Название: Das Anthropozän lernen und lehren
Автор: Группа авторов
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Pädagogik für Niederösterreich
isbn: 9783706560832
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Der Beginn dieses Ausbaus zur sogenannten Kulturlandschaft der ersten Gründergeneration ist heute noch sichtbar und Architektur von damals wird immer noch genutzt. Wir können heute noch über die alte Brücke mit dem Auto den Fluss überqueren, der Mühlkanal für den Antrieb der noch gar nicht so lange verschwundenen Wasserräder ist noch vollständig erhalten ebenso wie das romanische Kloster mit Kapitelsaal, Kreuzgang und Necessarium, der über dem Kamp errichteten Latrinenanlage – die eigenwilligste Touristenattraktion des Zisterzienserstiftes Zwettl.22
Aber nochmal zurück ins 14. Jahrhundert, als die eben beschriebene Anlage schon gute 150 Jahre in Betrieb war. Im Jahr 1304 verkauft der Konvent des Stiftes Zwettl seinen Hof in Wien. Er stand ziemlich genau an der Stelle, an der heute der Südturm des Stephansdoms steht, und musste der Erweiterung des Domes weichen. Als Ersatz wird ein anderes Haus direkt daneben gekauft, denn ein Stadthof ist eine wichtige Drehscheibe für die Pflege des Netzwerks der Zwettler Mönche im Herrschaftszentrum Wien. Die Ressourcen in ihrer Umgebung sind nicht ausreichend für große Erweiterungen und so müssen sie neue Mittel herholen. Zum Beispiel stiftete 1274 die Wiener Familie der Paltrame einen Karner im Stift, in dem die Gebeine der im Kloster Begrabenen aufbewahrt werden können.23
Zur Pflege des Netzwerks ist es wichtig, die politischen Verbindungen zu verstehen, und das ist um das Jahr 1300 nicht leicht. Die Babenberger sind längst ausgestorben und König Ottokar von Böhmen hatte eine Generation lang als Landesfürst im Herzogtum Österreich regiert. Die Paltrame waren seine Gefolgsleute, genauso wie die Kuenringer, und auch der Konvent von Zwettl hatte enge Verbindungen zu Böhmen. Seit 1278 sind die Habsburger Landesherren und alle Allianzen müssen neu erarbeitet werden. Die einst mächtigen Kuenringer müssen sich neu positionieren und wollen auch in Wien Fuß fassen. Ihre zentrale symbolische Ressource ist das von ihnen gegründete Zisterzienserstift, und vielleicht ist der oben erwähnte Verkauf des Hofes an den Habsburger Herzog Albrecht der Beginn eines neuen Deals. Man könnte folglich darüber nachdenken, ob sich die Kuenringer auch mit dem Stifterbuch der Zwettler Mönche als altehrwürdiges Geschlecht vor den neuen habsburgischen Landesfürsten präsentieren wollten. Ein Argument dafür wäre der prunkvolle Stammbaum in der Bärenhaut, der höchstwahrscheinlich in der Wiener Gegend gemalt wurde – zumindest ist die Buchmalereiwerkstatt auch in Klosterneuburg nachweisbar.24
Aber auch unsere vorher beschriebene Landkarte würde diesem Repräsentationswillen entsprechen, indem sie die Hauptkompetenz der Familie präsentiert: die professionelle Zivilisierung des Nordwaldes, die von den verlässlichen Kuenringern mit ihrem Familienkloster erfolgreich abgewickelt wurde und zwar auf allen Ebenen – hinsichtlich der Religion, der Verwaltung, der Bildung und der Wirtschaft. Die Kuenringer haben eine der wildesten Gegenden des Herzogtums unterworfen und entmystifiziert. Das ist die Geschichte in der Bärenhaut. Und so ist es auch kein Zufall, dass in dieser Prachthandschrift zum ersten Mal die Gründungslegende des Stiftes auftaucht, also ein eigener Mythos ins Spiel kommt: Es heißt dort, dass dem Stifter Hadmar I. von Kuenring im Traum die Gottesmutter erschienen sei und ihm eine grünende Eiche im winterlichen Wald zeigte. Der Mönch Hermann, der als erster Abt dem Konvent vorstehen sollte, hatte den gleichen Traum. Und tatsächlich sollen die beiden diesen prophezeiten Baum dort gefunden haben, wo heute das Kloster steht.25 Die Botschaft an die Leute im Herrschaftszentrum ist, dass dort, wo noch vor gar nicht so langer Zeit göttliche Erscheinungen und unerklärliche Naturerscheinungen stattgefunden haben, Zivilisation und damit Sicherheit für mögliche Investitionen herrscht. Und die brauchen die Mönche, um ihre Pläne für die Vergrößerung ihres Klosters umzusetzen und vor allem, um eine größere Kirche zu bauen. Die theoretischen Konzepte für die Bewirtschaftung der kargen, asketischen Gegend funktionieren zwar, werfen aber nicht genug Mittel für die Bauvorhaben ab. Die Kuenringer machen also Werbung für Investitionen in Zwettl bei den Wiener Bürgern. Das ist die eine Variante. Die andere ist, dass die Mönche sehen, dass ihre Gründerfamilie sie nicht mehr erhalten kann und reiche Wiener Bürger als Investoren nach Zwettl locken wollen.26 Die Strategie ist erfolgreich, denn es entschließen sich einige Mitglieder von Wiener Familien, in das Kloster einzutreten, so viele, dass ein neues Dormitorium (Schlafsaal) für 64 Mönche gebaut und schließlich 1343 mit dem Bau einer gotischen Kirche in für die Gegend enormen Ausmaßen begonnen werden kann.27
Der Ausgang der Geschichte ist schnell erzählt. Fünf Jahre nach Baubeginn der großen Kirche ist das Pestjahr 1348, die Arbeiten kommen zum Erliegen. Zwar wird die Kirche unter größten Anstrengungen fertig gebaut, aber das Stift kann sich bis zum Ende des Mittelalters wirtschaftlich nicht mehr von dem Großprojekt erholen. Die Kuenringer versinken in der Bedeutungslosigkeit und werden am Ende von der Propaganda zu Raubrittern gemacht und geächtet.
Erst Mitte des 17. Jahrhunderts wird diese Geschichte von Abt Bernhard Linck wieder erforscht28. Er reitet mit seinem Amtmann den Umritt nach und lässt die Gegend von einem bedeutenden Kartographen in Kupfer stechen (Abb. 3). Auf dieser Zeichnung sehen wir eine voll entwickelte Kulturlandschaft mit bewirtschafteten Fluren, Gutshöfen, Fischteichen und einem Straßennetz. Im Zentrum dominiert dabei nicht mehr das Kloster, sondern der Kamp mit seinen Zuflüssen. Es ist nur mehr wenig Wald sichtbar und der ist fein säuberlich in Forsten kultiviert. Alles ist umschlossen von einem Kreis, den wir aus der Bärenhaut kennen und der am ehesten an die Projektierungen der vor Kurzem umgesetzten Zwettler Schnellstraßenumfahrung erinnert.
Die beschriebenen Einwirkungen des Menschen sind in der Erdkruste nachvollziehbar und gespeichert. Aber nicht nur dort, sondern auch in den Aufzeichnungen der handelnden Menschen sind sie dokumentiert. Die Archive und Bibliotheken sind voll von Material, das – ähnlich wie die geologisch „eingeschriebenen“ Informationen – im Hinblick auf das Anthropozän neu ausgewertet werden kann. Beiden Dokumentationen ist gemeinsam, dass sie uns eine Entwicklung im Sinne von Ursache und Wirkung nachzeichnen lassen. Der Unterschied zwischen beiden Wissensspeichern liegt vielleicht in den ideengeschichtlichen Informationen über die Vorstellungswelten und Motivationen, die aus den schriftlichen Quellen in den Archiven gelesen werden können. In der Auseinandersetzung mit den Ursprüngen der Interventionen in den Naturraum erlangen wir eine Vorstellung von den Auswirkungen. Im Bildungsbereich ist es umso wichtiger, diese Ursprünge freizulegen und die Motivation für Umwelthandeln zu verstehen und ihre Nützlichkeit zu reflektieren.
Abbildung 3: Darstellung des Umritts in den Annalen des Bernhard Linck aus dem Jahr 1670 (Stiftsarchiv Zwettl, Plansammlung, Nr. 11).
Die Auswirkung von menschlichem Handeln auf den Planeten Erde hat in unserer Generation ein Ausmaß erreicht, das mittlerweile als Bedrohung für nahezu alle Lebensformen gesehen werden kann. Was neu erscheint und im Diskurs des Anthropozäns bearbeitet werden kann, ist die Umkehr dieser Bedrohung. Nicht mehr die Naturgewalt beherrscht die Menschen, СКАЧАТЬ