Название: Das Anthropozän lernen und lehren
Автор: Группа авторов
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Pädagogik für Niederösterreich
isbn: 9783706560832
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Mehrere Völker, die in Vorantike, Antike und Mittelalter Niederösterreich besiedelten, wie etwa „Alteuropäer“, Kelten, Völkerwanderungsgermanen, Slaven und Bajuwaren, strukturierten die Flusslandschaften nach einem ganz besonderen Prinzip, dem der „weißen und schwarzen Flüsse“. Es handelt sich hierbei wohl um eine binäre Kennzeichnung, die nichts mit den eigentlichen Farben Weiß und Schwarz oder anderen physischen Eigenschaften zu tun hat. Heute würde man diese Gewässer vielleicht in Plus- und Minus-Gewässer oder in Null- und Eins-Gewässer einteilen. Ein niederösterreichisches Beispiel sind die Weiße und die Schwarze Walster. Konzentriert findet man dieses Prinzip in der Talschaft der niederösterreichischen Pielach verwirklicht: Die Pielach selbst ist, wie ihr slavischer Namenteil Piel- sagt, in ihrem Unterlauf „weiß“, in sie mündet die Sierning, deren Name slavischer Herkunft ist und ein schwarzes Gewässer bezeichnete, oberhalb der Mündung der Sierning war die Pielach offenbar „schwarz“ bis zur Einmündung der auf Keltisch als „weiße“ benannten Loich. In den Oberlauf der Pielach münden auf Deutsch benannte „Weißenbäche“ und „Schwarzenbäche“. Wohlgemerkt sind, was den optischen Eindruck betrifft, die Weißenbäche nicht weißer als die Schwarzenbäche und die Schwarzenbäche nicht schwärzer als die Weißenbäche. Offensichtlich geht es eben nicht um eine Beschreibung naturgegebener optischer Eigenschaften der Wasserläufe, sondern um etwas, was sich der Mensch zu ihnen „hinzudenkt“, also nicht um etwas, was die Flüsse sind, sondern um etwas, was der Mensch mit den Flüssen „macht“. Welchen Sinn und welchen praktischen Nutzen diese binäre Etikettierung hatte, liegt im Dunkeln. Unsere Lebenswelt ist so sehr eine andere geworden, dass wir nicht mehr verstehen, wofür diese Einteilung der Fließgewässer in weiße und schwarze gut war. Möglicherweise hat sie als Orientierungshilfe beim Flussaufwärtswandern gedient.7
Neben dem gedanklichen Umgang des Menschen mit Flüssen gab es schon in früheren Jahrhunderten auch den physischen, und auch der kann in Namengebungen greifbar sein, auch wenn es da nicht immer leicht ist, menschliche Einwirkung von natürlicher zu unterscheiden. Ohne mich auf dieses Problem weiter einzulassen, will ich nun einige mögliche Beispiele aus dem Mündungsgebiet der Erlaf anführen8. Bevor dabei wieder die Namenkunde zu Wort kommt, sollen zunächst andere Quellen sprechen.
In Antike und Mittelalter sahen sowohl die Donau als auch die in sie mündenden Flüsse anders aus als heute. Die Donau war nicht bloß ein einziger Strom, sondern ein Geäder mit mehreren Armen und vielen Inseln dazwischen, und für Flüsse wie zum Beispiel die niederösterreichische Erlaf, einen rechten Zufluss zur Donau, galt in ihrem untersten Lauf dasselbe. Die Erlafinseln und die vorgelagerten Donauinseln bildeten zusammen einen einzigen Archipel, und so sahen wohl auch die Mündungsgebiete benachbarter Flüsse wie Ybbs und Melk aus. Auf das ursprüngliche Aussehen des Mündungsgebiets der Erlaf gibt es eine Reihe von Hinweisen.
Zunächst ist hier ein Kartenwerk zu nennen. Der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts herrschende Zustand ist auf der niederösterreichischen Administrativkarte von 1867(-1881) festgehalten. Da sind im Bereich der Erlafmündung noch fünf Donauinseln eingezeichnet. Heute gibt es keine dieser Inseln mehr, die sie umspülenden Flussarme sind bis auf die Hauptläufe von Donau und Erlaf verlandet. Zeitlich weiter zurück reicht die allerdings umfangmäßig sehr eingeschränkte Information, die einer Merian-Vedute der Stadt Pöchlarn vom Jahre 1649 zu entnehmen ist. Der Bildausschnitt ist so klein, dass auf ihm von den auf der Administrativkarte eingezeichneten Inseln nur die kleine Insel unmittelbar vor Pöchlarn zu sehen ist, und auch die nur zum Teil. Dafür zeigt diese Vedute auch noch eine sechste Insel zwischen Pöchlarn und der gegenüber am linken Donauufer liegenden Ortschaft Klein-Pöchlarn, die auf der Administrativkarte nicht mehr zu sehen ist; 1867 waren also bereits Inseln verschwunden, die es 1649 noch gegeben hatte.
Weitere Hinweise kommen von der Altertumskunde und der Archäologie. Im Bereich der Erlafmündung lag das römische Arelape, ein Komplex aus Militärlager, Zivilstadt und Donauhafen. Das heutige Pöchlarn bildete das nördliche, am nächsten zur Donau gelegene Ende dieses römischen Komplexes. Die nördliche Hälfte des römischen Steinlagers liegt heute sogar in der Donau unter Wasser. Arelape verfügte über einen Donauhafen. Die Archäologie lokalisiert diesen Hafen aber nicht, wie zu erwarten wäre, vor der heute in der Donau versunkenen Nordmauer des Kastells, sondern weit im Landesinneren südlich der Stadt, wo heute die Bauern ihre Äcker bestellen.
Es gibt sogar Texthinweise auf heute nicht mehr vorhandene Flussarme im Mündungsgebiet der Erlaf. Im Regensburger Urbar von 1334 ist von einer Fischweide zu Ornding die Rede; sie heißt „in dem Gang“ und ist zu einem Teil „vergüsst“; und wenn über sie Güsse kommen, fällt, was man dann darin fängt, halb dem Herrn und halb dem Fischer zu. Im 14. Jahrhundert füllte sich dieser Flussarm bei Ornding also nur noch zu bestimmten Zeiten mit Wasser, bevor er vollends verlandete. Dieser Gang könnte die Wörth, ein Gelände nordöstlich von Ornding in Richtung Donau, das seinem Namen nach einmal eine Insel war – Wörth bedeutet „Insel“ –, vom Festland abgetrennt haben. Ferner nennt das Regensburger Urbar eine Altach, eine „alte Ache“, die, wie ihr Name sagt, ebenfalls einen ehemaligen Flussarm dargestellt haben muss.
Nicht zuletzt ist es aber die Namenkunde, die als ein Instrument zur Landschaftsrekonstruktion Aufschluss über das ursprüngliche Aussehen des Mündungsgebiets der Erlaf gibt. Der schon erwähnte im Regensburger Urbar von 1334 genannte Name Gang, ein altes deutsches Wort für Flussarm, weist alleine schon darauf hin, dass bei Ornding einmal ein Flussarm vorbeifloss. Der Name Altach drückt aus, dass 1334 diese Ache alt, also ein Relikt aus früherer Zeit war. Und von Wörth, einem alten deutschen Wort für ‘Insel’, war ja auch schon die Rede.
Zu nennen ist hier auch der Name Wagram. So heißt auf modernen Karten eine Böschung beim Dorf Erlauf. Nun ist Wagram, ursprünglich Wagrain, ein altes deutsches Wort mit der Bedeutung „Uferrand eines Flusses“. Die Böschung ist heute kein Uferrand mehr, der Fluss hat sich zurückgezogen, sie heißt aber noch immer Wagram.
Ein weiterer onomastischer Hinweis auf diese versunkene Flusslandschaft ist der Name des Dorfes Erlauf (1543 amt an der Erlauf). Das Dorf heißt so wie der Fluss Erlaf (aus Arelape), nur ist der Name volksetymologisch und hyperstandardisiert auf Erlauf abgeändert und so veramtlicht. Orte, die so heißen wie ein Fluss, liegen gewöhnlich an der Mündung dieses Flusses, wie es ja auch z.B. bei Enns, Ybbs, Melk, Tulln und Wien der Fall ist. Nur Erlauf liegt nicht an der Mündung der Erlaf, sondern fast vier Kilometer flussaufwärts von der Mündung entfernt. Der Name des Dorfes aber weist darauf hin, dass die Mündung früher eben dort war, wo Erlauf liegt. Bei Erlauf muss also die Erlaf in einen Donauarm gemündet sein, höchstwahrscheinlich in eben denjenigen, an dem der römische Donauhafen lag. Wann sich die Landschaft so weit geändert hatte, dass Pöchlarn und nicht Erlauf als Ort betrachtet wurde, an dem die Erlaf in die Donau mündet, ist mir nicht bekannt. Aber um 1500 wird explizit vermerkt: Pechlarn […] ist […] an der Tuonaw gelegen. Under Pechlarn kämpft die Erlauf, ain pös Wasser, in Tuonaw geflossen.
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