Название: Das Anthropozän lernen und lehren
Автор: Группа авторов
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Pädagogik für Niederösterreich
isbn: 9783706560832
isbn:
Sohst, Wolfgang (2009): Prozessontologie. Ein systematischer Entwurf der Entstehung von Existenz. Berlin: xenomoi.
Sonne, Wolfgang (2009): Ein Lob der Theorie. Wider den Fundamentalismus in den Wissenschaften. Forschung & Lehre, 16 (4), 272–273.
Stachowiak, Herbert (1973): Allgemeine Modelltheorie. Wien u.a.: Springer.
Strang, Veronica (2020): The rights of the river. Water, culture and ecological justice. In: Kopnina, Helen & Haydn Washington (Hrsg.): Conservation. Integrating social and ecological justice. Cham: Springer Nature Switzerland, 105–119.
Whitehead, Alfred North (1987): Prozess und Realität. Entwurf einer Kosmologie. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Zahnen, Barbara (2015): Tragweiten geographischen Denkens. Wien: Passagen.
Zalasiewicz, Jan, Colin N. Water, Alexander P. Wolfe, Anthony D. Barnosky, Alejandro Cearreta, Matt Egdeworth, Peter K. Haff, Martin J. Head, Juliana A. Ivar do Sul, Catherine Jeandel, Reinhold Leinfelder, John R. McNeil, Naomi Oreskes, Clément Poirier, Andrew C. Revkin, Daniel D. Richter, Will Steffen, C. P. Summerhayes, James P. M. Syvitsky, Davor Vidas, Michael Wagreich, Scott L. Wing & Mark Williams (2017): Making the case for a formal Anthropocene Epoch: an analysis of ongoing critiques. Newsletter on Stratigraphy, 50 (2), 205–226.
Martin Haltrich
Die Kontrolle der Wildnis
Eine Landschaftszeichnung aus dem 14. Jahrhundert als Vorgeschichte des Anthropozäns
Am Anfang des 14. Jahrhunderts, so um 1310 oder 1315, beginnen die Zisterziensermönche im Stift Zwettl ein großes Projekt.1 Sie wollen ein Buch verfassen, in dem alle Informationen und Geschichten über ihr Kloster und die Gründerfamilie vereinigt sind. Aber nicht nur das, sie wollen auch alle Dokumente, die Aufzeichnungen über ihren Besitz und ihre Rechte in das Buch übertragen. So können sie das Werk auch für ihre Verwaltung nutzen, denn die Mönche betreiben eine Grundherrschaft, sie bewirtschaften Wiesen und Wälder, besitzen Fisch- und Jagdrechte, haben Schaf- und vielleicht sogar Rinderherden und verarbeiten die landwirtschaftlichen Rohstoffe in eigenen Betrieben, wie etwa Mühlen oder Käsereien. Das alles dient in erster Linie der Versorgung der Klostergemeinschaft, aber die überschüssigen Produkte – das ist meistens Wein – können sie selbst vermarkten, dafür hat ihnen der Landesfürst Höfe in den größeren Städten geschenkt, in denen sie auch von Zöllen und Steuern befreit sind.2
Dieses Buch enthält demnach existentiell wichtige Inhalte und deshalb wird es auch äußerst repräsentativ gestaltet. Die Kalbshäute bzw. die Pergamentblätter werden nur einmal in der Mitte zu Doppelblättern gefaltet, um das größtmögliche Format zu bekommen. Insgesamt sind fast 100 Tierhäute verarbeitet, die beschnitten, liniert und zu einzelnen Lagen zu je fünf Doppelblättern zusammengelegt wurden. So können sie von einem Schreiber in kalligraphisch hochstehender Schrift mit schwarzer und roter Tinte beschrieben werden. Er lässt immer wieder Bereiche für Zeichnungen frei, in denen Personen, Stammbäume oder bedeutende Szenen aus der Stiftsgeschichte dargestellt werden. Wenn der Schreiber fertig ist, können Buchmaler diese Lücken bunt illustrieren. Für dieses Werk, immerhin das „Stifterbuch“ des Klosters, so genannt, weil alle, die dem Kloster etwas gestiftet haben, darin verewigt wurden, werden die besten im Land verfügbaren Illuminatoren engagiert. Die Malerei muss allerdings ziemlich teuer gewesen sein, denn es wird nur eine einzige Seite fertig, jene mit dem Stammbaum der Kuenringer – der Stifterfamilie der Zwettler Zisterze. Zum Schluss werden die Blätter in den Lagen zusammengeheftet und für den prächtigen Einband Lindenholzbretter mit Wildschweinleder überzogen. Zu seinem Schutz werden die Ecken mit verziertem Messingblech beschlagen und auf dem Vorder- und Hinterdeckel jeweils fünf Buckel genagelt, denn in dieser Zeit werden Folianten liegend aufbewahrt.
Aus der Idee der Zwettler Mönche ist eines der berühmtesten Bücher des Spätmittelalters in Zentraleuropa entstanden, der Liber fundatorum Zwetlensis – im Volksmund nach dem erwähnten Einbandüberzug aus dem Fell eines Ebers bzw. Saubären auch „Bärenhaut“ genannt3. Doch warum dieser Aufwand? Und was hat das mit dem Anthropozän zu tun?
Die Basis für die geologisch sichtbare Einwirkung des Menschen im Sinne des Anthropozäns ist unter anderem ihre Einstellung zum Naturraum.4 Diese Vorstellungen beeinflussen seinen Umgang mit der Umwelt und es lohnt, ihnen nachzuspüren. Besonders an kleinräumigen Strukturen können die durch Jahrhunderte geleisteten Arbeiten im und am Naturraum nachvollzogen und jene Prozesse verdeutlicht werden, die von der unberührten Natur oder auch Wildnis zu der vom Menschen gezeichneten Kulturlandschaft führen.5 Mit der „Urbarmachung“ eines Territoriums beginnen permanente menschliche Eingriffe in die Erdoberfläche, die dauerhaft in der Erdkruste gespeichert sein werden und in den „Urbaren“ – den mittelalterlichen Vorläufern der Grundbücher – nachvollzogen werden können. Sie dokumentieren die Nutzung des Bodens und sind gute Quellen für die Reflexion des menschlichen bzw. anthropologischen Einwirkens auf den Planeten.
Was „Urbarmachung“ heißen kann, sehen wir, wenn wir die Bärenhaut auf Blatt 12r aufschlagen. Dort ist eine Grafik in Kreisform, die eine bemerkenswerte Informationsdichte im Hinblick auf unsere Fragestellungen aufweist (Abb. 1). Dargestellt ist der sogenannte Umritt, eine Szene, die am Neujahrstag des Jahres 1138 – einen Tag nach der offiziellen Gründung des Klosters – stattgefunden haben soll. Der Kuenringer Hadmar I. reitet mit Abt Hermann die Güter seiner Stiftung ab. Angeblich sollen sie in Moidrams, heute ein Stadtteil Zwettls und etwa 5 Kilometer vom Stift entfernt, begonnen haben und einen ganzen Tag lang geritten sein.6
Die Zeichnung ist analog zu diesem Umritt aufgebaut und von einem großen Außenkreis umschlossen. Auf den ersten Blick scheint alles recht chaotisch. Da ist allerlei Gekritzel, manche Textblöcke sind schief und teilweise auf den Kopf gestellt eingetragen, einzelne Wörter scheinen ohne Zusammenhang hingeschrieben und lange, wellenförmige Zeilen vermitteln den Eindruck, als ob der Schreiber ohne Linierung den Halt verliert. Alles in allem unübersichtlich und auch skizzenhaft, nichts ist koloriert. Bei genauerer Betrachtung stellt sich aber heraus, dass es sich bei dem Bild um eine sehr präzise Landkarte handelt. In den Kreis sind noch die Himmelsrichtungen der genordeten Karte eingetragen, im Osten steht der Sonnenaufgang und der Mond ist im Westen verortet.
In der Grafik befindet sich das Kloster in der Mitte, umgeben von einigen Gebäuden und innerhalb des Kreises, an den Medaillons angeheftet sind. Links unten ist Papst Innozenz zu sehen, ihm gegenüber oben rechts König Konrad, darunter ebenfalls rechts Herzog Leopold. und wiederum gegenüber oben links die beiden Reitenden Hadmar von Kuenring mit Abt Hermann. Es wird hier gezeigt, dass die Gründung des Stiftes im Rahmen der rechtlichen Vorschriften durchgeführt und somit von den politischen und religiösen Autoritäten des mittelalterlichen Herrschaftssystems gutgeheißen wurde.7
Die zentral dargestellte Stiftskirche ist auf drei Seiten von fünf der Grangien des Stiftes umgeben. So wie das Herrschaftssystem mit seinen angehefteten Autoritäten dargestellt ist, so ist auch das Wirtschaftssystem, dem das Kloster unterliegt, ersichtlich. Die hier gezeichnete Grangienwirtschaft ist СКАЧАТЬ