal hinein, in dem die heilige Dornbuschquelle La Zarzita lag. Die Sonne stand inzwischen dicht über dem Meer und schickte sich an, in die orange-roten Wasser einzutauchen. Sie machte die langen Schatten noch länger, hüllte die Welt zusehends in Dunkelheit ein. Tamogante beeilte sich, um mit dem Verlöschen des letzten Sonnenstrahls die kleine Höhle an der Dornbuschquelle zu erreichen. Ziegenfelle lagen hier im Versteck bereit. Tamogante hüllte sich in sie, rollte sich zusammen und schlief sofort ein, traumlos und tief.

      Ein vielstimmiges Vogelgezwitscher weckte sie auf. Von Leben erfüllt war die kleine Schlucht, jeder Grashalm, jedes Blatt schien sich in der Sonne zu räkeln, und bunte Schmetterlinge tanzten über den Blumen. Es war ein wunderschöner Morgen, Tamogante liebte diese Stunde besonders. Sie streckte sich ausgiebig, schlüpfte aus den Fellen, rollte sie zusammen und trat vor die Höhle. Es waren nur wenige Schritte bis zu dem Gehölz, das eine Senke umstand. Dort im grünen Dunkel des zitternden Blattwerks murmelte die Quelle und schickte ihr Nass ins Tal hinunter. Tamogante beugte sich darüber und schöpfte mit den Händen das Wasser. Es schmeckte erfrischend kühl. Sie wusch sich das Gesicht und die Arme. Danach richtete sie sich auf und betrachtete die graue, schrundige Felswand am Rande der Quelle.

      Das Gestein war über und über mit eingekerbten Zeichen verziert, wie tätowiert sah der Fels aus. Spiralformen und konzentrische Kreise bildeten das Hauptmotiv, waren vielfältig miteinander verflochten und teilweise zu endlosen Mustern graviert. Aber es gab auch konkrete Darstellungen dazwischen – den Körper der großen Erdmutter Tara mit insektenartigem Kopf, hängenden Brüsten und einem wellenliniengeschmückten Glockenrock. Links von ihr befand sich der in den Stein gehauene Altar, daneben die Darstellung eines Labyrinths und rechts davon der Kopf eines Kriegers mit Halsschmuck und weitauslaufender Federhaube. Er stellte Orahan, die männliche Schöpferkraft, dar. Zunächst ging Tamogante zum Altar und rückte die Tonfigürchen zurecht, die in den einzelnen Nischen standen. Dann kniete sie nieder. Ihre Gedanken richteten sich an die große Erdmutter, lautlos formten sich ihre Lippen zum Gebet: «An der Dornbuschquelle bin ich bei den heiligen Zeichen, spüre die Rinnen im Stein. Sagt, Abona, Tara, Orahan, haben es eure Kinder recht getan, wer ist übrig, euch zu verstehen – der Wind, die Drachen des Tages, die Geckos, die weißen Brüder der Nacht? Sagt, gibt es noch einen, der Zeichen wie diese formt, den Muldensessel, die Steine im Kreis? Wenn ich die Wurzeln esse, die Beeren, zwischen Farn niederknie und trinke – nehmt ihr dies als Opfer an? Die Sprache der Menschen ist anders geworden, ihre Handlungen auch, ihre Körper verstehen oft schon den Sinn nicht mehr. In den Dörfern löscht die Erinnerung aus. Doch ich, Pflegerin des alten Wissens, will ich jemals zurück, kann ich noch gehen?

      An der Dornbuschquelle bin ich, habe Wasser getrunken und Zeichen geformt …»

      Tamogante stand auf. Für einen kurzen Augenblick spürte sie das Alter ihrer Knochen, Muskeln und Sehnen. Steif waren ihre Beine, Schmerz saß in den Knien. Wie ein Tier hockte ihr das Alter im Genick und beugte ihren Körper. Sie schüttelte das unbehagliche Gefühl ab und wandte sich ganz ihrem Dienst zu. Mit geschlossenen Augen tastete sie die Figuren im Fels ab. Ihre Fingerkuppen folgten den Rillen, suchten das Muster. Es ist Musik, dachte Tamogante. Eigentlich sind diese Bilder Gesang, aber einer, der lautlos klingt und innen im Körper entsteht. Es sind die uralten Lieder der Schöpfung …

      Mit einem scharfkantigen Stein kratzte sie den Boden zu ihren Füßen auf, entnahm ihm rotbraune Erde, mischte sie mit dem Wasser der Quelle und strich den Farbbrei in die Rillenbahnen. Lange dauerte diese Prozedur. Die alte Heilfrau vollzog sie in schweigsamer Andacht. Dann trat sie einen Schritt zurück, um ihr Werk zu begutachten. Jetzt waren sie wieder deutlich zu sehen, die alten Bilder und Muster. Die rote Erde ließ sie aufflammen und ihre innere Musik lauter werden. Es war ein Gesang, der die Geräusche von Wind, rauschendem Blattwerk und dem Sprudeln der Quelle aufnahm und überhöhte, eine Melodie, die heller als die Stimmen der Zikaden und Vogelkehlen war, dunkler als das unheimliche Grummeln der Erde und rauschender als das Brüllen des Meeres.

      Haben nicht früher die Menschen diese Lieder leicht verstanden und sie mitgesungen, dachte Tamogante. Waren damals nicht immer Bittsteller hier an der Quelle und legten Opfergaben an den Altar? Gab es nicht Feste, auf denen getanzt wurde, gelacht und gemeinsam gegessen? Wieso ist dies alles vergangen, wieso bleiben die Menschen in ihren Dörfern und sind so weit weg von Tara, Orahan und Abona? Haben die Zeiten sich so sehr geändert?

      Und als ob mit der Verehrung der Menschen die Kraft ausbliebe, wurden auch die Visionen und Gesichte rar. Hatten die Götter sich abgewandt, sprachen sie immer seltener und nur noch zu ganz wenigen Auserwählten?

      Trauer erfasste Tamogante. Sie hatte ein Zeichen erwartet, doch das Wunder blieb aus. Voller Demut kauerte sie sich vor die Felswand, konzentrierte sich ganz auf ihr Inneres, horchte in sich hinein. Ihre Finger ertasteten die Zeichen im Fels, fuhren die Spiralen und Kreisbahnen entlang. Ganz außen rechts und links hatte sie begonnen und Bewegungen vollzogen, die aussahen, als wäre sie ein Vogel und ihre Arme Flügel. Dann wurden die Kreisbahnen immer enger und steuerten den Mitten zu. Schließlich hielt sie inne. Sie war an beiden Endpunkten angelangt. Ihr Atem stockte.

      Das ist es, spürte sie, ganz deutlich spürte sie es: Was wir brauchen, ist Ruhe und Harmonie. Einen König, der für den Zustand des Gleichgewichts sorgt nach innen und außen. Nach außen? Was sollte dies bedeuten? Gab es noch etwas außerhalb der Insel, das sie nicht kannte?

      Eine fremde, unheimliche Macht griff plötzlich nach ihrem Herzen, presste es und hielt es schmerzhaft umklammert. Tamogante verlor das Bewusstsein.

      Als СКАЧАТЬ