Название: Guy de Maupassant – Gesammelte Werke
Автор: Guy de Maupassant
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962817695
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Madame Caravan jr. fand es schicklich, auch ihrerseits Trauer zu bezeigen, und hinter ihrem Manne stehend, stiess sie verschiedene Seufzer aus, während sie sich in auffallender Weise die Augen wischte.
Caravan, dessen Antlitz noch röter war wie sonst, und dessen dünne Haare in Unordnung um seine Stirn herumhingen, war in der Tat von aufrichtigem Schmerz aufs Tiefste ergriffen.
»Aber sind Sie auch sicher, Doktor … sind Sie ganz sicher? …« wandte er sich plötzlich um. Der ehemalige Krankenpfleger trat schnell wieder heran, und indem er den Körper mit geschäftsmässiger Sicherheit betastete, wie ein Kaufmann, der eine Ware prüfen will, sagte er:
»Hier, bester Freund, betrachten Sie das Auge.«
Er schob die Augenlider zurück und unter seinen Fingern schien der Blick der alten Frau fast unverändert, vielleicht mit etwas grösserer Pupille. Caravan gab es einen Stich ins Herz und ein Zittern überfiel seinen ganzen Körper. Herr Chenet ergriff den runzeligen Arm, öffnete mit Gewalt die Finger und fuhr mit eifriger Miene, als sei er auf Widerspruch gestossen, fort:
»Aber sehen Sie sich doch nur ’mal diese Hand an; seien Sie ruhig, ich täusche mich niemals.«
Caravan stürzte sich von Neuem ganz aufgelöst auf das Bett. Er brüllte fast vor Schmerz, während seine Frau, immer leise schluchzend, die notwendigen Vorkehrungen traf. Sie schob das Nachttischchen heran, auf dem sie eine Serviette ausbreitete, stellte vier Lichter darauf, die sie anzündete, nahm einen geweihten Buchsbaumzweig hinter dem Spiegel über dem Kamin hervor und steckte ihn zwischen zwei Kerzen in ein Glas, das sie mit Weihwasser anfüllte.
Als sie so die äusseren Zurichtungen getroffen hatte, um der Toten alle Ehre zu erweisen, blieb sie gedankenvoll stehen. Der Doktor, welcher ihr bei ihren Anstalten geholfen hatte, flüsterte ihr zu:
»Es wäre besser, Caravan herauszuführen.«
Sie machte ein Zeichen des Einverständnisses, und indem sie sich ihrem Manne näherte, der auf den Knien liegend immer noch schluchzte, griff sie ihm unter einen Arm, während Herr Chenet ihn unter den anderen nahm.
Man setzte ihn zuerst auf einen Stuhl, und seine Frau suchte ihm zuzureden, während sie ihn wiederholt küsste. Der Doktor unterstützte ihre Bemühungen. Er sprach von Ergebung, Willenskraft, Mannesmut und allem, was man bei solchen Gelegenheiten an Zuspruch verwendet. Dann griffen ihn beide von Neuem unter den Arm und führten ihn heraus.
Er weinte wie ein großes Kind, mit krampfhaftem Schluchzen, völlig hilflos, die Arme schlaff herunterhängend, während seine Knie schlotterten. Ohne zu wissen, was er tat, und maschinenmässig einen Fuss vor den anderen setzend, stieg er die Treppe herunter.
Man setzte ihn in den Sessel, der noch immer am Tische stand, vor seinen halbleeren Teller, in dem sich noch der Rest der Suppe befand. Da sass er nun, regungslos, das Auge auf sein Glas geheftet, so aufgelöst, dass er nicht ’mal mehr einen klaren Gedanken zu fassen vermochte.
Madame Caravan sprach in einer Ecke mit dem Doktor, erkundigte sich nach den notwendigen Formalitäten, und ließ sich allerlei praktische Ratschläge geben. Schliesslich nahm Herr Chenet, der auf irgendetwas gewartet zu haben schien, seinen Hut und wollte sich verabschieden, indem er erklärte, er habe noch nicht zu Abend gegessen.
»Wie?« rief sie, »Sie haben noch nicht zu Abend gegessen? Aber bleiben Sie doch bei uns, Herr Doktor, bleiben Sie doch! Sie müssen mit dem vorlieb nehmen, was wir haben; Sie wissen ja, ein großes Diner gibt es nicht bei uns.«
Er lehnte ab und bat, ihn zu entschuldigen. Aber sie bestand darauf:
»Warum wollen Sie nicht bleiben? Man ist in solchen Augenblicken glücklich, einen Freund bei sich zu haben. Und vielleicht können Sie meinem Manne zureden, sich etwas zu stärken. Er hat seine Kräfte jetzt doppelt notwendig.«
»Wenn es denn sein muss, Madame, so nehme ich dankend an«, sagte der Doktor, indem er unter einer Verbeugung seinen Hut wieder ablegte.
Sie gab Rosalie, die ganz aus dem Häuschen war, allerhand Befehle und setzte sich dann selbst mit an den Tisch, »um wenigstens so zu tun, als ob sie ässe, und um dem ›Herrn Doktor‹ Gesellschaft zu leisten.«
Man nahm zunächst die aufgewärmte Suppe, von der Herr Chenet sich noch einen zweiten Teller erbat. Dann erschien eine Platte Lyoner Salami welche einen starken Knoblauch-Geruch verbreitete, und von der auch Madame Caravan kostete.
»Ausgezeichnet!« sagte der Doktor.
»Nicht wahr«, lächelte sie. »Nimm doch auch etwas, mein armer Alfred«, wandte sie sich an ihren Mann, »nur um etwas im Magen zu haben. Denke, dass Du noch die Nacht vor Dir hast.«
Er reichte mechanisch seinen Teller hin, wie er sich zu Bett gelegt haben würde, wenn man es ihn geheissen hätte; denn er folgte in allem ganz gedankenlos, zu keinem Widerstande fähig. So ass er auch.
Der Doktor, der sich selbst half, griff dreimal zu der Schüssel, während Madame Caravan von Zeit zu Zeit mit der Gabel ein großes Stück herausfischte und es sich gedankenlos in den Mund schob.
Als hierauf eine Salatschüssel voll Maccaroni erschien, murmelte der Doktor:
»Tausend, da kommt ’was Leckeres.«
Und Madame Caravan legte dieses Mal aller Welt vor; sie füllte sogar die Näpfe der Kinder damit, welche bei der mangelnden Aufsicht den Wein unvermischt tranken und sich bereits unter dem Tische wieder mit Fusstritten bearbeiteten.
Herr Chenet erinnerte sich an Rossini’s Vorliebe für diese italienischen Gerichte.
»Halt!« sagte er plötzlich, »habe ich da einen schönen Reim! man könnte ein ganzes Gedicht daraus machen: