Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
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Название: Guy de Maupassant – Gesammelte Werke

Автор: Guy de Maupassant

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier

isbn: 9783962817695

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СКАЧАТЬ über Schmerz und Kum­mer hin­weg­zu­tan­zen.

      Der Dok­tor trank üb­ri­gens wie ein Loch und wur­de sicht­lich an­ge­hei­tert; auch Ma­da­me Ca­ra­van un­ter­lag der Re­ak­ti­on, die je­der ner­vö­sen An­span­nung folgt. Sie war, ob­schon sie nur Was­ser trank, gleich­falls auf­ge­regt und fühl­te sich et­was ver­wirrt im Kop­fe.

      Herr Che­net be­gann ver­schie­de­ne To­ten-Ge­schich­ten zu er­zäh­len, die ihm sehr scherz­haft er­schie­nen. Denn in die­sen Pa­ri­ser Vor­städ­ten, de­ren Be­woh­ner in der Haupt­sa­che ehe­ma­li­ge Pro­vinz­ler sind, fin­det man noch die­se Gleich­gül­tig­keit des Land­man­nes ge­gen den To­ten, mag es nun der Va­ter oder die Mut­ter sein, die­se man­geln­de Ach­tung, die­se un­be­wuss­te Roh­heit, die auf dem Lan­de so viel­fach herrscht und in Pa­ris selbst so sel­ten ist.

      »Den­ken Sie«, sag­te er, »letz­te Wo­che ruft man mich Rue de Pu­teaux; ich eile da­hin, fin­de die Kran­ke ver­schie­den und in der Nähe des To­ten­bet­tes die Fa­mi­lie da­mit be­schäf­tigt, ru­hig eine Fla­sche Ani­set­te zu lee­ren, die man tags zu­vor ge­kauft hat­te, um eine letz­te Lau­ne der Ster­ben­den zu be­frie­di­gen.«

      Aber Ma­da­me Ca­ra­van hör­te nicht zu, da sie im­mer­fort an die Erb­schaft den­ken muss­te; und Ca­ra­van mit sei­nem um­ne­bel­ten Ge­hirn ver­stand erst recht nichts da­von.

      Man brach­te den Kaf­fee, der ex­tra stark ge­macht war, um die gute Stim­mung zu er­hal­ten. Jede Tas­se, mit Co­gnak ge­würzt, ließ auf den Wan­gen eine plötz­li­che Röte ent­ste­hen und ver­mehr­te nur noch die Ver­wir­rung, die der Al­ko­hol und die see­li­sche Er­schüt­te­rung schon in die­sen Ge­hir­n­en an­ge­rich­tet hat­ten.

      Dann be­mäch­tig­te sich der »Dok­tor« plötz­lich der Fla­sche und schenk­te je­dem noch einen Ab­schied­strunk ein. Und ohne ein Wort zu spre­chen, in der an­ge­neh­men Wär­me der Ver­dau­ung, er­grif­fen von je­ner tie­ri­schen Be­hag­lich­keit, wel­che der Al­ko­hol nach dem Es­sen ver­leiht, spül­ten sie sich lang­sam die Keh­len mit dem ge­zu­cker­ten Co­gnak aus, der auf dem Bo­den der Kaf­fee­tas­sen einen gelb­li­chen Sirup bil­de­te.

      Die Kin­der fin­gen an ein­zu­schla­fen und Ro­sa­lie brach­te sie zu Bet­te.

      Ca­ra­van, der wie je­der Un­glück­li­che, das Be­dürf­nis fühl­te, sich zu be­täu­ben, nahm noch meh­re­re Gläs­chen Co­gnak zu sich, so­dass sei­ne bis­her blö­den Au­gen zu glän­zen an­fin­gen.

      End­lich er­hob sich der Dok­tor zum Fort­ge­hen, und sei­nen Freund un­term Arm neh­mend, sag­te er:

      »Komm, geh mit mir, die fri­sche Luft wird Dir gut tun; wenn man sich durch et­was be­drückt fühlt, muss man sich Be­we­gung schaf­fen.«

      Der an­de­re ge­horch­te ohne Wi­der­stand, nahm Hut und Stock und ging mit. Alle bei­de wan­del­ten Arm in Arm bei dem hel­len Ster­nen­him­mel nach der Sei­ne zu.

      Ein bal­sa­mi­scher Hauch zog durch die laue Nacht, denn alle Gär­ten rings­um­her stan­den zu die­ser Jah­res­zeit in vol­ler Blü­ten­pracht, de­ren Duft, tags­über we­ni­ger be­merk­bar, sich beim Ein­bruch der Nacht zu ver­dop­peln schi­en und von dem leich­ten Abend­lüft­chen weit hin­aus ge­tra­gen wur­de.

      Die brei­te Stras­se mit ih­ren bei­den Rei­hen Gas­la­ter­nen lag bis zum Arc de Triom­phe stumm und ein­sam vor ih­nen. Aber da un­ten bro­del­te Pa­ris wie ein sie­den­der Topf. Ein un­auf­hör­li­ches dump­fes Rol­len schall­te zu den ein­sa­men Spa­zier­gän­gern her­über, dem von Wei­ten her auf der Ebe­ne zu­wei­len der grel­le Pfiff ei­nes mit vol­ler Dampf­kraft her­an­kom­men­den oder ab­fah­ren­den Zu­ges ant­wor­te­te.

      Die fri­sche Luft, wel­che den bei­den Män­nern ent­ge­gen­weh­te, mach­te sie an­fangs et­was be­täubt, und er­schüt­ter­te das Gleich­ge­wicht des Dok­tors, wäh­rend sie bei Ca­ra­van den Schwin­del ver­mehr­te, den er nach dem Di­ner ver­spür­te. Er ging wie träu­mend ein­her; sein Geist war ein­ge­schla­fen und un­fä­hig, einen ru­hi­gen Ge­dan­ken zu fas­sen, ohne dass and­rer­seits sein Schmerz ein sehr hef­ti­ger ge­we­sen wäre. Auch hier hin­der­te ihn die all­ge­mei­ne geis­ti­ge Er­schlaf­fung, wirk­lich zu lei­den; er fühl­te viel­mehr eine Art Er­leich­te­rung, wenn er den fri­schen bal­sa­mi­schen Duft der Früh­lings­nacht ein­sog.

      Bei der Brücke wand­ten sie sich rechts und emp­fan­den mit Be­ha­gen den fri­schen Luft­hauch, den ih­nen der Fluss zu­sand­te. Die­ser floss hin­ter ei­nem Vor­hang von ho­hen Pap­peln ru­hig, fast me­lan­cho­lisch da­hin; die Ster­ne schie­nen auf dem Was­ser zu schwim­men und lang­sam von dem­sel­ben fort­ge­tra­gen zu wer­den. Ein fei­ner weiß­li­cher Ne­bel, der auf dem jen­sei­ti­gen Ufer lag, ließ eine Emp­fin­dung von Feuch­tig­keit in die Lun­gen drin­gen und Ca­ra­van, bei dem die­ser Dunst des Was­sers alte Erin­ne­run­gen wach rief, blieb plötz­lich ste­hen.

      Er sah sei­ne Mut­ter wie­der vor sich wie da­mals in sei­ner Kind­heit, dort un­ten in der Pi­car­die, auf den Kni­en an dem klei­nen Was­ser, das durch den Gar­ten floss und die Wä­sche, die in ei­nem Hau­fen ne­ben ihr lag, eif­rig wa­schend. Er hör­te ih­ren Schlä­gel in dem ru­hi­gen Schwei­gen der länd­li­chen Um­ge­bung, er hör­te ihre Stim­me, wie sie rief: »Al­fred, brin­ge mir Sei­fe.« Und er spür­te die­sen sel­ben Hauch von flies­sen­dem Was­ser, die­sen sel­ben Ne­bel, der aus der feuch­ten Erde auf­steigt, die­se Wasch­haus­luft, von der der Sei­fen­ge­ruch ihm un­ver­ge­ss­lich ge­blie­ben war und den er ge­ra­de an die­sem Abend, wo sei­ne Mut­ter ge­stor­ben war, deut­lich wie­der zu rie­chen glaub­te.

      So stand er da, von ei­nem neu­en An­fall sei­ner trost­lo­sen Verzweif­lung er­fasst. Es war, als habe plötz­lich ein Licht­strahl ihm die gan­ze Aus­deh­nung sei­nes Un­glücks be­leuch­tet; und bei dem Wie­der­emp­fin­den die­ses flüch­ti­gen Hau­ches fühl­te er sich in den tiefs­ten Ab­grund des bit­ters­ten Schmer­zes ge­schleu­dert. Der Ge­dan­ke an die Tren­nung für im­mer zer­riss ihm das Herz. Er sah sein Le­ben in zwei Ab­schnit­te ge­teilt, von de­nen der eine jetzt mit al­len Erin­ne­run­gen sei­ner Ju­gend­zeit durch die­sen To­des­fall für im­mer vor sei­nen Au­gen ver­schwand. Das gan­ze »Einst­mals« war für ihn zu Ende. Nie­mand wür­de mehr mit ihm von ver­gan­ge­nen Zei­ten re­den kön­nen, von Leu­ten, die er frü­her ge­kannt hat­te, von sei­ner Hei­mat, von ihm selbst, von al­len Ein­zel­hei­ten sei­nes ver­flos­se­nen Le­bens. Ein Teil sei­nes ei­ge­nen »Ich« hat­te auf­ge­hört zu exis­tie­ren; jetzt brach die Zeit des Ster­bens für den an­de­ren her­an.

      Und nun zo­gen lang­sam die Erin­ne­run­gen an ihm vor­über. Er sah »die Mama« wie­der vor sich, als sie noch viel jün­ger war, mit Klei­dern, die sie so lan­ge trug, bis sie gänz­lich auf­ge­braucht wa­ren, so­dass sie mit der Vor­stel­lung von ih­rer Per­son un­zer­trenn­lich ver­bun­den wa­ren. Er fand sie un­ter tau­sen­der­lei längst ver­ges­se­nen Ver­hält­nis­sen wie­der; ihre längst­ver­schwun­de­nen Ge­sichts­zü­ge, ihre Ge­bär­den, ihre Ge­wohn­hei­ten, ihre be­son­de­ren Nei­gun­gen, die Fal­ten auf ih­rer Stirn, die Hal­tung ih­rer ma­ge­ren СКАЧАТЬ