Fluch der verlorenen Seelen. Darina D.S.
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Название: Fluch der verlorenen Seelen

Автор: Darina D.S.

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Der Fluch der verlorenen Seelen

isbn: 9783969536155

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СКАЧАТЬ ›Keine Aufmerksamkeit erregen‹ durch den Kopf. Deshalb setzte sie sich stillschweigend und unter Vermeidung jeglichen Augenkontaktes hin.

      »Wie geht es dir? Ich hoffe, es ist in Ordnung, dass ich dich duze?«

      Amalia nickte und senkte den Kopf.

      »Ich meine, wie fühlst du dich jetzt und vor allem nach diesem Vorfall?« Der Arzt lehnte sich in den Sessel und schlug die Beine übereinander.

      Amalia verschränkte die Finger in ihrem Schoß, um keine unbewussten Bewegungen zu erzeugen. Wie würde es Ihnen gehen, wenn sie Kreaturen sehen, hören oder sogar riechen könnten und das schon seit frühster Kindheit? Sicherlich würden Sie mir auch nicht so eine oberflächliche und belanglose Frage stellen, wenn Sie von ihrer Pflegefamilie Tag für Tag gedemütigt und schikaniert würden. Aber ja, es ist immer leichter, wenn man auf der anderen Seite sitzt und alles, was einem andersartig erscheint, als verrückt abtun kann.

      All das wollte Amalia Doktor Jones am liebsten an den Kopf werfen, doch das konnte sie nicht. Um ihrem Ärger Luft zu machen und sich zu beruhigen, löste sie die verschränkten Finger und ballte die Hände zu Fäusten. Sie verstärkte den Druck so lange, bis sich die Nägel in ihr Fleisch bohrten, öffnete aber abrupt die Finger, als ihre Nähte zu sehr spannten. Langsam hob sie den Kopf und blickte ihm direkt in die braunen Augen. Sie zwang sich zu einem falschen Lächeln und unterstrich ihren gekünstelt liebenswerten Ausdruck mit unschuldig wirkenden Augenaufschlägen.

      »Mir geht es gut. Ich hatte mich nur furchtbar erschrocken …« Theatralisch atmete sie lange und laut aus und fuhr dann mit süßlicher Stimme fort: »Ich verstehe immer noch nicht genau, was da eigentlich passiert ist.«

      »Toni und sein Tuci sind ein besonderer Fall. Mach dir keine Gedanken und vor allem keine Vorwürfe.« Doktor Jones beugte sich etwas nach vorne – näher zu ihr – und lächelte. »Aber kommen wir zu einer viel wichtigeren Frage: Was war der Auslöser für deinen Selbstmordversuch?«

      Amalia reagierte nicht auf seine Frage. Ihr falsches Lächeln wich einem versteinerten Gesichtsausdruck. Sie starrte den Psychiater nur teilnahmslos an. Wie sollte sie ihm diese Frage beantworten, ohne wie eine Verrückte zu klingen? Eine nachvollziehbare Erklärung musste her, und zwar schnell. Die Zahnräder ratterten – sie brauchte mehr Zeit! Ungeduldig wippte sie mit der Fußspitze auf und ab.

      »Du bist doch erst 16 Jahre alt. Ich möchte nur verstehen, was dich zu so einem drastischen Schritt verleitet hat«, erklärte der Arzt ergänzend.

      Amalia schloss kurz die Augen und atmete schwermütig aus. »Na ja, eigentlich ist das ganz simpel: Es war nicht mehr und nicht weniger als ein Schrei nach Aufmerksamkeit.« Sie betete, dass er ihr glaubte und sie nicht für verrückt, sondern nur für ein verwöhntes, Aufmerksamkeit heischendes Mädchen hielt, wie ihre Pflegemutter es auch immer tat. Ihr war durchaus bewusst, dass es nicht die beste Erklärung war, und wenn sie mehr Zeit gehabt hätte, wäre ihr sicherlich auch etwas Besseres eingefallen. Doch nun war es zu spät sich zu grämen.

      Er lehnte sich wieder zurück, griff nach einem dünnen Ordner, der zwischen Büchern auf dem Schreibtisch lag, und schlug ihn auf.

      »Hier, in deiner Akte ist ein Vermerk über einen Anfall in der Krankenstation. Laut des behandelnden Arztes, Doktor Williams, hast du hysterisch geschrien und erschrocken an die Decke gestarrt. Du warst weder ansprechbar, noch konntest du ohne Sedativum beruhigt werden.« Doktor Jones schaute von der Akte auf und musterte sie erwartungsvoll. Gerade als er das Gespräch fortsetzen wollte, stieß Nancy seine Bürotür auf.

      »Doktor, bitte gehen Sie schnell in die Kantine. Es geht um Toni … Tuci ist noch einmal gestorben! Ich kann ihn nicht beruhigen!«, rief sie.

      »Oh nein, nicht schon wieder!« Der Arzt schüttelte fassungslos den Kopf und legte die Akte beiseite. »Ich gehe sofort! Bitte begleiten Sie Amalia auf ihr Zimmer«, wies er Nancy an und eilte zur Kantine.

      Amalia hingegen saß immer noch regungslos auf dem Stuhl und starrte Nancy verwirrt an. Ein Zustand, der langsam zur Regel wurde. Die Krankenschwester winkte sie mit einem netten Grinsen zu sich und machte eine Kehrtwende. Amalia fühlte sich vor den Kopf gestoßen. Jedoch hatte sie jetzt bis zur nächsten Sitzung Zeit, eine glaubhafte Erklärung für den Vorfall auf der Station zu finden. Wie von der Tarantel gestochen, sprang sie auf und folgte der Schwester. Vielleicht war das ihre Chance, den Kopf noch aus der Schlinge zu ziehen.

      »Junges Fräulein, hast du Tuci getötet?«, lachte Nancy.

      »Schuldig, aber das Tier existiert doch nicht. Ich meine: Niemand kann es sehen«, sagte Amalia schulterzuckend.

      »Gerade du solltest es besser wissen! Nur weil etwas nicht für alle sichtbar ist, bedeutet es nicht, dass es nicht existiert.«

      Nancys Aussage raubte ihr den Atem, sie verschluckte sich und hustete. Wusste sie etwa Bescheid? Amalia war überfordert, sie war sich nicht sicher, wie sie mit dieser unterschwelligen Andeutung umgehen sollte. Ihr rasender Pulsschlag dröhnte in den Ohren, ihre Gedanken überschlugen sich und als sie endlich in der Lage war, normale Worte zu formen, waren sie bereits vor der Zimmertür und Nancy verabschiedete sich.

      »So, ich muss jetzt weiter. Doktor Jones kann bestimmt etwas Hilfe vertragen.«

      Amalia stöhnte und trat in ihr Zimmer ein. Frustriert warf sie sich auf das unbequeme, knarzende Bett. Sie drückte ihr Gesicht ins Kissen und stieß einen lauten Schrei aus. Nancys Worte gingen ihr nicht aus dem Kopf. Was hatte sie getan? Sie wollte nur noch weg von hier, ein normales Leben führen und Freunde haben. Nichts lag ihr mehr am Herzen als ein Zuhause, in dem sie akzeptiert wurde, wie sie war. Endlich Liebe und Geborgenheit zu erfahren, statt immer wiederkehrende Wut und Trauer zu spüren. Diese Gefühle wie auch die Angst, die sich ab und zu daruntermischte, dominierten ihr Leben. Keinen Schritt konnte sie gehen, ohne sich umschauen zu müssen, denn diese unheimlichen Kreaturen überraschten sie überall. Sie verstand nicht, warum diese Wesen ausgerechnet sie verfolgten. Wie sollte sie so jemals dieser unendlichen Leere und Einsamkeit entkommen? Wem konnte sie davon erzählen? Niemand würde sie verstehen und ihre Endlosschleife aus Fragen, auf die sie keine Antworten fand, würde nie abreißen.

      Langsam begannen die Tränen zu fließen – zu viele Emotionen übermannten sie wie eine Flutwelle, in der sie zu ertrinken drohte. Sie weinte und schluchzte bitterlich; nicht einmal der Tod nahm sie zu sich. Ihre Augen brannten, ihr Hals schmerzte, der Kopf dröhnte. Allmählich entschwand sie in einen unruhigen Schlaf.

      Die darauffolgenden Tage liefen nahezu gleich ab. Amalia wurde jeden Morgen um acht Uhr geweckt, ging duschen und anschließend in die Kantine. Die Essensauswahl variierte zwischen Porridge, Würstchen und anderen Gerichten, die sie nicht sonderlich mochte. Danach folgte eine stupide Therapiesitzung bei Doktor Jones, dem sie wie eine CD auf ›Repeat‹ immer dasselbe erzählte. Natürlich nur das, was er vermeintlich hören wollte. Den Vorfall in der Krankenstation überspielte sie mit einer angeblichen Gedächtnislücke. Ihr einziges Ziel dahinter war, die Psychiatrie so schnell wie möglich verlassen zu dürfen. Doch ab und an beschlich sie das Gefühl, dass er ihren Erklärungen misstraute und nur darauf wartete, dass sie ein klein wenig von ihrer Geschichte abwich. Nach diesen sinnlosen Gesprächen folgte wieder der wortwörtliche Wahnsinn in der Kantine.

      So schaffte sie es nahezu jeden Tag, Tuci zu töten und damit ein gewaltiges Drama zu entfesseln. Wenn es ihr einmal nicht gelang, den imaginären Hund in die ewigen Jagdgründe zu schicken, und sie sich ohne Vorfall an einen der Tische setzte, konnte sie ihren Blick nicht von jenem blonden Jungen abwenden, der es mittlerweile geschafft hatte, den gesamten Oberkörper der Puppe abzukauen. Er schien nichts anderes zu tun, als auf dieser Figur herumzubeißen und das Plastik auf den Boden zu spucken. СКАЧАТЬ