Название: Guy de Maupassant – Gesammelte Werke
Автор: Guy de Maupassant
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962817695
isbn:
Caravan sass hier lange und weinte sich aus. Endlich, nachdem seine Tränen versiecht waren und all sein Leid an seinem geistigen Auge sozusagen vorübergezogen war, fand er wieder etwas Trost, eine Art Ruhe, wie einen plötzlichen Stillstand seiner Gefühle.
Der Mond war aufgegangen und sein mildes Licht erleuchtete den Horizont. Silberne Reflexe brachen sich an den säuselnden Blättern der Pappeln, und das ferne Geräusch auf der Ebene klang nur noch wie das Fallen des Schnees; der Fluss trug keine Sterne mehr, dafür glänzte er aber wie eine Perlmutterschale, auf der einzelne goldglänzende Furchen gezogen schienen. Die Luft war milde und noch immer spürte man den würzigen Blütenduft. Es lag etwas Weichliches in diesem Schlummer der Erde, aber es passte zu Caravan’s Stimmung, und mit Behagen genoss er die liebliche Ruhe der Nacht. Er atmete langsam und glaubte zu fühlen, dass seinen ganzen Körper eine angenehme Frische, eine sanfte Ruhe und seine Seele ein überirdischer Trost durchdringe. Er kämpfte absichtlich gegen dieses behagliche Gefühl, indem er immer »meine Mutter, meine arme Mutter!« wiederholte, und sich in einer Regung natürlichen Anstandsgefühles zum Weinen zu zwingen suchte; aber er konnte nicht mehr weinen, er konnte selbst seinen Gedanken nicht mehr jene traurige Richtung geben, die ihn vorhin hatte so heftig schluchzen lassen.
Endlich erhob er sich, um nach Hause zu gehen; er machte kurze Schritte, wie wenn er sich von der Heiterkeit der ihn umgebenden Natur nicht trennen könnte, und sein Herz blieb wider Willen friedlich bewegt.
Als er an die Brücke kam, bemerkte er das Licht der letzten schon zur Abfahrt bereiten Tramway und weiter hinten die erleuchteten Fenster des Café du Globe.
Da überkam ihn das Bedürfnis, irgendjemanden sein Unglück zu erzählen, sein Mitleid zu erwecken, sich gewissermassen interessant zu machen. Er verfiel wieder in seine traurige Haltung, öffnete die Türe und ging auf das Buffet zu, wo der Chef allzeit thronte. Er hatte auf einen effektvollen Augenblick gerechnet, wie alle Welt auf ihn zukommen, ihm die Hand reichen und ihn fragen würde: »Nun, was haben Sie?« Aber niemand bemerkte sein verstörtes Wesen. Er stützte sich mit dem Ellnbogen auf das Buffet, begrub das Gesicht in den Händen und murmelte: »Mein Gott, mein Gott!«
Der Chef sah ihn an.
»Sie sind krank, Herr Caravan?«
»Nein, mein armer Freund!« antwortete er, »aber meine Mutter ist heute gestorben.«
Der andere machte ein zerstreutes »Ach!« und als ein Gast aus dem Hintergrunde des Zimmers »Bitte, ein Glas Bier« rief, antwortete er sofort überlaut: »Hier, sogleich! … es kommt schon« und stürzte fort, den verwunderten Caravan allein stehen lassend.
An demselben Tische, wo er sie vor dem Essen gesehen hatte, sassen noch die drei Dominoliebhaber bei ihrem Spiele. Caravan näherte sich ihnen mit einer Miene zum Erbarmen. Als ihn keiner zu bemerken schien, entschloss er sich, zuerst zu sprechen.
»Mir ist soeben ein großes Leid geschehen«, sagte er.
Sie hoben alle drei gleichzeitig den Kopf ein wenig, aber ihre Augen blieben auf die Steine geheftet, die sie in den Händen hatten. »Nun, was denn?« -- »Meine Mutter ist gestorben«. -- »Ach Teufel!« murmelte einer von ihnen mit jenem halbbetrübten Gesicht, wie es die Gleichgültigen zu machen pflegen. Ein zweiter, der nichts Rechtes zu sagen wusste, ließ eine Art mitleidigen Seufzer hören, indem er die Stirn in Falten zog, während der dritte sich dem Spiele wieder zuwandte, als dächte er: »Das ist auch weiter nichts.«
Caravan hatte ein oder andres jener Worte erwartet, die »von Herzen« zu kommen pflegen; als er sich aber so empfangen sah, ging er wieder fort. Ihre Gleichgültigkeit bei dem Kummer eines Freundes empörte ihn, wenngleich er selbst für den Augenblick ja keinen so tiefen Schmerz empfand.
Er trat wieder auf die Strasse hinaus.
Seine Frau erwartete ihn schon im Schlafgewande; sie sass auf einem kleinen Sessel nahe des offenen Fensters und dachte immerfort an die Erbschaft.
»Zieh Dich aus«, sagte sie, »wir können im Bett noch plaudern.«
Er schaute auf, und mit dem Auge nach der Zimmerdecke weisend, sagte er:
»Aber … da oben … es ist niemand da.«
»Verzeih, Rosalie ist bei ihr, Du kannst sie um drei Uhr morgens ablösen, wenn Du erst mal ein Weilchen geschlafen hast.«
Er zog sich trotzdem nur teilweise aus, um für alle Fälle bereit zu sein, knüpfte sich ein Halstuch um, und begab sich dann zu seiner Frau, welche schon zu Bett gegangen war.
Eine Zeit lang sassen sie aufrecht nebeneinander. Sie dachte für sich hin.
Ihre Frisur war auch zu dieser Zeit durch ein Rosaband zusammengerafft und dieses Band hing gleichfalls auf dem einen Ohr herunter, als müsse das nun einmal so bei allen Bändern sein, die sie trug.
»Weißt Du, ob Deine Mutter ein Testament gemacht hat?« fragte sie plötzlich, sich zu ihm umwendend.
»Ich … ich … weiß nicht … ich glaube nicht …« sagte er zögernd. »Nein, sie hat ohne Zweifel keins gemacht.«
Madame Caravan sah ihrem Mann voll ins Gesicht.
»Das ist schmachvoll, weißt Du!« sagte sie mit tiefer zorniger Stimme. »Denn, sieh mal, seit zehn Jahren plagen wir uns damit, sie zu pflegen, sie bei uns wohnen zu lassen und sie zu ernähren. Deine Schwester hätte nicht so viel für sie getan und ich wahrhaftig auch nicht, wenn ich gewusst hätte, wie sie uns das lohnen würde! Das wirft einen trüben Schatten auf ihr Andenken. Du könntest mir freilich einwenden, dass sie uns ihre Pension bezahlte; aber die Pflege seiner Kinder kann man doch nicht mit Geld bezahlen, man kann sie nur nach seinem Tode durch ein Testament vergelten. So werden es alle anständigen Leute halten. Das habe ich nun von allen Mühen und Scherereien gehabt. Wahrhaftig, СКАЧАТЬ