Название: Guy de Maupassant – Gesammelte Werke
Автор: Guy de Maupassant
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962817695
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Dann küsste er, immerfort lachend, seine ganz erstaunte sprachlose Frau auf beide Wangen und rief, als ob sie nicht gut hören könnte:
»Vorwärts, Mutter, lass sehen, ob es noch etwas Suppe gibt; ich ässe gern einen Teller voll.«
Sie zog ihren Rock an und beide gingen zusammen herunter. Während sie niederkniete und das Feuer unter dem Kessel wieder anzündete, ging er mit großen Schritten in der Küche auf und ab und wiederholte fortwährend ganz vergnügt:
»Ach, das macht mir wahrhaftig Spaß; es ist nicht zu glauben. Aber ich bin vergnügt, sehr vergnügt.«
*
Im Familienkreise
Die Tramway von Neuilly hatte soeben die »Porte Maillot« passiert und fuhr nun die große Avenue entlang, welche auf die Seine zu führt. Die kleine Dampfmaschine, welche den Wagen zog, keuchte mächtig bei der starken Steigung der Strasse, und stiess ruckweise ihre Rauchwolken aus; es klang wie das Schnauben eines Laufenden, dem der Atem ausgeht, und die Eisenglieder ihrer Kolben brachten ein lebhaftes Geräusch hervor. Die erschlaffende Schwüle eines zur Neige gehenden Sommertages lag auf der Strasse, auf welcher sich trotz der Windstille eine dichte, weiße, erstickende und glühende Staubwolke erhob, die die feuchte Haut bedeckte und in Nase und Ohren drang.
Einzelne Leute traten unter die Türen, um etwas frische Luft zu schöpfen.
Die Scheiben des Wagens waren heruntergelassen, und bei der schnellen Fahrt flatterten die Vorhänge im Luftzuge. Nur wenige Personen befanden sich im Innern; denn bei diesen heissen Tagen zog man das Verdeck der Omnibusse vor. Es waren dies korpulente Damen mit auffallenden Toiletten, jene Sorte von Bewohnerinnen der Vorstädte, die das, was ihnen an Vornehmheit fehlt, durch eine gewisse unangemessene Steifheit zu ersetzen suchen; ferner abgearbeitete Büromenschen mit aufgeschwemmten Gesichtern und kurzer Taille, deren eine Schulter in Folge der ewigen vorgebeugten Haltung bei ihren Arbeiten etwas in die Höhe gezogen war. Ihre unruhigen und bekümmerten Mienen sprachen ausserdem noch von häuslichen Nöten, drohenden Geldsorgen und von der gänzlichen Vernichtung einstmals vielleicht glänzender Hoffnungen. Sie schienen alle zu jener Klasse armer Teufel zu gehören, die in einem jener kleiner weißgestrichenen Häuschen mit einem Stückchen Garten, wie man sie auf dem Lande in der Umgegend von Paris zu Tausenden findet, nur mit grösster Sparsamkeit ihr Dasein fristen.
Ganz nahe an der Türe sass ein kleiner untersetzter Herr mit aufgedunsenem Gesicht, dessen Bauch sozusagen zwischen seinen geöffneten Schenkeln ruhte. Er war ganz schwarz gekleidet und trug ein Ordensband im Knopfloch. Sein Gegenüber, mit dem er sich eifrig unterhielt, war ein großer, magerer Mann von nachlässigem Äusseren. Sein weißer Drillich-Anzug war sehr schmutzig, und auf dem Kopfe trug er einen alten ebenfalls stark mitgenommenen Panama-Hut. Der erste Herr sprach langsam, sodass er zuweilen den Eindruck eines Stotterers machte; es war Herr Caravan, Bürobeamter im Marineministerium. Der andere war früher Krankenwärter an Bord eines Handelsschiffes gewesen und hatte sich schliesslich in Courbevoie niedergelassen, wo er bei der ärmeren Bevölkerungsklasse den Rest von medizinischen Kenntnissen verwertete, den er sich aus seinem dunklen abenteuerlichen Leben bewahrt hatte. Er hiess Chenet und hörte sich gerne »Doktor« nennen; über seinen Charakter gingen allerlei Gerüchte herum.
Herr Caravan hatte von jeher das gleichmässige Leben eines Büromenschen geführt. Seit dreissig Jahren ging er unveränderlich jeden Morgen auf demselben Wege in sein Büro, begegnete zu derselben Stunde und an denselben Stellen denselben Leuten, die ihren Geschäften nachgingen; und ebenso kehrte er abends auf demselben Wege zurück, wo er noch dieselben Gesichter sah, die er schon vor dreissig Jahren gesehen hatte.
Jeden Tag, nachdem er sich an einer Ecke des Faubourg Saint-Honoré sein Sou-Blättchen gekauft, holte er sich seine zwei Brödchen und ging dann ins Ministerium, wie ein Verurteilter, der seine Haft antreten will; schnell trat er in sein Büro ein, denn er wurde die stete innere Unruhe nicht los, ob er nicht bei seiner Ankunft irgend einen Tadel wegen eines Versehens zu erwarten hätte.
Nichts hatte bisher die einförmige Ordnung seines Daseins geändert, denn ausser seinen Bürogeschäften, Avancements und Gratifikationen berührten ihn die sonstigen Ereignisse nicht. Mochte er nun im Ministerium oder in seiner Familie sein (er hatte nämlich die Tochter eines Kollegen, ohne jede Mitgift, geheiratet), niemals sprach er von etwas anderem als vom Dienst. Sein durch die geisttötende tägliche Arbeit verknöcherter Sinn hatte keine anderen Gedanken, keine anderen Träume und Hoffnungen mehr, als die, welche sich auf sein Ministerium bezogen. Aber eins verbitterte ihm stets die Selbstzufriedenheit seines Beamtendaseins: die Zulassung der Marine-Kommissare, der Klempner, wie man sie ihrer silbernen Litzen wegen nannte, zu den Stellen der Sous-Chefs und sogar der Chefs; und jeden Abend beim Essen demonstrierte er seiner Frau, die übrigens ganz seinen Groll teilte, unter lebhaften Gebärden vor, wie ungerecht es auf alle Fälle sei, die Stellen in Paris mit Leuten zu besetzen, die naturgemäss für das Seeleben bestimmt wären.
Er war jetzt alt geworden, ohne zu bemerken, wie das Leben verflog; denn das Gymnasium hatte ohne eigentliche Unterbrechung seine Fortsetzung im Büro gefunden und die Lehrer, vor denen er früher gezittert hatte, waren jetzt durch die Chefs ersetzt, vor denen er beinahe noch eine grössere Angst hatte. An der Schwelle dieser Büro-Despoten überlief ihn stets ein heiliger Schauer, und von dieser fortgesetzten Ängstlichkeit hatte er sich allmählich eine linkische Art des Auftretens, diese demütige Haltung, dieses gewisse nervöse Stottern angewöhnt.
Er kannte von Paris eigentlich nicht viel mehr, als ein Blinder, der von seinem Hunde täglich an denselben Standplatz geführt wird, und wenn er in seinem Sou-Blättchen die täglichen Neuigkeiten und Skandal-Geschichten las, so durchflog er sie wie hübsche Märchen, die eigens erfunden waren, um den kleinen Beamten etwas Unterhaltungsstoff zu bieten. Ein Mann der Ordnung, ein Reaktionär ohne bestimmte Parteirichtung, aber ein abgesagter Feind aller Neuerungen, überschlug er die politischen Nachrichten, СКАЧАТЬ