Tanausú. Harald Braem
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Tanausú - Harald Braem страница 12

Название: Tanausú

Автор: Harald Braem

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Historische Romane und Erzählungen

isbn: 9788494150166

isbn:

СКАЧАТЬ und die Sonne stand hoch am Himmel. Mühsam richtete sich die alte Heilfrau auf. Dabei entdeckte sie vor dem Altar eine kleine weiße Flaumfeder, die vorher nicht dort gelegen hatte. Mit zittrigen Fingern nestelte sie ihren Kultbeutel auf und steckte die Feder hinein.

      «Beschütze mich, Tara», flüsterte sie, «gib mir Kraft, Orahan, lasst mich euer Werkzeug sein, um noch einmal Abona zu tun.»

      An der Quelle trank sie vom heiligen Wasser, bedankte sich und machte sich dann auf den Rückweg. Langsam schritt sie voran, einen Fuß vor den anderen setzend. Der Lauf der Kraft wollte ihr nicht mehr gelingen. Erneut nahm sie den Saumpfad, bog aber diesmal kurz nach der Hochweide ab und stieg hinunter nach Tixarafe ins Tal.

image

      Nachdem sich das Volk zerstreut hatte, die Stämme in ihre Gebiete abgezogen waren, blieben nur noch die Häuptlinge, die Feycans und die weisen Frauen im Tagoror zurück. Lange dauerte das Palaver, endlose Tage und Nächte. Und wie Tamogante vorausgesehen hatte, war der Ratskreis in unterschiedliche Lager zerfallen. Die Häuptlinge des Südens hatten sich auf die Seite von Ayucuahe geschlagen, die des Ostens schwankten zwischen Tanausú und Mayantigo, und für Atogmatoma sprachen nur Bediesta und Temiaba aus dem hohen Norden.

      «Er wird ein würdiger Nachfolger Madangos sein», sagte Bediesta, den sie auch Felsenschulter nannten, weil seine Ausdauer im Steineheben und -werfen sprichwörtlich war. «Der Feycan von Tixarafe hat beim Tanz die Stimme des Guayote gehört, wir alle spürten die Erde beben. Warum geschah das nur bei seinem Tanz, und danach nicht mehr, als unsere Feycans an der Reihe waren? Ist dies nicht ein deutliches Zeichen, dass der Stamm von Hiscaguan und Tixarafe erneut den Hochkönig stellen soll?»

      «Du sprichst für Atogmatoma, als würde er nicht nur Häuptling seines, sondern bald auch deines Stammes sein», höhnte Mayantigo aus dem Aridane-Tal. «Gibst du so rasch deinen Anspruch auf?»

      «Unsinn», antwortete Bediesta, «unsere Stämme leben seit langem in Frieden, tiefe Schluchten trennen unsere Gebiete und legen auf natürliche Weise die Grenzen fest. Von was redest du also? Nein, worauf es mir ankommt ist, dass der Beste von uns auf den Thron kommt, und das ist nach meiner unumstößlichen Meinung nun einmal Atogmatoma.»

      «Man könnte es durch einen Wettkampf entscheiden», sagte Mayantigo. «Ich glaube allerdings, dass viele dabei den kürzeren ziehen würden. Wann hast du das letzte Mal Steine gestemmt, Felsenschulter? Stimmt es nicht, dass es lange schon her ist, weil dich seit einiger Zeit die Gicht plagt?»

      Bediesta verzog angewidert das Gesicht. Bevor er etwas antworten konnte, fiel Ugranfir, der Feycan aus dem Vulkankessel, der ein eifriger Fürsprecher Tanausús war, ein: «Alle Häuptlinge der Insel besitzen besondere Fähigkeiten, die sie auszeichnen und ehren, darüber besteht keine Frage. Ich gebe aber eines zu bedenken und wiederhole es mit großem Ernst: Nur im Krater steht der Idafe, der Heilige Berg der Guanchen, der beseelt ist und zu gewissen Zeiten mit den Menschen spricht. Wer anders als der Hüter des Berges, der mutige, furchtlose Tanausú, käme daher als König in Frage? Wenn du unbedingt einen Kampf willst, Mayantigo, dann miss dich mit ihm …»

      «Ja, kämpfe mit ihm!» rief Gareagua von Tigalate. «In früheren Zeiten wurde die Wahl des Hochkönigs stets durch einen Wettkampf entschieden.»

      «Es gibt Dinge, die wichtiger als Kraft und Geschicklichkeit sind», sagte Temiaba von Tagalguen, «zum Beispiel Klugheit und Gerechtigkeitssinn.»

      «Willst du damit andeuten, dass wir dumm und ungerecht sind?» brauste Mayantigo auf. «Hüte deine Zunge, Mann aus dem Norden, der du ohnehin die besseren Weideflächen besitzest. Deine Ziegen und Schafe sind fett vom satten Grün deiner Berghänge, der Wind schickt dir reichlich Wolken und Regen …»

      «Und Stürme im Winter, die unberechenbar sind», unterbrach Temiaba. «Nicht jeder lebt so geschützt wie dein Stamm im Aridane-Tal, das weder kalte Winter noch heiße Sommer kennt. In eurer Bucht fangen bereits die Kinder fette Fische, ohne sich anstrengen zu müssen, während das bei uns wegen der wilden See ein Wagnis darstellt. Gut Reden hast du, reicher, sorgenloser Mayantigo. Wann hat dein Stamm jemals Hunger verspürt?»

      «Beruhigt euch», versuchte eine Heilfrau aus dem Süden zu beschwichtigen. «Mit bösen Worten kommen wir einfach nicht weiter. Was wir brauchen, ist ein deutliches Zeichen, das alle verstehen.»

      «Und was schlägst du vor?» fragte Ugranfir.

      «Abzuwarten, was uns Tamogante zu sagen hat.»

      «Wo ist sie eigentlich?» riefen mehrere durcheinander. «Wo steckt sie? Man hat sie seit dem Tag des Totentanzes nicht mehr gesehen …»

      Die Heilfrau antwortete darauf nicht. Sie stand auf, trat aus dem Kreis und deutete statt dessen wortlos mit der Hand in Richtung der nördlichen Hänge. Alle sahen von dort die Gestalt einer alten Frau herankommen. Gebeugt schritt Tamogante, aber als sie näher kam, richtete sie sich auf. Stolz trat sie in den Kreis. Sie blickte sich um, als käme sie von sehr weit her und erkenne erst nach und nach die Gesichter im Tagoror. Dann ließ sie sich auf einem freien Steinsitz nieder.

      Es war ruhig im Kreis, die Versammelten warteten darauf, dass sie sprach. Aber die alte Medizinfrau regte sich nicht, kein Wort kam von ihren Lippen. Sie saß starr und sah aus, als würde sie auf etwas lauschen, doch niemand außer ihr vernahm einen Ton.

      Plötzlich erhob sie sich und entnahm dem Kultbeutel an ihrem Gürtel eine weiße Flaumfeder. Die hob sie hoch, hielt sie vor ihren Mund und blies sie an. Senkrecht stieg die Feder auf, wurde vom Wind erfasst und über den Köpfen der Anwesenden zum Tanzen gebracht. Es ging alles sehr schnell. Die Feder tanzte in der Luft, dann wurde sie von einem Windstoß gepackt und zu Boden getrieben. Genau vor Atogmatomas Füßen blieb sie liegen.

      «Heb sie auf», sagte Tamogante.

      Der zukünftige Häuptling von Tixarafe und Hochkönig der Insel starrte fassungslos auf die Feder. Zögernd bückte er sich nach ihr. Dann, als er sie in der Hand hielt, straffte sich seine Haltung merklich. Er richtete sich auf und zeigte allen die Feder. Ernst und Stolz lagen auf seinem Gesicht, als er sie sich ins Haar steckte.

      «Ayiiieeeh!» schrie Bediesta gellend und sprang auf die Füße. Einige der Feycans und mehrere Häuptlinge folgten seinem Beispiel. Mayantigo, Ayucuahe, Tanausú und ihre Vertrauten blieben sitzen.

      «Was ist?» fragte Tamogante. Streng blickte sie einen nach dem anderen an. Der Ausdruck ihres Gesichts duldete keinen Widerspruch. Sie war nur eine alte Frau, aber die ranghöchste aller Harimaguadas. Stets hatten sich die Häuptlinge ihrem Willen gebeugt.

      Jetzt standen auch die auf, die bis zuletzt sitzen geblieben waren. Zögernd Mayantigo, widerstrebend Tanausú. Besonders ihm war anzusehen, dass er mit der Entscheidung alles andere als einverstanden war. Er stand auf, wie das Gesetz es befahl, aber er schwieg mit zusammengepresstem Mund. In diesem Kreis würde kein einziges Wort mehr über seine Lippen kommen, schwor er sich. Er schätzte zwar die alte Heilfrau, aber sein Vertrauen in Atogmatoma war nicht sonderlich groß. Diesem Schwächling von Hochkönig würde er niemals den Treueid leisten, lieber würde er den Feierlichkeiten fernbleiben.

      Tanausú verneigte sich kurz vor der alten Frau. Dann schritt er stumm aus dem Kreis. Ugranfir und die Vertrauten folgten ihm. Alle bekamen das mit, aber niemand wagte über den Missklang zu sprechen. Auch Tamogante erwähnte den Vorfall später mit keinem Wort.

      Sie war froh, dass das Orakel entschieden hatte, und über die Wahl Atogmatomas auch. Dennoch nagten Zweifel an ihr. Besonders eindrucksvoll war das Zeichen nun wirklich nicht zu nennen – eine weiche, schwache Flaumfeder hatte СКАЧАТЬ